Nie wieder Zwerg sein

Hinter Betroffenheitsfloskeln und Solidaritätsbekundungen für die USA verbirgt sich die selbstbewusste Berliner Republik. Eine kleine Medienschau.

An gut gemeinten Warnungen mangelt es derzeit in den deutschen Zeitungsspalten nicht. Die USA könne einer Illusion verfallen, deren Opfer bereits der US-Präsident Woodrow Wilson zu Begin des vergangenen Jahrhunderts wurde. Wann immer Amerika im Namen universaler moralischer Prinzipien handle, glaube es, dass seine Führung überall in der »zivilisierten Welt« anerkannt und mit ehrlichem Enthusiasmus unterstützt werde, mahnte die Süddeutsche Zeitung in der vergangenen Woche.

Doch davon kann allen Solidaritätserklärungen zum Trotz keine Rede sein. Die Terrorattacken haben nach Meinung der Münchner Zeitungsmacher nur einen Prozess unterbrochen, der darauf abzielte, die Vorherrschaft der einzigen Supermacht zu brechen. Langfristig gehe es darum, eine neue politische Handlungsfreiheit zu schaffen, die sich nicht mehr nur an den USA orientiere.

Einen wichtigen Meilenstein auf diesem Weg glaubt Bundeskanzler Gerhard Schröder bereits erreicht zu haben. Als Erfolg der rot-grünen Regierung verbuchte er Mitte vergangener Woche die »Enttabuisierung des Militärischen« in der Bundesrepublik. Deutschland sei nun so »erwachsen geworden«, dass es sich größerer internationaler Verantwortung stellen könne. Dazu gehöre ab sofort auch die Option deutscher Militäreinsätze außerhalb Europas.

Die Etappe deutscher Nachkriegspolitik, in der nur mit dem Scheckbuch reagiert wurde, sei nun unwiederbringlich vorbei, erklärte Schröder vor dem Bundestag. Und Außenminister Joseph Fischer forderte an derselben Stelle eine internationale Ordnungspolitik, die künftig keine »Zonen der Ordnungslosigkeit« mehr zulasse.

»Kein anderer Bundeskanzler hat so unbefangen über einen Kriegseinsatz der Bundeswehr erst im Kosovo und jetzt im Terror-Feldzug geredet wie Gerhard Schröder. Er lebt in der Gnade, ein generalistischer Konvertit zu sein«, lobt die Süddeutsche Zeitung. »Wer erwachsen sein will, muss sich selbst verantworten.« Daher sei nun mehr Selbstbewusstsein gefragt, »gerade im Gespräch mit Amerikanern und Briten«, folgert die Frankfurter Rundschau. Und auch die FAZ feierte die »Abkehr vom politischen Zwergentum« und die Bereitschaft, militärische Aufgaben zu übernehmen, »die der Lage und Kraft Deutschlands entsprechen«.

Bereits jetzt zeigt sich nach Meinung der FAZ, dass sich die Sicherheitsinteressen der USA im Zuge der Militäraktion in Afghanistan verschieben. Für Europa sei es vorbei mit dem »Leasing von Sicherheit jenseits des Atlantik«. Für langjährige Protektorate auf dem Balkan werde Washington keine Reserven mehr übrig haben, was für Europa bedeute, dass es »selbst für Ordnung in seinem Hinterhof sorgen muss«.

Schließlich hat Europa auch jenseits seiner Grenzen eigene Interessen. Wie diese gemeinsam definiert werden könnten, besprachen die EU-Verteidigungsminister am vergangenen Freitag auf einem informellen Treffen in Brüssel. Dort erklärte der Hohe Vertreter für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, Javier Solana, dass die EU bereit sei, bei den militärischen Einsätzen auf dem Balkan noch mehr Verantwortung zu übernehmen und die Lücken aufzufüllen, die eventuell durch einen Abzug amerikanischer Truppen entstehen könnten.

Die Verteidigungsminister beschlossen, bis zum Jahr 2003 eine »glaubwürdige Schnelle Eingreiftruppe« der EU aufzustellen. Darüber hinaus will die EU bis 2003 in der Lage sein, 60 000 Soldaten für einen einjährigen Einsatz zu mobilisieren. Im November sollen auf einer Konferenz dann genaue Zahlen und Verpflichtungen festgelegt werden.

Doch vorerst wird vor laufenden Kameras weiterhin die transatlantische Freundschaft beschworen, im Wissen, dass das von Amerika geschmiedete Militärbündnis ohnehin kaum lange Bestand haben wird. »Die Koalition gegen den Terror ist ein reines Zweckbündnis, ein punktueller Zusammenschluss, heikel, viel Heuchelei, obendrein in weiten Teilen eher ein Stillhalteverein als ein Aktionsverband. Ein Bündniskrieg lässt sich damit nicht führen«, prophezeit Die Zeit.

Bereits jetzt werden erste Risse im Zentrum der Anti-Terror-Allianz erkennbar. Während das US-Verteidigungsministerium darauf drängt, neben den Taliban auch den Irak und andere arabische Staaten, die islamistische Terrorgruppen unterstützen, ins Visier zu nehmen, fasste Tony Blair die Kriegsziele in der vergangenen Woche während eines Besuchs bei britischen Truppen in Oman sehr viel enger.

Für Blair geht es im Moment ausschließlich darum, Ussama bin Ladens Organisation al-Qaida zu zerstören und die Taliban durch »eine neue Regierung auf breiter ethnischer Basis zu ersetzen«. Ein US-Angriff auf Bagdad würde hingegen nach Meinung Blairs die ohnehin sehr fragile Anti-Terror-Allianz sprengen.

Wenn die USA demnächst auch auf Länder wie Irak, Sudan und Libanon zielten, »könnte die US-Politik abenteuerhaft werden, also Züge annehmen, vor denen Bundeskanzler Schröder in seiner Regierungserklärung gewarnt hatte« schreibt dazu die Frankfurter Rundschau. Und spätestens dann wird es wohl Zeit, die US-Amerikaner in ihre Schranken zu weisen.

Statt sich daher mit den so genannten Schurkenstaaten zu beschäftigen, empfehlen deutsche Friedensfreunde eine ganz andere Option. Auf ihrem Fachgebiet, dem religiösen Fanatismus, versucht sich die Grüne Bundestagsabgeordnete Antje Vollmer als Therapeutin. Als »Urtrauma« des islamischen Terrorismus benennt sie die israelische Präsenz in den palästinensischen Autonomiegebieten und das Embargo gegen den Irak. Für einen dauerhaften Frieden bedürfe es daher zuerst der Gründung eines Palästinenserstaates.

Im Nahost-Konflikt sieht auch die taz eine Ursache des gegenwärtigen Übels. Denn ähnlich wie Israel nehme auch die USA ein »präventives Selbstverteidigungsrecht« für sich in Anspruch, das nicht dem weltweit akzeptierten Stand des Völkerrechts entspricht«. Dass die Uno in diesem Fall ausdrücklich ein Selbstverteidigungsrecht einräumt, kümmert die taz dabei nicht.

Dem Antiisraelismus ihrer europäischen und arabischen Partner haben die USA bereits Rechnung getragen, um ihr Anti-Terror-Bündnis zu ermöglichen. Gemeinsamer Nenner der Ein-Punkt-Allianz ist der Ausschluss Israels. Israelische Kooperationsangebote lehnte die US-Regierung wegen »arabischer Empfindlichkeiten« wiederholt ab, obwohl israelische Geheimdienste und Experten nur darauf warten, ihr Wissen über fundamentalistische Terroristen und deren Bekämpfung weiterzugeben.

Es sieht ganz danach aus, dass die Selbstmordattentäter von New York und Washington erreichen, was ihren Freunden im Geiste von der Al-Akqsa-Intifada in den vergangenen Monaten versagt blieb: die internationale Isolation Israels und die gewaltsame Herbeiführung von Neuverhandlungen über einen palästinensischen Staat. Zumindest in diesem Punkt können sie sich einer wohlwollenden Beurteilung von deutschen Kommentatoren sicher sein.