Friedensdemonstrationen in Frankreich

Ungehorsam handeln

In Frankreich organisiert sich ein breites Bündnis gegen den Krieg.

Gegen den Wirtschaftskrieg und gegen den Religionskrieg - Handelt, seid ungehorsam!« forderten die Anarchisten der Fédération Anarchiste (FA) auf einem riesigen Transparent. Die trotzkistische Ligue Communiste Révolutionnaire (LCR) formulierte: »Weder fundamentalistischer Terror noch imperialistischer Kreuzzug - Nein zum Krieg.« Bei der ebenfalls trotzkistischen Partei Lutte Ouvrière (LO, Arbeiterkampf) hieß es im klassischen Stil: »Nein zur imperialistischen Intervention in Afghanistan.«

Allen Aufrufen gemeinsam war jedoch die Verurteilung des »reaktionären Milliardärs Ussama bin Laden«, so die LO-Sprecherin Arlette Laguiller, sowie der Politik von US-Präsident Georg W. Bush. Nur eine unbekannte maoistische Sekte bezeichnete auf einem Flugblatt die Anschläge vom 11. September als »eine neue Episode in dem alten Krieg der Armen gegen die Reichen, der Unterdrückten gegen die Unterdrücker«. Lediglich die »moralisch dekadente Bourgeoisie« sei über diesen Anschlag entsetzt, weil sie »keine positiven Werte mehr« habe, für die man bereit sei zu sterben .

Knapp 5 000 Gegner der US-amerikanischen und britischen Bombardements in Afghanistan demonstrierten am vergangenen Donnerstag in Paris. Und auch in anderen Städten wie Lille, Lyon und Marseille gab es zahlreiche Kundgebungen. Das Spektrum reichte dabei von linksradikalen und linksalternativen Gruppen über die Union pacifiste bis zu Mitgliedern der kommunistischen oder der grünen Regierungspartei.

Einige waren gekommen, weil sie gegen Krieg und Imperialismus demonstrieren wollten, andere, weil Premierminister Lionel Jospin sich bisher weigert, das Parlament wegen des französischen Engagements zu befragen. Stattdessen beschränkt sich Jospin darauf, die Fraktionsvorsitzenden der Parteien sowie den Verteidigungsausschuss zu informieren. Die zahlreich demonstrierenden KP-Mitglieder forderten, dass »das Parlament entscheiden soll«, wobei jedoch offen blieb, was die Abgeordneten denn überhaupt beschließen sollen. Als Regierungspartei ist die KP hin- und hergerissen zwischen ihrer antifundamentalistischen und antiimperialistischen Haltung und der Notwendigkeit, realpolitische Entscheidungen zu treffen.

Dabei ist Frankreich schon jetzt direkt am Konflikt beteiligt. Wie die Pariser Tageszeitung Libération am Dienstag letzter Woche enthüllte, und Verteidigungsminister Alain Richard offiziell bestätigte, ist der französische Auslandsgeheimdienst DGSE im Mittleren Osten bereits aktiv.

Ihre Kenntnisse über die Region stammen Zeitungsberichten zufolge aus dem Einsatz in den achtziger Jahren, als die DGSE am Aufbau der gegen die sowjetische Präsenz kämpfenden, islamistischen Mudschaheddin-Gruppen beteiligt war. Damals intervenierte sie vor allem unter dem Deckmantel humanitärer Hilfsorganisationen. Heute ist der Geheimdienst mit knapp 100 Agenten vor Ort vertreten, die wichtige Informationen für die Bombenangriffe liefern - was eher die These stützt, dass es für eine gezielte Ausschaltung Ussama bin Ladens auch andere Mittel als großflächige Bombenangriffe geben dürfte. US-Anfragen wegen einer stärkeren Beteiligung Frankreichs, etwa durch die Luftwaffe, sind nach Angaben der Regierung derzeit noch zurückgestellt.

Doch trotz der inzwischen zahlreichen Proteste befürwortete die französische Bevölkerung mehrheitlich eine Beteiligung an »militärischen Aktionen der USA gegen die Terroristen«. Dies zumindest belegte Mitte September eine Umfrage des Instituts Gallup International in mehreren EU-Ländern. Wenn man ihr Glauben schenken will, stimmten 73 Prozent der befragten Franzosen einer solchen Option zu.

Ein Grund für die Zustimmung ist sicherlich, dass in den vergangenen Jahrzehnten militärische Interventionen, vor allem auf dem afrikanischen Kontinent, gewissermaßen zur Normalität der französischen Militär- und Außenpolitik gehörten. Die Furcht, selbst mit den Konsequenzen eines Krieges konfrontiert zu werden, ist daher schwächer ausgeprägt als in Deutschland. Patriotisch motivierte Neutralität, wie sie etwa die westdeutsche Friedensbewegung seit den achtziger Jahren immer wieder forderte, ist westlich des Rheins nicht besonders populär.

Aus diesem Grund steht bei Anti-Kriegs-Aktivitäten eher linke Militär- und Imperialismuskritik im Vordergrund. Allerdings haben die Neofaschisten unter Jean-Marie Le Pen Anfang der neunziger Jahre mit ihrer Parteinahme zugunsten Saddam Husseins eine antiamerikanisch und antiisraelisch geprägte Opposition von rechts eingeführt.

Für die derzeitige Situation gilt dies allerdings nicht. Die Neofaschisten treten derzeit entweder eindeutig pro-amerikanisch und anti-muslimisch auf, wie Bruno Mégret, der Kopf des Mouvement National Républicain (MNR), und die rechtsextreme Wochenzeitung Minute. Oder aber sie plädieren wie Le Pen vom Front National (FN) für eine neutrale Position in dem internationalen Konflikt, um sich auf die Verfolgung der »fünften Kolonne des Islamismus« innerhalb Frankreichs zu konzentrieren.

Doch mit der Dauer des Konflikts nimmt auch die Zustimmung ab. In der ersten Oktoberwoche sahen bereits 67 Prozent der vom Ipsos-Institut Befragten das französische Engagement als »ausreichend« an, während es 23 Prozent als »unzureichend« und sieben Prozent als zu stark empfanden.

Zu diesem Zeitpunkt hatte Frankreich den USA zwar seinen Luftraum und die Logistik seiner Seestreitkräfte im Indischen Ozean zur Verfügung gestellt, war aber scheinbar nicht direkt am Geschehen beteiligt, und die offensive Haltung der US-Administration stieß auf Misstrauen.

Die erste Anti-Kriegs-Kundgebung mit einigen hundert Teilnehmern fand bereits am 22. September auf dem Pariser Trocadéro statt und wurde von dem Kollektiv Faut réagir (Muss handeln) organisiert. Die Gruppe orientiert sich an den italienischen Tute bianche und zeichnet sich optisch ebenfalls durch weiße Overalls aus.

Am darauffolgenden Samstag konnten in Paris zu einer bereits seit Monaten geplanten Demonstration »für die Rechte der afghanischen Frauen« etwa 6 000 Teilnehmer mobilisiert werden. Das Spektrum reichte dabei von Frauenkollektiven über Grüne bis zu Kommunisten und Linksradikalen, die sowohl die Taliban als auch militärische Aktionen, die die Lage des afghanischen Volkes nur verschlechtern würden, verurteilten. Mit ihrer Distanzierung von beiden Seiten trugen die Demonstranten dazu bei, dass Sympathien für die Taliban gar nicht erst aufkommen konnten.