Verärgerung über das US-Bündnis mit Pakistan

Wenn Kaschmir kratzt

Da die USA Pakistan als Militärbasis benötigen, tolerieren sie die pakistanische Hilfe für Terrorgruppen. Das stößt in Indien auf Verärgerung.

Unmittelbar nach dem Anschlag vom 11. September verkündete die indische Regierung ihre Bereitschaft, die USA im »Kampf gegen den globalen Terrorismus« zu unterstützen. Offenbar rechnete man mit einer Stärkung der indischen Position gegenüber dem Erzrivalen Pakistan. Neu Delhi fordert seit Jahren, dass die USA Pakistan, das enge Beziehungen zum Taliban-Regime in Afghanistan unterhält, zum terroristischen Staat erklären, da die pakistanische Regierung die militanten Gruppierungen im indischen Teil Kaschmirs logistisch und finanziell unterstütze und den Rebellen ein Rückzugsgebiet biete.

Darüber hinaus boten die Ereignisse einen Anlass, gegen muslimische Organisationen vorzugehen. So wurde die islamische Studentenorganisation Simi mit der zweifelhaften Begründung verboten, sie unterhalte Verbindungen zu Ussama bin Laden. Indiens Regierungskoalition wird von der hindu-nationalistischen Bharatiya Janata Party (BJP) domininiert, deren Aufstieg in den achtziger und neunziger Jahren auch durch die aggressive Hetze gegen indische Muslime ermöglicht wurde. Der radikale Weltrat der Hindus (VHP) und andere Schwesterorganisationen der BJP begannen in der Folge mit antimuslimischen Kampagnen, die bereits zu vereinzelten religiös motivierten Ausschreitungen geführt haben.

Die Euphorie über die vermeintliche Zwangslage Pakistans hielt nicht lange an, da schnell klar wurde, dass die USA bei ihren Aktionen gegen Afghanistan die Zusammenarbeit mit der pakistanischen Führung anstreben. Während Indien den Streit um Kaschmir als bilaterale Angelegenheit betrachtet, fordert Pakistan seit langem eine internationale Vermittlung. Nach dem Ende des Kalten Krieges hatten die USA in der Kaschmir-Frage verstärkt Indien unterstützt, das wegen seiner größeren politischen Stabilität und wirtschaftlichen Bedeutung im Vergleich zu dem früheren Verbündeten Pakistan die bessere Option darzustellen schien.

Wegen der zentralen Bedeutung Pakistans als Operationsbasis hat die zuvor isolierte Regierung nun die Gunst Washingtons zurückgewonnen. Nachdem Präsident Pervez Musharraf in einer auf allen Fernsehkanälen ausgestrahlten Rede an die Nation verkündet hatte, dass Pakistan die USA unterstützen werde, lobte US-Präsdident George W. Bush Musharrafs »mutige Position«. Die meisten der Wirtschaftssanktionen, die die USA nach den indischen und pakistanischen Atomtests von 1998 gegen die beiden Staaten verhängt hatten, wurden aufgehoben. Die USA erklärten sich zudem bereit, Pakistan die fällige Rückzahlung von 375 Millionen US-Dollar zu stornieren, und deuteten an, dass sie größere IWF-Kredite an den bankrotten Staat befürworten werden.

Die neue Annäherung zwischen Washington und Islamabad wird in Indien mit großem Misstrauen betrachtet. Regierungsmitglieder warnten, die Aufhebung der Sanktionen, die nach dem Putsch von General Musharraf 1999 verhängt worden waren, sende die »falschen Signale«. Die Kritik an den USA kommt vor allem aus den Reihen der BJP, die zwei Drittel der Abgeordneten der Regierungskoalition stellt. Die unternehmerfreundliche und antikommunistische Partei hatte bisher immer eine engere Anbindung an die USA propagiert. Unter ihrem Einfluss hatte Neu Delhi sogar als eine der wenigen Regierungen das US-amerikanische Raketenabwehrprogramm befürwortet.

Der Grund für den Stimmungswechsel ist die US-amerikanische Bereitschaft, darüber hinwegzusehen, dass in Indien operierende militante Gruppierungen Ausbildungslager in Pakistan unterhalten. Für Verärgerung sorgt zudem, dass die US-Regierung von den in Kaschmir operierenden Partisanengruppen lediglich die Harkat-ul-Mujahideen, die vor sechs Jahren fünf Touristen aus westlichen Staaten entführte und ermordete, auf die Liste terroristischer Gruppierungen gesetzt hat. Einige der Verbände in Kaschmir rekrutieren sich aus der Bevölkerung im indischen Teil Kaschmirs, während sich andere aus pakistanischen und afghanischen Kämpfern zusammensetzen.

Als Mitglieder der aus Pakistan operierenden Gruppe Jaish-e-Mohammed Anfang vergangener Woche einen Autobombenanschlag auf das Parlamentsgebäude von Jammu und Kaschmir verübten, bei dem 33 Menschen getötet wurden, gab das den Hardlinern in Indien Recht. Der Ministerpräsident von Jammu und Kaschmir, Faruk Abdullah, dessen National Conference an der Regierungskoalition in Neu Delhi beteiligt ist, sagte in einer Rede nach dem Anschlag: »Die Zeit ist gekommen, einen Krieg gegen Pakistan zu führen und die Ausbildungslager der militanten Gruppierungen dort zu bombadieren.« Premierminister Atal Behari Vajpayee (BJP) warnte Pakistan, dass Indien langsam die Geduld verliere.

Während die USA nun versuchen, in Afghanistan eine Alternative zur Taliban-Regierung aufzubauen, tun sich Risse im politischen Establishment Pakistans auf, das mit dem Vorwurf des Ausverkaufs nationaler Interessen konfrontiert ist. Während von Saudi-Arabien und anderen arabischen Staaten eine endgültige Entscheidung über die militärische Unterstützung von Aktionen gegen Afghanistan bisher ausblieb, hat sich Pakistan den US-amerikanischen Wünschen unterworfen. Dagegen formiert sich der Widerstand pakistanischer Fundamentalisten. In der Armee und dem pakistanischen Geheimdienst ISI ist der Einfluss von Islamisten in den vergangenen Jahren beständig gewachsen. Zogen Armee und Fundamentalisten bislang oft an einem Strang, stehen sie nun auf unterschiedlichen Seiten.

Insbesondere der sich abzeichnende Plan der USA, die Taliban-Regierung durch ein Bündnis des früheren Königs Zahir Shah und der Nordallianz zu ersetzen, könnte Pakistan destabilisieren. In den beiden an Afghanistan grenzenden pakistanischen Bundesstaaten leben zahlreiche sunnitische Paschtunen. Die Absetzung der paschtunischen Taliban-Regierung zugunsten der Herrschaft von Tadschiken und anderen so genannten ethnischen Minderheiten könnte insbesondere in dieser Region Pakistans für Unruhe sorgen. In seiner Rede an die Nation verwies Musharraf auf die Bedrohung durch Indien und auf die Kaschmir-Frage, um so die Unterstützung der USA als das geringere von zwei Übeln darzustellen.

An einer Machtergreifung der Nordallianz, die vom Erzfeind Indien sowie vom Iran und von Russland unterstützt wird, hat freilich auch die pakistanische Regierung keinerlei Interesse. Die Taliban, von denen viele in den Koranschulen in Peshawar und anderen pakistanischen Städten politisch und religiös erzogen wurden, wurden im Bürgerkrieg bislang von der pakistanischen Regierung unterstützt. Entsprechend warnte Außenminister Abdul Sattar die USA davor, Afghanistan eine »Regierung aufzuzwingen«.

Von Bush vor die Alternative gestellt, entweder »an der Seite der USA oder an der Seite der Terroristen« zu stehen, blieb dem international isolierten und wirtschaftlich bankrotten Pakistan allerdings keine andere Wahl, als sich gegen den früheren Schützling zu wenden.