»Apocalypse Now Redux«

Der Priestermord

»Apokalypse Now Redux« und der Kampf ums Nichts.

Als Marlon Brando während der laufenden Dreharbeiten zu »Apocalypse Now« endlich auf den Philippinen einflog, hatte Francis Ford Coppola ein Problem. Der mit drei Millionen Dollar dotierte Superstar seiner Produktion befand sich in einem Zustand, wie ihn der Regisseur nicht erwartet hatte. Für die vorgesehene Green-Beret-Uniform war Marlon Brando viel zu dick geworden, so dass Coppola ihn ein schwarzes Hemd tragen und ausschließlich von der Hüfte aufwärts filmen ließ. Für die versprochene Lektüre von Joseph Conrads »Heart of Darkness« hatte der Schauspieler keine Zeit gefunden.

In einer Produktion, die alle Beteiligten an ihre Grenzen getrieben und seinem Kollegen Martin Sheen einen Herzinfarkt eingebracht hatte, schien Brando ganz einfach fehl am Platz zu sein. Vielleicht ist die monolithische Wirkung, die seine Darstellung des Colonel Kurtz vermittelt, aber auch gerade diesem Umstand zu verdanken. Wahrscheinlich hätte niemand diese Rolle so gut spielen können wie der übergewichtige, ahnungslose Brando, denn sein Colonel Kurtz ist selbst fehl am Platz: Nicht in Vietnam, sondern in Kambodscha, Soldat ohne Uniform, West-Point-Absolvent mit krankhaft ausgearteten »Methoden«.

In einem zerstörten buddhistischen Tempel hat Kurtz sein Hauptquartier und hier, im Herz der Finsternis, hat Coppola auf einem kleinen Tisch die Referenzen ausgelegt, denen sein Film, abgesehen von der Erzählung Joseph Conrads, noch verpflichtet ist: Zur Lektüre des Colonels gehört die Ausgabe eines anthropologischen Buches aus dem Jahr 1922: Sir James George Frazers »The Golden Bough«.

Die Untersuchung widmet sich dem Kult um die Nachfolgeregelung des Priesteramtes im Tempel der Diana zu Aricia bei Rom. Der urzeitliche Brauch, den Frazer aus einem überbordenden Konvolut magischer und volksreligiöser Praktiken aus beinahe allen Zeiten und Erdteilen (Kambodscha eingeschlossen) zu belegen versucht, regelt die Nachfolge des Priesteramtes durch einen Mord, dessen Zeitpunkt von den Vegetationszyklen abhängig ist. Die Ablösung des schwach gewordenen alten Priesters durch den stärkeren jungen soll den Fortbestand der Fruchtbarkeit in der Natur garantieren.

Was die neu synchronisierte Langfassung von »Apocalypse Now« gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Kriegsschauplätze so brisant erscheinen lässt, ist die gebrochene Form, in der Coppola Frazers »Golden Bough« adaptiert und auf die Bedingungen des Vietnamkrieges übertragen hat. Gebrochen deshalb, weil auch der Film die Geschichte eines Priestermordes erzählt, aber zugleich die mythologischen Konsequenzen negiert. Denn der Mord den Captain Willard, alias Martin Sheen, an Colonel Kurtz verübt, der ihn wie der alternde Priester in Frazers Schilderung geradezu erwartet hat, ist schlechterdings fruchtlos. Aus diesem Akt wird nichts Neues erwachsen, er ist unfruchtbar wie das Treiben des Colonels und der Krieg selbst.

Zwar scheint der Mord einer unerklärten rituellen Regel zu folgen: Willards Kriegsbemalung, sein Eintauchen in den Fluss, das Messer und die Tötung Kurtz' - während eine Parallelmontage zeigt, wie die Eingeborenen vor dem Tempel Ochsen schlachten -, schließlich das Zurückweichen der Menge vor dem blutbesudelten Willard, der nun als neuer Herrscher erscheint. Doch spätestens, wenn Willard seinen letzten verbliebenen Kameraden bei der Hand nimmt, mit ihm zur Musik von den Doors (»The End«) den Tatort verlässt und damit seinen letzten Einsatz abschließt, weiß der Zuschauer, dass der Film nicht auf eine Fortsetzung angelegt ist.

Was die Amerikaner von den Briten und Franzosen, was Coppola von Frazer und den Colonel Kurtz des Films vom Elfenbeinhändler Kurtz in Joseph Conrads Erzählung unterscheidet, ist die grundlegend verschobene historische Situation; von den Tagen der europäischen Imperien bis hin zur Weltpolizei Amerika in Vietnam. Frazer nämlich ist ein britischer Kolonialwissenschaftler, der einen antiken europäischen Mythos aus den Kulturen der gesamten um 1890 unterworfenen Welt herzuleiten versucht. Insofern sucht er die Fruchtbarkeitsfunktion des Priestermordes in den Kulturen der Rohstofflieferanten Europas.

Auch Joseph Conrad bewegt sich 1911 noch in den Koordinaten einer kolonialen Weltkarte. Seine Version des Kurtz wird nicht nur durch abstruse kultische Praktiken, sondern zugleich durch eine extrem hohe Produktivität im Dienste seiner Handelskompanie auffällig. Er liefert mehr Elfenbein, als alle anderen Agenten zusammen. Die Amerikaner treten in Vietnam hingegen nicht als Kolonialmacht auf. Sie wollen kein Territorium verteidigen und keines dazugewinnen. Ihre Legitimation ist ideologischer Natur und angesiedelt im Raster des Kalten Krieges, das sich angesichts der komplexen Beziehungen zwischen Vietnam, China und der Sowjetunion als ziemlich grob erweist. Als Willards Boot an den Gestaden einer ehemaligen französischen Siedlung landet, lässt sich der sprachlose Captain diese Zusammenhänge vom Plantagenbesitzer Hubert deMarais während eines opulenten Diners erklären. Der unerwartete Luxus, der die amerikanischen Soldaten in Staunen versetzt, ist zugleich das Ergebnis einer hermetisch abgeschotteten agrarischen Lebensweise mitten im Dschungel Vietnams. Die Franzosen, die Vietnam in Kolonialzeiten bereits mit lateinischen Buchstaben und europäischer Architektur beliefert hatten, haben hier offensichtlich etwas zu verteidigen.

Die Lektion, die der Plantagenbesitzer Willard mit auf den Weg gibt, markiert denn auch den grundlegenden Unterschied zwischen dem Selbstverständnis der ehemaligen französischen Kolonialherren und den amerikanischen Soldaten: »Warum sind wir hier? Um unse-re Familien zusammenzuhalten. Weil wir um das kämpfen wollen, was uns gehört. Ihr Amerikaner kämpft lediglich um das größte Nichts in der Geschichte der Menschheit.«

Vielleicht ist es seiner Frazer-Lektüre zu verdanken, dass Colonel Kurtz die zugrunde liegende historische Verschiebung offenbar begriffen hat. Zu Captain Willard, den er, wie es im Buche steht, erwartet hat, sagt er: »Sie sind ein Laufbursche. Von Kolonialwarenhändlern geschickt, die Rechnung vorzulegen.«

Niemand setzt die Entwurzelung, die der Karriere vom Plantagenbetreiber zum Kolonialwarenhändler zugrunde liegt, jedoch so konsequent in Aktion um, wie Colonel Kilgore. Seine ganze Leidenschaft gilt dem Surfen. Seine ganze Verzweiflung den schlechten Brandungsverhältnissen an der vietnamesischen Küste. Die Eroberung eines geeigneten Strandes hat für ihn absolute strategische Priorität. Zugleich scheint er im ganzen Film der einzige zu sein, der diesem Krieg mit Leidenschaft einen Sinn abgewinnt.

»Apokalypse Now Redux«, USA. Neu synchronisierte Langfassung. Bereits angelaufen