Proteste gegen den Krieg

Friedlich kämpfen

In der italienischen Friedensbewegung setzen sich die Globalisierungskritiker und die Gegner der USA durch.

Der Krieg einigt die italienische Linke. In keinem anderen Land in Europa finden in diesen Wochen so viele Anti-Kriegs-Demonstrationen statt wie in Italien. Einen ersten Höhepunkt erreichten die fast täglichen Proteste am vorletzten Sonntag: 150 000 Kriegsgegner wanderten von Perugia nach Assisi. Zwar wird der traditionelle Friedensmarsch seit 40 Jahren vor allem von Gruppen aus dem kirchlichen Umfeld organisiert, doch in diesem Jahr beteiligte sich auch ein großer Teil des linken Spektrums an der Mobilisierung. Selbst das Netzwerk Genua Social Forum (GSF), das sich Anfang des Jahres zusammengeschlossen hatte, um die Großkundgebungen gegen den G 8-Gipfel in Genua zu organisieren, nahm schließlich an dem Friedensmarsch teil.

Wochenlang hatten die Globalisierungskritiker vom GSF und die Koordinatoren der Friedenstafel, die den alljährlichen Marsch für den Frieden organisieren, um den Wortlaut des Aufrufs zu der Demonstration gestritten. So hatte die Friedenstafel in ihrer offiziellen Erklärung einen Militäreinsatz nicht ausdrücklich abgelehnt, solange er im Rahmen einer internationalen Polizeiaktion stattfinde. Für das GSF ist der Fall einfacher. »Wir wenden uns ohne wenn und aber gegen jede Form von Militäreinsätzen«, stellte Vittorio Agnoletto, der Sprecher des GSF, fest. »Wir sagen auch nein zu einer chirurgischen Operation. Die Erfahrungen aus dem Kosovo-Krieg haben gezeigt, dass es keine humanitären Kriege gibt.«

Die so genannte »Bewegung der Bewegungen«, ein breites soziales Netzwerk von verschiedensten Gruppen und Organisationen, die das Thema Globalisierungskritik eint, scheint problemlos von einer Mobilisierung gegen die ökonomische Weltmacht USA zu einer Mobilisierung gegen die militärische Weltmacht übergegangen zu sein - von »no-glob« zu »no global war«. Luca Casarini, der Sprecher der Tute bianche, sagte dazu: »Wir lassen uns nicht in einen Krieg ziehen zwischen religiösen Fundamentalisten und den Fundamentalisten des freien Marktes.«

Das GSF schloss sich dem diesjährigen Friedensmarsch erst an, als die Koordinatoren, Pater Flavio Lotti und Pater Nicola Giandomenico, sich ausdrücklich gegen die Angriffe auf Afghanistan wandten und erklärten: »Die Entscheidung der USA zu einem Angriff auf Afghanistan ist falsch, illegal und gefährlich. Illegal weil er gegen die UN-Charta verstößt. Gefährlich, weil er die amerikanischen Bürger und ihre Verbündeten einer Kette terroristischer Angriffe aussetzen wird.« Schließlich einigte man sich auf ein Motto für die Großdemonstration, dem alle zustimmen konnten: »Nein zu Krieg und Terrorismus«. Luca Casarini sieht dies als Erfolg: »Ein weiteres Mal ist es nicht gelungen, diese Bewegung zu spalten.«

Auch die Rifondazione comunista, die sich neben den Grünen als einzige Partei geschlossen gegen die Militärschläge in Afghanistan ausgesprochen hat, beteiligte sich an dem Friedensmarsch. »Die Bedrohung für die Menschheit ist groß. Hier wird ein Krieg begonnen, dessen Ausgang niemand vorhersagen kann und der genau das bewirken könnte, was die Terroristen bezwecken wollten«, erklärte der Parteivorsitzende Fausto Bertinotti.

Selbst Vertreter des Mitte-Links-Bündnisses, wie der ehemalige Premierminister Massimo D'Alema (Linksdemokraten) oder sein Wunschnachfolger Francesco Rutelli (Demokraten), nahmen die Mobilisierung für die Großkundgebung gegen den Krieg zum Anlass, sich als oppositionelle Friedenskämpfer darzustellen. Beide hatten knapp eine Woche zuvor im Parlament für die Ausrufung des Bündnisfalls gestimmt.

Linksdemokraten wie Maria Rita Lorenzetti, die Präsidentin der Region Umbrien, oder der Bürgermeister von Perugia, Renato Locchi, warnten davor, dass der Friedensmarsch zu einer antiamerikanischen Demonstration geraten könnte. In der italienischen Linken dagegen scheinen sich nur wenige an dieser Tendenz der Proteste zu stören. Als am Abend des 7. Oktober, nach den ersten Luftangriffen auf Afghanistan, Demonstranten in Rom eine US-amerikanische Flagge auf der Piazza Barberini verbrannten, präsentierte die linke Tageszeitung il manifesto den Vorfall als ein kleines Detail in einem Jubelartikel über die vielen Spontandemos in Italien.

Bemerkenswert ist auch ein Leitartikel in il manifesto von Rossana Rossanda, einer der Gründerinnen der Zeitung. Unter der Überschrift »Anmerkungen einer Anti-Amerikanerin« zeigte sie sich verwundert, dass so viele Leute aus ihrem Bekanntenkreis derzeit zögern, sich zum Antiamerikanismus zu bekennen. Schließlich verfolgten die USA noch immer eine imperialistische Politik, der andere Bevölkerungen zum Opfer fielen. Für Rossanda steht fest: »Wer hinter den Anschlägen steht, zielte auf die Arroganz der USA im Nahen Osten.« Die Linke habe sich nach 1989 das Haupt mit der Asche des Kommunismus bestreut und es versäumt, sich mit den prekären Lebensbedingungen in anderen Regionen der Welt zu beschäftigen. Als Beispiel nannte sie Palästina. Belastet mit einem »schlechten Gewissen gegenüber den Juden«, hätten »viele von uns sich eingeredet, nichts tun zu können«. In den derzeitigen Ereignissen sieht Rossanda nun die Rechnung für diesen Rückzug der Linken.

Mit ihrer Argumentation, die von den Anschlägen in den USA geradlinig nach Israel führt, steht Rossanda bei il manifesto nicht allein. Nicht umsonst ist die Nahostberichterstattung von den Auslands- auf die Brennpunktseiten zu den Terroranschlägen und ihren Folgen gerutscht. Schon immer wurden in der Zeitung propalästinensische Positionen vertreten, aber noch nie wurde so offen Stimmung gegen Israel gemacht. Wie ein Schlüsselreiz taucht der Name Sharon regelmäßig in mehreren Überschriften pro Ausgabe auf.

In einem anderen Leitartikel von Anfang Oktober schrieb Rossanda: »Es ist nicht das erste Mal, dass die USA auf die falsche Karte gesetzt haben.« Und sie verglich die frühere finanzielle und militärische Unterstützung der USA für die Taliban mit der US-Unterstützung für die israelische Rechte. Jahrelang habe man dieser den Rücken gestärkt, statt auf die Umsetzung der UN-Resolution zu bestehen, die von Israel den Rückzug hinter die Grenzen von 1967 fordert. Doch vielleicht ist auch in der italienischen Linken nicht alles so einfach, wie es scheint. Die Zweifler bleiben eben zu Hause und sind nicht zu hören.