Proteste der Friedensbewegung

Die weißen Tauben fliegen wieder

In der neuen deutschen Friedensbewegung kann man links und rechts schon mal verwechseln. Die Linke und die Anschläge, Teil IV.
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Ende der achtziger Jahre war die westdeutsche Friedensbewegung friedlich entschlummert. Dabei war die Welt keineswegs friedlicher geworden. Doch mit dem Ende der Blockkonfrontation schwand auch die Angst vor dem Atomkrieg, vor dem Ende der Welt, welche die wichtigste Triebfeder der Bewegung war. Begrenzte Kriege, die sich in entfernten Ländern abspielen, oder im weiten Weltraum stationierte Waffen konnten die Massen in Deutschland nicht beunruhigen. Der erste Golfkrieg führte zu einer kurzen Empörung, und der deutsche Bundeswehreinsatz im Kosovo brachte noch einmal Menschen in größerer Anzahl auf die Straße. Doch es blieb bei einem kurzen Aufschrei, von einer Bewegung konnte nicht mehr die Rede sein.

Erst jetzt scheint sich, passend zum allgemeinen Achtziger-Revival, wieder so etwas wie eine Friedensbewegung zu konstituieren. Die Symbole, Taube und Friedensrune, sind dieselben, und auch das Personal aus den Achtzigern ist plötzlich wieder aufgetaucht, von den Müttern für den Frieden bis zur DKP. Als ob nichts gewesen wäre, betritt man die Bühne und spielt den zweiten Akt eines Stückes, das sich zwischenzeitlich, nach so mancher Bewusstseinserweiterung der Linken in den letzten zehn Jahren, zumindest als zweifelhaft erwiesen hat. Es ist wieder die Angst, selbst zum Opfer zu werden, die zur Mobilisierung führt. Auch wenn die apokalyptische Ausmalung der Katastrophe in diesem Fall ausbleibt.

Wie in den Achtzigern richtet sich die neue Friedensbewegung hauptsächlich gegen die USA. Schon damals gab es im Wesentlichen zwei Strömungen. Die eine, von der moskautreuen DKP gesteuerte, verortete sich ohnehin an der Seite der Sowjetunion. Die andere, sich von der DKP abgrenzende Strömung, kam in ihrem Dilemma, sowohl die Nato als auch den Ostblock abzulehnen, zur nahe liegenden Forderung nach der Neutralität Deutschlands, sodass sich schon damals eine erste Gemeinsamkeit mit der deutschen Rechten abzeichnete.

Heute sind die Übereinstimmungen nicht mehr zu übersehen. Am 8. Oktober fanden in Berlin gleichzeitig zwei Kundgebungen gegen den Krieg statt. Eine von der Friedensbewegung und eine von der NPD. Es wurden im Wortlaut dieselben Parolen gerufen, von »Völkermordzentrale USA« bis zu »Hoch die internationale Solidarität«. Auf der linken Kundgebung konnte ein Demonstrant ungestört mit einem Schild herumlaufen, auf dem stand: »Zuerst die Terroristen bestrafen, die Dresden, Hamburg, Hiroshima, Korea, Vietnam, Libyen, Irak & Jugoslawien zerbombt haben.« Der Mann hatte sich nicht etwa in der Demo geirrt. Auch auf der linken Veranstaltung durfte er die Befreiung vom Nationalsozialismus den Raketenangriffen auf Afghanistan gleichsetzen.

Und doch darf nicht jeder seine Meinung sagen. In Düsseldorf forderte der Veranstalter einer Friedensdemo am Montag vergangener Woche 20 antideutsche Demonstranten auf, die Kundgebung zu verlassen, weil sie eine israelische Fahne trugen und ein Transparent mit der Losung: »Lange lebe Israel!«. Das Transparent widerspreche dem Charakter der Demonstration, erklärte der Organisator. Die Friedensdemo war wohlgemerkt nicht von der NPD, sondern vom linken Friedensforum organisiert worden.

Nun stellt sich die Frage, warum man rechte und linke Demos nicht gleich zusammenlegt. Offenbar fragte sich das auch die NPD und mobilisierte zur großen Friedensdemo am vergangenen Samstag in Berlin. Dort hatten sich über 30 000 Menschen versammelt: DKP, SDAJ, PDS, SAV, MLPD, KPD, IG Metall, Die Falken, FDJ, Pax Christi, DFG/VK, DIDF, Spartakisten, attac, kurdische Gruppen und die TKP/ML waren vertreten. Die MLPD-Jugendorganisation Rebel forderte »Solidarität mit dem nationalen und sozialen Befreiungskampf des Afghanischen Volkes«, andere schwenkten Palästinenserfahnen und Transparente mit der Aufschrift: »Solidarität mit Palästina«. Die Gruppe Arbeitermacht trommelte in einem Flugblatt »für die nationale Revolte des unterdrückten palästinensischen Volkes« und gegen »die Macht des regionalen Gendarmen Israel«.

Die PDS hatte an alle DemonstrantInnen blaue Luftballons mit weißen Friedenstäubchen verteilt, und man war sich einig, gegen Krieg und überhaupt gegen die Nato zu sein. Dagegen war auch die NPD, die zunächst auf sich warten ließ. Während der Abschlusskundgebung auf dem Gendarmenmarkt ließen die Nazis dann aber ein riesiges Transparent vom Deutschen Dom herunter, es dauerte knapp zehn Minuten, bis es unter dem Beifall der Menge entfernt wurde. Davon unbeeindruckt und völlig ungestört verteilte am Rand der Kundgebung das ultrarechte Bürgerbündnis Solidarität (BüSo) Flugblätter mit kruden Verschwörungstheorien ihres großen Anführers Lyndon LaRouche.

Der NPD wird vorgeworfen, nicht grundsätzlich gegen Krieg und Militarismus zu sein und ihr Friedensbekenntnis also nur zu heucheln. Das ist natürlich richtig. Doch dies trifft nicht nur auf die Nazis zu, sondern zum Beipiel auch auf die DKP, die versucht, sich wieder als wichtigste Kraft der Friedensbewegung zu etablieren. Schließlich war es eben jene DKP, die mit ihrer Hausmacht dafür gesorgt hat, dass die Friedensbewegung der achtziger Jahre nicht selten zum sowjetischen Afghanistan-Krieg geschwiegen hat, und es war die DKP, die diesen Krieg (gegen dieselben Feinde, gegen die heute Amerikaner und Briten kämpfen) vehement verteidigte. Wenn die DKP nun behauptet, mit Krieg könne man keine Probleme lösen, so müsste man ihr dafür eigentlich den gesammelten Lenin um die Ohren hauen.

Historische Aufarbeitung könnte auch der PDS nicht schaden. Entschuldigt sich die Partei doch sonst so willfährig für jede SED-Schandtat, war von der »einzigen Friedenspartei« bisher nichts zu hören über die Unterstützung des sowjetischen Afghanistan-Krieges durch die SED.

Emotional aufgerüttelt von den Bildern der einstürzenden Wolkenkratzer in New York, war die Entstehung der neuen Friedensbewegung mit ungeheuren Projektionen verbunden. Schon kurz nach dem Terroranschlag am 11. September redete man in der Linken allenthalben vom »Afghanistan-Krieg«, als ob er schon in sein drittes Jahr ginge. Auf einer Friedensdemo in Wien skandierten die Demonstranten: »Afghanistan und Irak - 1 000 Tote Tag für Tag«, zu einem Zeitpunkt, da es nach Angaben der Taliban 25 Tote gab. Während die rund 6 000 Toten des Terroranschlages nicht reichten, um die Friedensbewegung zu rühren, wähnte man sich bereits seit der Vergeltungsdrohung der USA im Dritten Weltkrieg.

So gibt es wie in den Achtzigern einerseits eine gut meinende, von moralischer Empörung getragene Kriegsgegnerschaft und auf der anderen Seite einen von Antisemitismus und Antiamerikanismus infiltrierten, zumindest in dieser Frage weitgehend nazi-kompatiblen Antiimperialismus. Wer einfach nur seinen Protest gegen die Raketenangriffe auf Afghanistan ausdrücken will, hat es gar nicht leicht. Er muss damit rechnen, dass sein Gesicht in einem Fernsehbericht auftaucht, in dem über arabische Proteste in Pakistan berichtet wird, bei denen Bush und Sharon-Puppen verbrannt werden, zwei Bilder weiter über eine NPD-Aktion und im selben Zusammenhang über die deutsche Friedensbewegung, die mit blauen Ballons und roten Fahnen »Hoch die internationale Solidarität« schmettert. Internationale Solidarität? Mit wem eigentlich? Mit denen, die Israel den Tod wünschen?

Nur wenige Redner wandten sich am Samstag auf der Berliner Demo gegen die repressive Sicherheitspolitik in Deutschland. Und auch sonst ist dazu wenig zu vernehmen. Während Innenminister Otto Schily (SPD) die Gunst der Stunde für zahlreiche Gesetzesverschärfungen und für weitere Einschränkungen der persönlichen Freiheiten nutzt, überlässt die Friedensbewegung den Protest gegen diesen Krieg nach innen offenbar den autonomen Gruppen. Disee jedoch zeigten sich am Samstag in Berlin kaum. Dabei wäre hier eine Bewegung wirklich angebracht.