»Taking Positions«

Heim ins Museum

Die Ausstellung »Taking Positions« koppelt die Skulpturen des NS-Künstlers Arno Breker von ihrem politischen Kontext ab und versucht, sie in die Tradition figurativer Plastik einzuordnen.

Abermals kommt er heim ins deutsche Museum, nun bescheiden: Arno Breker. Seit dem vergangenen Sonntag sind drei Plastiken des nach Albert Speer höchstrangigen NS-Staatskünstlers im Berliner Georg-Kolbe-Museum zu sehen. Sie sind Teil der bereits im englischen Leeds vom Henry-Moore-Institute gezeigten und gemeinsam mit dem Gerhard-Marcks-Haus in Bremen organisierten Ausstellung »Taking Positions/Untergang einer Tradition - Figürliche Bildhauerei und das Dritte Reich«.

Zusammen mit den Skulpturen weiterer namhafter deutscher Bildhauer der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts, von denen die meisten in den dreißiger und vierziger Jahren als Mitglieder der für ausübende Künstler beitrittspflichtigen NS-Reichskulturkammer weiterhin künstlerisch tätig waren, sollen sie auf den Rang einer vor allem in Deutschland wirksamen figurativen Tradition der Plastik aufmerksam machen, die nach 1945 wegen ihrer Verknüpfung mit dem Nationalsozialismus nachhaltig verdrängt worden sei, wie die Kuratorinnen und Kuratoren feststellen.

Lief die Ausstellung in Leeds noch parallel zu einer zweiten, in der die ebenfalls figurale Plastik »War God« des realistischen englischen Kriegsmalers Eric Kennington zu sehen war (erstmals gezeigt 1935 in der Ausstellung »Artists against Fascism and War« der antifaschistischen britischen Künstlervereinigung Artists International Association), wodurch sich der Titel »Taking Positions« immerhin auf ein erweitertes Spektrum projiziert sah, ist die Berliner Schau auf die deutschen Arbeiten als Zeugnisse dieser geächteten Figuration konzentriert. Ihr Untertitel legt damit um so mehr nahe, dass sich zwei Parteien gegeneinander in Stellung gebracht haben: hier die figürliche Bildhauerei, dort der bezeichnenderweise unter seiner mythologischen Selbstbezeichnung firmierende NS-Staat; hier die Kunst, da die Politik.

Um Missverständnisse zu vermeiden, betont die Ausstellung, deren Eröffnung in Leeds zu Tumulten geführt hat, dass sie keine NS-Kunst zeige. Die Schwierigkeit, dies begrifflich plausibel zu machen, umgeht sie, indem sie sich selbst gewissermaßen zum kunsthistorischen Experiment mit musealen Mitteln erklärt. Die Aufstellung der Skulpturen mit nur knappen, weit mehr formal interessierten als politisch rekontextualisierenden Erläuterungstafeln soll sie in ihrem »ästhetischen Eigenwert« dem vom Ballast politischer Reflexion befreiten Kunsturteil darbieten, um so ihre auf den bloßen Formalismus reduzierte ästhetische Bedeutung im Spiegel der Rezeption abmessen oder auch gleich belegen zu können. Tatsächlich wird die Ausstellung so zu einem Test auf die Abschreibbarkeit politischen Reflexionswillens gegenüber der Kunst, insbesondere der NS-Kunst.

Nachdem Breker immer wieder einmal mehr oder weniger verschämt in einem öffentlichen Museum der BRD vorgezeigt wurde, zuletzt vor zwei Jahren von der so genannten »Jahrhundertausstellung« in Berlin, lässt man nun erstmals seit 1945 ganz unaufgeregt NS-Auftragsarbeiten Brekers aus ihrem politischen Schatten hervortreten. Für ein Museum waren die Skulpturen allerdings überhaupt nicht vorgesehen. Die Sitzfigur »Der Verwundete« etwa entstand, auf sechs Meter Höhe angelegt, innerhalb des Skulpturenprogramms für die von Speer entworfene städtebauliche Umgestaltung Berlins zur Hauptstadt »Germania«; vermutlich sollte sie einen Brunnen im Hof des so genannten »Führerbaus« am Kopfplatz der »Großen Nord-Süd-Achse« schmücken.

Im Rahmen der Ausstellung wahrgenommen, evozierte sie anlässlich der Eröffnung in Leeds im FAZ-Feuilleton bereits so denkwürdige Fragestellungen wie die, ob Breker seine artistische Lizenz nicht dahingehend interpretiert habe, in die architektonische Repräsentation des NS-Staats selbst Keime von Dissidenz einzuschleusen. Die Skulptur liefert jedoch mitnichten die plastische Darstellung eines niedergeschlagenen Faschismus; der monumentalisierte gebrochene Wille gehört wesentlich zum Ressentiment, er ist ein unveräußerliches Moment faschistischer Ideologie. Im Rahmen der triumphalen architektonischen Situation, für die sie gedacht war, konnte die zeitgenössische Wahrnehmung der Figur zum Trost zurufen: »Seit heute früh wird zurückgeschossen.«

Von dieser Situation der Skulptur ist aber kaum abzusehen. Die Ausstellung nimmt die NS-Plastik aus den Anrufungsbeziehungen heraus, die ihren ästhetischen Status weit mehr bestimmen als ihre formale und physische Identität: die allgemeine Identifikation mit dem »Rassenbild« zu gebieten, aber im gleichen Moment durch elitäre Perfektion von dieser Identifizierung abzuschrecken. Plastisch wird das gegen sich selbst gekehrte Ressentiment dadurch in die die Skulptur erfahrende städtische faschistische Öffentlichkeit eingebildet; eine plastische, keine kritische Öffentlichkeit, um sich als wiederholter Selbstaufruf zu entäußern, in der Verfolgung des rassisch abweichenden Anderen nicht nachzulassen. Olympisch entrückt ins akademische Refugium des Museums, scheint angesichts der aus diesen Beziehungen gelösten skulpturalen Träger natürlich auch die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Künstler und Holocaust akademisch zu werden.

Aber: In welchen Steinbrüchen und von wem wurden eigentlich die Steine geschlagen, in deren Mitte Breker seine Bronzen stellen zu können sich freuen durfte? Für solche einfachen Fragen haben diese Idole des Rassenkults nur vornehme Verachtung übrig.

Die Wiedergeburt von Brekers Plastiken in diesmal ästhetischer »Reinheit« erscheint deshalb so gefällig, weil sie neben Arbeiten von Künstlern stehen, deren Verwicklung in unterschiedlichem Maße weniger eklatant ist als die Brekers. Dadurch bildet Breker nur das Extrem eines Spektrums von Künstlern, die durch ihr ambivalentes Verhältnis zum NS-Staat gekennzeichnet sind (ausgenommen der bereits 1919 durch Selbstmord aus dem Leben geschiedene und als »entartet« denunzierte Wilhelm Lehmbruck).

Die gegenüber dem Vorwurf direkter Kollaboration entdramatisierte Frage danach, ob der Rückzug auf die immanente Freiheit der Kunst bei überlebensnotwendigen Zugeständnissen eine geeignete Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus darstellen kann, und dass deren Entscheidung geradezu analytisch dahingehend antizipiert wird, dass dem Künstler als solchem gar keine andere Wahl bleibe, affiziert damit auch die Position Brekers bzw. den Status seiner Arbeiten. So viele unterschiedlich geartete ästhetische Korrespondenzen durch die museale Nivellierung entstehen, in die Brekers Arbeiten ästhetisch autonom eintreten, so viele mögliche politische Entlastungsgründe ergeben sich auch. Umso mehr muss dies umgekehrt für die anderen Bildhauer, noch vor der Untersuchung ihrer individuellen Schicksale, gelten: Kann der exponierte Breker relativiert werden, dann werden ihre politischen Haltungen sogar normativ, d.h. moralisch. Damit aber erhält die figürliche Tradition eine Tragik, ihr Untergang wird zu ihrer Bedingung.

Wenn Breker die Tradition mit in den Abgrund gezogen hatte, so wird er jetzt von der Tradition nicht nur ästhetisch wieder rehabilitiert. Aber wann tat sich der Abgrund auf, 1933 oder 1945? Der seit mindestens zehn Jahren verstärkt Gehör findende deutsche Kulturpessimismus hätte mit der Beantwortung dieser Frage kaum Schwierigkeiten. Für die Ausstellung manifestiert das 1955 (ein Jahr nach dem Abschluss der Pariser Verträge) erschienene Standardwerk »Plastik des XX. Jahrhunderts« Carola Giedion-Welckers mit der kunsthistorischen Festschreibung der abstraktiven Norm den 1945 nur erst in die Latenz getretenen Untergang der figürlichen Tradition als »Westbindung« der deutschen Plastik, ganz gegen deren Wesen.

»Taking Positions/Untergang einer Tradition - Figürliche Bildhauerei und Das Dritte Reich.« Georg-Kolbe-Museum, Berlin. 7. Oktober bis 6. Januar 2002. Anschließend im Gerhard-Marcks-Haus, Bremen. 20. Januar bis 14./21. April 2002.

Katalog: Henry Moore Institute (Hg.): »Taking Positions«. Leeds 2001. Zweisprachig engl./dt. DM 43