Deutsche Afghanistan-Solidarität in den siebziger und achtziger Jahren

Go-Go-Gotteskrieger!

Zu Beginn der neuen deutschen Afghanistan-Solidarität

Herzenssache, und nicht bloß eine nüchterne militärische und finanzielle Operation war die westliche Unterstützung der Mudschaheddin in ihrem Kampf gegen die afghanischen Kommunisten und die Rote Armee. »Ihre Sache ist unsere Sache«, erklärte US-Präsident Ronald Reagan, und Sylvester Stallone kämpfte, wenn auch nur im Film, an ihrer Seite.

In diesen Tagen verweisen hierzulande linke und bürgerliche Kommentatoren gerne darauf, dass es sich bei den afghanischen Gotteskriegern um »Zöglinge der USA« (Zeit) handelt. An die deutsche Solidarität mit den Mudschaheddin aber mag sich niemand mehr erinnern. Dabei gab es zwischen 1967 und 1989 wohl kaum ein anderes politisches Thema, bei dem die Deutschen so einhellig einer Meinung waren. Von der CSU bis zu den Grünen sowie der außerparlamentarischen Opposition - Nazis wie weiten Teilen der radikalen Linken - forderten alle die »Selbstbestimmung des afghanischen Volkes«. Außerhalb dieses Konsenses stand allein die DKP samt Umfeld sowie - mit Abstrichen - der Kommunistische Bund und konkret.

Auf Seiten der Linken kam der heftigste Protest von maoistischen ML-Gruppen. So rief die KPD im Februar 1980 in ihrem Aufruf zu einer Afghanistan-Demo »alle Kräfte, die sich einig sind in der Ablehnung der sowjetischen Aggression, ausdrücklich auch die konservativen Kräfte« dazu auf, »jetzt zusammenzustehen«. Knapp zwei Jahre später, beim Besuch des KPdSU-Generalsekretärs Leonid Breschnew in Bonn, sollte sich das erfüllen. 30 000 Personen beteiligten sich an einer von CDU/CSU und FDP organisierten Demonstration, an deren Spitze Heiner Geißler, Norbert Blüm und Jürgen Möllemann und in deren Mitte ein geschlossener Block von einigen Hundert Nazis marschierten. Gleichzeitig demonstrierten 10 000 Leute, die Aufrufen der Grünen, der ML-Gruppen und des Frankfurter Spontiblattes Pflasterstrand gefolgt waren.

Der sowjetische Einmarsch sei, hieß es Anfang der achtziger Jahre in einer von Elmar Altvater, Oskar Negt, Claus Offe und anderen Hochschullehren unterzeichneten Erklärung, der Versuch, »den Widerstand des afghanischen Volkes gegen die zwangsweise und fremdbestimmte Modernisierung von oben machtpolitisch zu brechen« und ein »offener Angriff auf die traditionelle Autonomie des Landes«. Als Konsequenz forderte das Berliner Autonomen-Blatt radikal »den Begriff der internationalen Solidarität« zu erweitern, nämlich »um die Toleranz den Emanzipationsbewegungen gegenüber, die für unsere Begriffe falsche oder Umwege zu gehen scheinen - aber die Revolution muss Sache der Völker selbst sein«.

Dass es den Mudschaheddin dennoch nie gelang, zu den großen Stars linker Solidarität aufzusteigen, lag nicht an politischer Distanz, sondern an dem Umstand, dass die Rechte, angeführt vom CDU-Bundestagsabgeordneten Jürgen Todenhöfer und dem Moderator des »ZDF-Magazins« Gerhard Löwenthal, Afghanistan zu einem ihrer wichtigsten Agitationsthemen machte. Zu den Helden der Solibewegung avancierten der Essener Mudschaheddin-Arzt Karl Freigang sowie der ehemalige Bundeswehroffizier Erich Kothny, der in Afghanistan einen Radiosender betrieb. Daneben sendete die Deutsche Welle mit einem eigenen afghanischen Programm ins Land. Unterdessen versorgten die Presse und das Fernsehen das hiesige Publikum regelmäßig mit Frontberichten aus den Stellungen der Mudschaheddin.

Die islamistische Ideologie der Mudschaheddin war kein Hindernis. Entweder wurde sie ignoriert, die FAZ setzte das Wort »fundamentalistisch« stets in Anführungszeichen, oder schön geredet, wie in diesem Kommentar der Frankfurter Rundschau von 1987: »Unter Jihad verstehen die Afghanen, anders als ihr iranischer Nachbar, nicht unbedingt einen Kampf zwischen Islam und Heidentum, sondern einen gerechten Kampf, der religiös legitimierbar ist; in diesem Falle die Verteidigung des islamischen Vaterlandes.«

Die Kämpfer selbst verhehlten ihre Gesinnung nicht. Bei seinem ersten Deutschland-Besuch Anfang 1981 erklärte der damals radikalste Warlord Gulbuddin Hekmatjar in Berlin: »Wir wollen nicht in die Knechtschaft der USA. Wir wollen ein freies, unabhängiges, ein islamisches Afghanistan.« Tags darauf druckte die taz seine Rede fast wörtlich und unkommentiert auf der Titelseite ab.

Auch das offizielle Deutschland beteiligte sich an der Solidaritätsarbeit. Mehrfach verabschiedete der Bundestag mit den Stimmen aller Fraktionen Afghanistan-Resolutionen. Reihenweise kamen Mudschaheddin-Führer nach Deutschland und wurden fast wie Staatsgäste empfangen. Im März 1986 veranstaltete der Auswärtige Ausschuss des Bundestages ein öffentliches Hearing, bei dem fast die gesamte Führung der afghanischen Konterrevolution angehört wurde.

In der Linken gab es nur noch selten Highlights wie den Besuch einer flügelübergreifenden grünen Delegation mit den MdBs Milan Horacek und Uli Fischer, die auf erbeuteten Panzern der Roten Armee posierten. Dennoch hatte sich die Forderung »Russen raus aus Afghanistan« fest im grün-alternativen und linksradikalen Repertoire etabliert. »Bei Unterschriftensammlungen zu ganz anderen Themen« werden, bemerkte Hermann L. Gremliza, »en passant und sozusagen als Prüfstein Bekenntnisse zugunsten der afghanischen 'Freiheitskämpfer' abverlangt«. Aber selbst in konkret feierte noch 1989 Oliver Tolmein den Abzug der Roten Armee mit den Worten: »Schafft zwei, drei, viele Afghanistans.«

Dass die deutsche Afghanistan-Solidarität nicht allein ein Produkt des Kalten Krieges oder folkloristischer Revolutionstheorien war, verdeutlicht ein 1984 vom konservativen Bonner Friedensforum herausgegebenes Heft »Freiheitskrieg in Afghanistan«, in dem es heißt: »Die Afghanen sind uns näher, als wir glauben. Das Imperium der Sowjetunion reicht von Ostberlin bis Kabul, ihr menschenverachtendes System hat die Deutschen im anderen Teil unseres Vaterlandes ebenso in den Griff genommen wie die Menschen im besetzten Teil Afghanistans. Es ist dieselbe Macht, die Afghanen und Deutschen das Recht auf Selbstbestimmung verweigert, das Recht, frei zu entscheiden, unter welchem System sie leben wollen.«

Die Russen sind längst aus Kabul und aus Ostberlin vertrieben. Die Veteranen von al-Qaida und Taliban haben die Zweckallianz mit den USA aufgelöst und die zweite Runde des Kampfes aufgenommen. Die Afghanen sind wieder dort, wo sie schon in den achtziger Jahren waren: Uns näher, als wir glauben, aber doch einen Schritt weiter.