»Make World«

Alles zusammenwerfen und schauen, was passt

Aktivisten und Theoretiker aus aller Welt diskutierten in der letzten Woche in München über Expertentum, Migration und Internet.

Was für ein schöner Titel: »Make World«. Was für ein schöner Titel für ein Festival, das die verschiedenen Aktivisten, Theoretiker und Praktiker verbinden sollte. Nicht nur wegen des appellativen Sounds, »Mach dir deine eigene Welt!«, und nicht nur wegen der Umarmung des Slogans von der Mac World, der Globalisierungsgegner jeglicher Couleur umtreibt, die befürchten, der Kapitalismus würde überall alles gleich machen und alle Unterschiede einebnen.

Nein, vor allem deshalb: Make World ist eigentlich ein Unix-Kommando, um das Computerbetriebssystem zu erneuern. Wer »make world« in die Befehlszeile eingibt, wechselt das System aus, während es gleichzeitig weiterläuft. Und wenn es eine Idee gibt, auf die sich die meisten Linken in letzter Zeit hätten einigen können, hätte sie denn jemand gefragt, dann doch wohl genau diese: Dass das ganze System ausgewechselt gehört, dass man es aber, selbst wenn man könnte, nicht unbedingt vorher ausschalten sollte - wo doch alles irgendwie miteinander zusammenhängt und weil man nicht das eine tun kann, ohne das andere gleich mit zu verursachen.

»Make World« war aber nicht nur der Titel des Festivals; wenn man sich anschaute, wer alles geladen und aus allen Ecken des Globus nach München angekarrt und eingeflogen worden war - Gewerkschafter aus Südkorea und Kalifornien, Wissenschaftler aus Indien und Australien, Aktivisten aus Mexiko, Theoretiker aus Holland und Italien, Arbeiterinnen aus den Philippinen -, so konnte man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Veranstaltung vier Tage lang selbst ein wenig Welt spielen wollte. »Make World« handelte vor allem von zwei Dingen: Medien und Migration, vom Internet und vom Flüchtling. Zwei beherrschende Themen verschiedener politischer Diskurse der vergangenen Jahre, Diskurse, die aber meistens nebeneinander herliefen und sich recht selten miteinander verbanden.

Aber so war das in der Linken der Neunziger, alle möglichen Leute bastelten an ihren kleinen Dingen herum, vernetzten sich auch untereinander oder wussten zumindest, dass es die anderen gibt, aber seit es den Globalisierungsgegner gibt, hat auf einmal alles miteinander zu tun und die unterschiedlichsten Menschen glauben, die Kämpfe der anderen seien auch ihre eigenen.

So ist es auch mit Medien und Migration, und dafür gibt es gute Gründe. Denn ohne die Möglichkeit digitaler Kommunikation wäre es unmöglich, ständig so viel Geld um den Globus zu schicken und dadurch so viele Grenzen einzureißen. Und gleichzeitig vollziehen die Migrationsströme in umgekehrter Richtung den Weg der Kapitalsströme nach und bekommen ständig neue Hindernisse in den Weg gestellt, werden ständig mit höheren Grenzen konfrontiert. Und diese beiden Bewegungen durchdringen einander, schaffen Wirbel, eröffnen Möglichkeiten, und heraus kommt eine Vielzahl lokaler Praktiken, subjektiver Entwürfe, Begriffe wie »Globalisierung von unten« oder der »Make World«-Kongress. Denn Hand aufs Herz: Der Glaube daran, dass alles immer schlimmer werde, mag vielleicht berechtigt sein, aber am Ende des Tages führt er zu nichts. Er hilft niemandem, er schadet niemandem, er sitzt einfach nur herum und verbreitet schlechte Laune.

Wir alle sind Experten

Wenn die Informationsgesellschaft einen Protagonisten hat, dann den Experten. Er hat das Wissen, er hat die Macht. Irgendwo in der Barentsee geht ein russisches U-Boot unter, schon sieht man auf jedem Bildschirm U-Boot-Experten, die sich an ersten Einschätzungen der Lage versuchen.

Islamistische Terroristen attackieren die USA, schon Minuten später tauchen Islam-Experten auf, wohin man schaut. Innerhalb kürzester Frist wird man selbst zum Experten - wer fachsimpelt im Moment nicht über die Waffensysteme an Bord der amerikanischen Flugzeuge über Afghanistan, ohne jemals auch nur ein Luftgewehr in der Hand gehabt zu haben? Ich, du, er, sie, es - wir alle sind Experten.

Expertentum ist aber nicht nur ein Modus, über den wir alle unser informationelles Selbstverständnis laufen lassen, Expertentum ist genauso ein Modus, über den das geplante Einwanderungsgesetz funktionieren soll. Je mehr du Experte auf einem gefragten Gebiet bist, desto mehr bist du willkommen, desto einfacher ist es, die eigene Familie mitzubringen, desto einfacher ist es, den deutschen Pass zu bekommen.

So war das Projekt »Jeder Mensch ist ein Experte« auch das ideelle Zentrum des ganzen Festivals. Rein formal ist »Everyone Is An Expert« nichts weiter als eine Jobbörse im Internet. Wer will, kann sich anmelden, seine E-Mail-Adresse eingeben, eintragen, wofür er oder sie sich als Experte qualifiziert glaubt, und dann auf Jobangebote warten. Doch »Everyone Is An Expert« soll sich vor allem an diejenigen richten, die nur beschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt haben: Flüchtlinge, die bestimmten örtlichen Beschränkungen unterliegen, die nicht vom Arbeitsamt vermittelt werden, die aber trotzdem hier sind und Fähigkeiten haben.

Das war nicht unumstritten. So meldeten einige Aktivistinnen Bedenken an. Es sei doch recht problematisch, eine solche Plattform zur Verfügung zu stellen, ohne gleichzeitig vor den Risiken für die Nutzer zu warnen. Schließlich sei es nicht ungefährlich für Menschen ohne Papiere oder mit eingeschränkter Arbeitserlaubnis, ihre Haut zu Markte zu tragen. Auch wurde der Sinn des Ganzen in Zweifel gezogen: Haben Flüchtlinge in Deutschland überhaupt Zugang zu Computern, und wissen sie, wie man sie bedient? Wäre es nicht sinnvoller, sich zunächst einmal um solche Dinge zu kümmern?

Aber jenseits aller Kritik an der praktischen Nutzung: Im Kontext des Kongresses funktionierte das »Jeder Mensch ist ein Experte«-Projekt vor allem als ein Gerät, das jeden, der es denn nutzen wollte, ganz praktisch an das Thema des Kongresses koppelte. Was gibt man ein, wenn der Computer einen fragt, wofür man Experte ist? Das, wofür man sich kompetent glaubt? Das, was man kann? Das, was man können muss? Wo ist der Unterschied? Was will man überhaupt zu Markte tragen? Oder ist es das besondere Privileg und gleichzeitig die eigene Kernkompetenz, dass man sich in einem fort überlegen kann, was man denn nun zu Markte tragen möchte? Und wenn diese Datenbank vor allem für Migranten gedacht ist, welche Fragen werden die sich stellen, wenn sie vor dem Bildschirm sitzen? Die gleichen wie man selbst?

Endlich mal Kultur

Auch das Herumsitzen auf Podien ist eine Expertentätigkeit, und Wochenende für Wochenende sitzt eine Auswahl der immergleichen Panelexperten hinter irgendwelchen Tischen auf irgendwelchen Podesten und unterhält sich über Pop und Politik, Kunst und Virtualität, Internet und Identität, Medien und Repräsentation. Dagegen gibt es wenig einzuwenden, denn wie die meisten Experten, haben auch die gute Gründe, das zu tun, was sie tun: Sie können es nämlich allesamt recht gut. Trotzdem sind diese Veranstaltungen meistens recht ermüdend.

Vielleicht hatte die Stadt München, als sie sich bereit fand, die Veranstaltung zu finanzieren, sich einen solchen Kongress vorgestellt. Die Worte der Kulturreferentin Lydia Andrea Hartl, die sich freute, endlich einmal einen Kongress zum Thema Internet in der Stadt zu haben, auf dem Kultur »kein Schimpfwort« sei, ließen diesen Schluss zu. »Make World« war aber vor allem eins: ein lustiges und niemals langweiliges Durcheinander der Positionen, Erfahrungen und Sprechweisen. Als würde ein europäischer Linker sich seinen Lieblingskongress zusammenträumen, alle seine Freunde plus ganz viele Aktivisten von weiter, Repräsentanten der Kämpfe, die man sonst nur aus dem Fernsehen kennt, einladen, und dann ist auf einmal das Geld da, man kann die Veranstaltung machen, und die Wünsche nehmen Gestalt an, steigen aus dem Flugzeug und sitzen auf einmal in der Ecke, um ihre Papiere und Gedanken zu ordnen.

Arbeiten macht unsichtbar

Und erstaunlicherweise haben sich alle etwas zu sagen. Wahrscheinlich kann man die Folgen der Globalisierung gar nicht verhandeln, ohne Myoung Joon Kim, einen unglaublich diszipliniert wirkenden Video- und Netzaktivisten der südkoreanischen Gewerkschaftsbewegung, Prasad Mohapatra, einen Sozialhistoriker aus Neu Delhi und Franco Bifo Berardi, einen dieser etwas verrückten italienischen Theoretiker, zusammen auf ein Panel zu setzen. Thema: »Representations of Labour«. Tatsächlich hängt die ganze Welt miteinander zusammen. Wenn in den USA etwa die Bürolichter ausgehen, beginnt in Indien der Tag, was dazu führt, dass jemand, dem nachts in Chicago der Kühlschrank kaputtgeht und der deshalb eine Service-Hotline anruft, mit hoher Wahrscheinlichkeit in Bombay oder Neu Delhi landet. Er merkt es jedoch nicht, denn die indischen Telefonistinnen melden sich nicht nur mit einem amerikanischen Namen, im Zuge ihrer Ausbildung bekommen sie sogar einen amerikanischen Akzent antrainiert.

Ein Umstand, der Mohapatra die Parallele zu den Kulis aus dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert ziehen ließ, die auch ihren Namen verloren, sobald sie das Land verließen. Auf den Schiffen, mit denen sie an ihre Bestimmungsorte gebracht wurden, bekamen sie von ihren Herren Nummern und Bezeichnungen wie »Beauty«, »Dilitant«, »Asia«, »Industry« oder »Labour« verpasst. Die Informationalisierung drängt die Arbeit aus der öffentlichen Sphäre, macht sie unsichtbar. Und verkompliziert die Kämpfe, da es äußerst schwierig ist, sich im Unsichtbaren zu organisieren. Denn man ist nicht nur für die Öffentlichkeit verborgen, die Kollegen sieht man auch nicht. Und der eigene Computer wird durch spezielle Software überwacht. Es sei deshalb sehr schwierig, die Produktionsmittel gegen die Unterdrücker zu wenden.

Für Myoung Joon Kim war Repräsentation von Arbeit vor allem Repräsentation von Arbeitskämpfen, einer Kunst, die in Südkorea sehr ausgeprägt und verfeinert zu sein scheint und die mitunter zu Aktionen führt, wie der, dass alle Gewerkschaften ihre Webseiten abschalten und den Netzverkehr zu Mobilisierungsaufrufen für Demonstrationen umleiten.

Für Bifo Berardi schließlich war »Representation of Labour« der Anlass, ein Problem zu konstatieren. Weil der Cyberspace potenziell unendlich, die Cyberzeit aber endlich sei, bleibe nicht genug Zeit zum Prozessieren aller Information. Das führe zu einer Produktionskrise intellektueller Güter, einer Ökonomie der Panik. Frage aus dem Publikum: Wie gehen die südkoreanischen Gewerkschaften mit dem Problem der Scheinselbständigen um? Noch eine Frage: Sollten wir nicht darüber nachdenken, die Arbeit ganz abzuschaffen?

München-Babylon

Wie unterhält man sich auf einem Festival, das, wenn es ernsthaft mit Übersetzern gearbeitet hätte, wahrscheinlich mehr Übersetzer als Teilnehmer benötigt hätte? Auf Englisch. Und dieses Sich-auf-Englisch-Unterhalten führte tatsächlich mitunter dazu, dass man sich wünschte, Muttersprachler zu sein, nicht etwa, um sich besser ausdrücken zu können, sondern im Gegenteil, um all die Bedeutungsverschiebungen, all die Sprachfärbungen, all die kleinen Fehlerchen und Missverständnisse in ihrer vollen Schönheit hören zu können.

Wer hat den Pass?

Es wäre ein wohlfeiler Vorwurf, das »Make-World«-Festival sei so etwas gewesen wie ein gutsortierter Diskurs-Gemischtwarenladen. Denn im Grunde mündete das Erstaunen darüber, wer in Seattle oder Genua alles gemeinsam auf die Straße gegangen war, in die Freude darüber, dass man vielleicht nicht immer die gleichen unmittelbaren Interessen und bestimmt nicht die gleichen Probleme hat, dass die verschiedenen Kämpfe, die ausgefochten werden, aber durchaus miteinander zu tun haben können.

So wurde sich etwa an einem Vormittag Gedanken über subjektives und objektives Staatsbürgerschaftsrecht gemacht, darüber, welche Form von legalem Status der Globalisierung eigentlich angemessen sei. Ob nicht vielleicht das Internet, jener recht wenig kartografierte Raum, und die Möglichkeiten, sich hier dieser oder jener Community anzuschließen oder selbst eine zu begründen, ob dieses Netzwerk nicht ein Modell für andere Arten von Citizenship sein könnte.

Wenige Stunden später ging es dann um die ganz realen Folgen der gegenwärtigen Regelungen des Staatsbürgerrechts. Aktivistinnen, die versuchen, in England Haus- und Kindermädchen ohne legalen Aufenthaltsstatus zu organisieren, berichteten über den Stand der Kämpfe. Etwa wie sie es nach 15jährigem Kampf geschafft hätten, dass die britische Regierung vor einigen Monaten ein Gesetz verabschiedete, das es Hausangestellten, die schlecht behandelt werden, erlaubt, die Familie zu wechseln, ohne automatisch ihr Aufenthaltsrecht zu verlieren. Ein Erfolg, der aber nur einen kleinen Teil der Probleme löst. Wie will man die Familie wechseln, wenn es zur schlechten Behandlung gehört, dass der Pass eingezogen wurde?

Eine Gewerkschafterin aus Kalifornien - eine der Organisatorinnen des legendären Putzkolonnen-Streiks, der dazu führte, dass in Los Angeles wochenlang die Büros stanken, und den die Gewerkschaften schließlich gewannen - berichtete, in den USA sei es für Arbeiter ohne legalen Aufenthaltsstatus möglich, ihren Lohn vor Gericht einzuklagen. Sie hätten schließlich gearbeitet, ob legal oder illegal, und deshalb Anspruch auf ihr Geld.

So vielleicht

Wenn die amerikanische Soziologin Saskia Sassen bei der Auftaktveranstaltung gefordert hatte, die Destabilisierung, die die westliche Welt gerade erlebe, müsse genutzt werden, um politische Räume zu besetzen, neue Begriffe zu erfinden, neues Vokabular auszuprobieren, dann war »Make World« tatsächlich ein Versuch, genau das zu tun. Jeder bringt das mit, was er oder sie in den letzten Jahren gelernt, erfahren oder gemacht hat, man wirft es zusammen und schaut, was passt.

Natürlich hatten die Internet-Experten und Medienfachleute das größere Publikum, nicht zuletzt, weil sie ihre Freunde und Verbündeten mitgebracht hatten, was bei dem südkoreanischen Gewerkschafter oder der philippinischen Haushaltshilfe aus nahe liegenden Gründen nicht der Fall war. Als zum Beispiel der australische Anthropologe und Migrationsforscher Ghassan Hage aus seinen Studien über die Migrationsbewegungen dreier libanesischer Familien einen Begriff der Hoffnung herausdestillierte und eine ganze politische Ökonomie der Hoffnung entwarf - schien auf, wie es denn funktionieren könnte, ein produktives Denken von Grenzen und Orten. Es bleibt doch eh nichts anderes übrig.

Die Mitschnitte der Panels kann man im Netz unter http://make-world.org herunterladen, das Projekt »Jeder Mensch ist ein Experte« findet man unter www.expertbase.net