Bundeskongress entwicklungspolitischer Aktionsgruppen

Multiple Dilemmata

Für den Tagungsort, wo man zur Begrüßung einen Cocktail schlürfen konnte, hatten sich die Veranstalter den passenden Namen »Milchstraße« einfallen lassen. Seit dem 11. September träumen wohl viele Linke davon, mit einem Caipirinha in der Hand durch die Milchstraße zu schweben.

Die Rede ist von denjenigen, die sich der Unterscheidung in »Freunde und Feinde der westlichen Zivilisation« entziehen wollen, also einerseits einen vulgärmarxistischen Ableitungsdeterminismus ablehnen und sich andererseits weigern, im Namen aufklärerischer Werte den Kapitalismus zu relegitimieren und den Krieg gegen den Terror billigend in Kauf zu nehmen.

Die meisten der rund 300 Teilnehmer des 24. Bundeskongresses entwicklungspolitischer Aktionsgruppen (Buko), der am vergangenen Wochenende in München tagte, gehören zu diesem linken Spektrum, das sich nun in »multiplen Dilemmata« wiederfindet, wie ein Teilnehmer anmerkte. Was nicht bedeutet, dass man einer Meinung darüber ist, wie die Perspektiven für eine Protestbewegung aussehen könnten. Die Verständigung auf einen gemeinsamen Nenner, auf die Ablehnung sowohl der Terroranschläge als auch des Krieges der USA gegen das Taliban-Regime reicht nicht aus. Die umfassende Delegitimierung der Politik der mächtigsten Staaten der Welt durch die Proteste in Genua sei im rasanten Tempo ihrer Relegitimierung durch die Attentate in den USA gewichen, meint Thomas Seibert von medico international.

Der Zusammenhang zwischen den Anschlägen und der globalisierungskritischen Bewegung sei aber kein direkter, sondern in der unterschiedlichen Rezeption der Attentate zu finden. Der Solidarität des Nordens mit der AntiTerror-Allianz stehe eine weit verbreitete klammheimliche Freude in den Ländern des Südens gegenüber. Aufgabe der GlobalisierungskritikerInnen sei es, diese »Solidarisierung der jeweils Gleichen« aufzubrechen und Alternativen zur militärischen Absicherung der kapitalistischen Globalisierung zu formulieren.

Dazu gehöre nach wie vor die Forderung nach einem Schuldenerlass und nach Entschädigungszahlungen für die Länder des Südens. Jochen Müller von der Zeitschrift des Informationszentrums 3. Welt (iz3w) hingegen sieht in der Kritik des Islamismus momentan eine der wichtigsten Aufgaben der Linken. Er plädiert nicht nur für eine konsequente Ablehnung des Islamismus, sondern für eine radikale Kritik aller religiösen Systeme, die immer einen tendenziell totalitären Charakter hätten.

Vor allem islamistische Bewegungen neigten nach Ansicht von Christian Stock, einem anderen Mitarbeiter des iz3w, dazu, »eine selbstreferenzielle Dynamik anzunehmen, wobei Versatzstücke der gesellschaftlichen Wirklichkeit zu einem totalitären ideologischen System zusammengeführt werden«. Zwar sei der Islamismus auch eine Folge von »Demütigungserfahrungen«, die Terroranschläge in den USA seien aber eher als »Aufstand eines gekränkten Narzissmus des bürgerlichen Subjekts in den arabischen Gesellschaften« zu werten, denn als »Rebellion der hungernden Massen.«

Die Abschlusserklärung des Buko 24 zeigt aber, dass die Debatten seit dem 11. September kaum zu neuen Antworten führten. »Vielen ist klar«, heißt es in dem Papier, »dass die Gegenschläge von heute die Auslöser für die Selbstmordattentate von morgen sind.« Gefordert wird, was zuvor als gemeinsamer Nenner für nicht ausreichend erachtet wurde: ein antimilitaristisches Bündnis. »Unterstützen wir alle Kräfte, die eine emanzipatorische Lösung anstreben und sich jeder Form kolonialer und neokolonialer Herrschaft widersetzen«, lautet der höchst diffuse Appell.