Neue deutsche Außenpolitik

Alliierte erster Klasse

So schnell kann es gehen. Als in den frühen neunziger Jahren der damalige Bundespräsident Roman Herzog verkündete, die Zeit des Trittbrettfahrens sei vorbei, maß die Öffentlichkeit diesem Diktum keine allzu große Bedeutung bei. Damals, in der Euphorie der Wiedervereinigung, war ständig von der gewachsenen internationalen Verantwortung Deutschlands die Rede. Gemeint war damit aber vor allem die Bereitschaft, sich militärisch zu engagieren.

Dieses Engagement nannte sich zunächst »humanitäre Hilfe«, etwa bei den Auslandseinsätzen der Bundeswehr in Kambodscha (1992/93), in Ruanda (1992 bis 1994) und Somalia (1992 bis 1994). Es handelte sich um Aufträge der Vereinten Nationen, man schuf Luftbrücken für leidende Flüchtlinge und leistete logistische Unterstützung für UN-Truppen.

Das änderte sich mit den Sezessionskriegen in Jugoslawien. Die »Friedensmissionen« auf dem Balkan, an denen die Bundeswehr mitwirkte, wurden von der Nato oder der WEU angeführt: von Bosnien-Herzegowina (1993 bis 1995) über den Kosovo-Krieg (1999) bis zum aktuellen Einsatz in Mazedonien. Der Kosovo-Krieg stellte dabei eine Zäsur dar. Es war der erste Kampfeinsatz der Bundeswehr seit dem Zweiten Weltkrieg. Dementsprechend wurde er nicht nur mit der Notwendigkeit humanitärer Hilfe begründet, sondern, etwa von Außenminister Joseph Fischer, mit der Pflicht, eine angeblich bevorstehende Wiederholung von Auschwitz zu verhindern. Der Einsatz sollte eine einmalige Angelegenheit bleiben, versicherte die rot-grüne Regierung.

Die Terroranschläge in den USA aber haben diese Entwicklung noch einmal beschleunigt. Die Ausrufung des Nato-Bündnisfalles ermöglicht Deutschland den Einsatz von Militär weit ab vom eigenen Staatsgebiet, fern von Europa. Nach einem UN-Mandat für eine derartige Aktion kräht kein Hahn mehr. Schröder hat in der vergangenen Woche Klartext gesprochen. Die »Abkehr vom politischen Zwergentum« (FAZ) ist beschlossene Sache und äußert sich im Bekenntnis zur völlig entgrenzten Militarisierung der deutschen Außenpolitik. Mit »Entlastungseinsätzen auf dem Balkan« (FAZ), wie in Mazedonien, will man sich nicht zufrieden geben, es geht um militärische »Ordnungspolitik« weltweit, wie es Fischer formulierte.

Doch solange sich das Mittun bei dieser Ordnungspolitik nur im Abschicken von Solidaritätsadressen an die USA und im Abstellen von Awacs-Flugzeugen erschöpft, bleibt das von seinem Zwergentum befreite Deutschland ein gefesselter Riese. Wie die Fesseln abzulegen seien, weiß die FAZ. Die neue deutsche Außenpolitik müsse man »in den nächsten Jahren bei der Ausstattung des Verteidigungshaushaltes« erkennen können. Dem schloss Fischer sich an. Er bezweifelte, ob die gegenwärtigen Herausforderungen sich mit dem Modell eines »Niedrigsteuerstaates« vertrügen.

Da Deutschland allein jedoch kein entscheidendes militärisches Gewicht entfalten kann, so sehr es sich auch hochrüsten wird, bleibt die Einbindung in und die Führung von Europa von zentraler Bedeutung. Die Leitartikler kritisieren bereits unverhohlen die USA, die sich nicht mit dem von Europa geforderten »neuen Multilateralismus« (Süddeutsche Zeitung) anfreunden könnten, also weiterhin ihre Interessen in eigener Regie durchsetzten.

Noch ist Europa weit davon entfernt, den USA den Multilateralismus, also die »partnerschaftliche« Aufteilung der Märkte der Welt, diktieren zu können. Der Verteidigungshaushalt der EU entspricht nur einem Drittel des amerikanischen. Also gibt es viel Raum und Zeit für eine nachholende und nachhaltige Aufrüstung der EU. Und aus den Alliierten erster Klasse könnten bald erstklassige Konkurrenten geworden sein.