Streit in der Bundesregierung

Rot-Grün wird immer sicherer

Ob es um die Militarisierung der deutschen Außenpolitik geht oder um den Ausbau des Polizeistaats: Die rot-grüne Koalition hält zusammen, trotz gelegentlicher Streitereien.

Anders als die Reaktionen von Teilen der bundesdeutschen Linken kann das Verhalten der Grünen nach den Anschlägen in New York und Washington kaum überraschen. Dass sie dem Krieg in Afghanistan und einer möglichen Beteiligung der Bundeswehr zustimmen, war ebenso abzusehen wie die obligatorischen Rückzugsgefechte der bekannten grünen Vorzeigefriedensfreunde, als klar wurde, dass militärisch wirklich ernst gemacht wird.

Kurz vor der Berliner Wahl entdeckte die Parteivorsitzende Claudia Roth Anfang vergangener Woche ihr pazifistisches Gewissen wieder und plädierte für ein Aussetzen der Bombardements, sogar der grüne Parteirat stimmte ihr kurz darauf zu. Den besten Kommentar zum letzten Aufbäumen der Grünen gegen den anglo-amerikanischen Luftkrieg lieferte indes Harald Schmidt: »Und in China ist ein Fahrrad umgefallen.«

Roth & Co. haben ohnehin nicht aus realpolitischen Gründen die alten Forderungen der Friedensbewegung ausgepackt, sondern allein aus taktischen Erwägungen. Vor den anstehenden Wahlen ging es ihnen darum, »das Profil zu schärfen«.

Dass Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) angesichts der Rothschen Forderungen lospolterte, wer gegen die Richtlinienkompetenz des Kanzlers verstoße, müsse sich über die Konsequenzen im Klaren sein, deutete mitnichten einen bevorstehenden Koalitionsbruch an. Im Gegenteil. Nun hat jeder bekommen, was er braucht.

Der Kanzler konnte sich als Macher profilieren, als starker Mann, den Deutschland in so schweren Zeiten bekanntlich braucht und der im kommenden Jahr weiterhin Schröder und nicht Stoiber heißen soll. Und die Grünen haben ihrer bröckelnden Basis zeigen können, dass sie sich auch nicht alles gefallen lassen. Joseph Fischer kann sich wieder seiner Lieblingsrolle widmen und mimt den allzeit vermittlungsbereiten Staatsmann, der seine Parteifreunde väterlich herablassend in die realpolitischen Schranken weist.

Irgendwie sei es ja schon gut gemeint, was Claudia Roth fordere, erklärte Fischer in der vergangenen Woche der Süddeutschen Zeitung. Das sei Ausdruck »eines tief empfundenen, ehrlichen Engagements«, höhnte der Außenminister. Roth habe sich ja immer um Menschenrechte gekümmert, doch derzeit gebe es nun einmal keine andere Lösung als Bomben. Denn anders werde man die Taliban nicht los, deren Herrschaft schließlich »das Kernproblem bei der Beseitigung dieser humanitären Katastrophe« sei.

Dass die Taliban ihre Herrschaft zu einem Gutteil den USA verdanken, ficht den grünen Außenminister dabei ebenso wenig an wie so manchen linken Bellizisten. Und natürlich weiß Fischer, dass die USA selbstverständlich alles tun, »um zivile Opfer zu vermeiden«.

Auch die grüne »Antimilitaristin« Angelika Beer ist dafür, dass weitergebombt wird. Sie hält es denn auch für eine »realistische Option«, dass die Bundeswehr demnächst mit ein paar Spürpanzern vom Typ »Fuchs« in Afghanistan mit von der Partie sein wird. Die rot-grüne Bundesregierung wird also aller Voraussicht nach deutsche Soldaten zum Kampf in die Welt hinaus schicken. Und diesmal geht es nicht nur auf den Balkan, sondern bis nach Mittelasien. Aber schließlich ist der Feind diesmal ja auch noch viel skrupelloser als Slobodan Milosevic.

Sicher ist: Wie der Kosovo-Krieg wird auch die Entsendung von deutschen Kampfeinheiten nach Afghanistan die rot-grüne Koalition nicht sprengen. Das Parlament dürfe aber auf keinen Fall durch eine nachträgliche Abstimmung umgangen werden, warnte der grüne Bundestagsabgeordnete Winfried Hermann. Schließlich will man nicht hinterher zustimmen, sondern vorher. Und auch die so genannte SPD-Linke hat keine grundsätzlichen Bedenken anzumelden, sondern sie will nur Detailfragen klären. Die Zustimmung zu einem Militäreinsatz hänge davon ab, ob er angemessen sei, sagte der SPD-Abgeordnete Klaus Barthel der Jungle World. »Kann man uns glaubhaft machen, dass es zielgerichtet gegen den Terrorismus geht?« Das dürfte kein Problem sein.

Ebenso wie die weitere Militarisierung der Außenpolitik wird auch der Ausbau des Polizeistaates im Inneren kaum an SPD-Linken oder grünen Zweiflern scheitern. Zwar haben die bayerischen Grünen die von Bundesinnenminister Otto Schily geplanten Maßnahmen zur Inneren Sicherheit als überzogen kritisiert und am Sonntag auf ihrem Landesparteitag in Augsburg fast einstimmig eine Resolution verabschiedet, in der es heißt, dass die Vorschläge »Sicherheit nur vorgaukeln«, egal ob sie nun von Schily oder vom bayerischen Innenminister Günther Beckstein kommen. Doch angesichts der allgemeinen Terrorpanik und der bevorstehenden Bundestagswahlen dürften die kritischen Stimmen bald schon verstummen.

Der Diskussion über »eine effiziente und effektive Politik der Inneren Sicherheit« werde sich auch die SPD-Linke nicht verschließen, verspricht deren Sprecherin Andrea Nahles. »Wir plädieren jedoch für eine gründliche Abwägung zwischen einer entschlossenen, aber vernünftigen Politik der Inneren Sicherheit und der Wahrung langfristiger Freiheitsrechte.« Und die Vorsitzende der Grünen, Claudia Roth, erklärte, auch wenn sie gegen eine Wiedereinführung der Kronzeugenregelung sei, so werde ihre Partei doch alle vorgeschlagenen Maßnahmen überprüfen.

Im Bundesjustizministerium hat man das inzwischen getan und das zweite Anti-Terror-Paket genauer unter die Lupe genommen. In einem 32seitigen Gutachten aus dem Hause Herta Däubler-Gmelins findet man deutliche Worte zu Schilys Vorhaben. Es sei verfassungsrechtlich bedenklich, nicht verhältnismäßig und rechtstaatlich problematisch.

So seien etwa die geplanten verdachtsunabhängigen Ermittlungen und »Datensammlungen auf Vorrat« verfassungsrechtlich unzulässig. Höchst bedenklich ist nach dem Gutachten des Ministeriums auch der Plan, dass Kredit-, Post- und Telekommunikationsunternehmen dem Verfassungsschutz Auskunft über Kunden geben müssen, ohne die Betroffenen davon zu informieren.

Zu weit geht dem Bundesjustizministerium die »beinahe uferlose Ausweitung der Ermittlungszuständigkeit des Bundeskriminalamtes« wie auch die geplante Überprüfung der Mitarbeiter von Krankenhäusern, Wasser- und Elektrizitätswerken sowie von Rundfunk- und Fernsehstationen. Kritisiert werden zudem die vorgesehenen Verschärfungen im Ausländer- und Asylrecht. In dem Gutachten des Justizministeriums werden die Speicherung von Fingerabdrücken und Daten von Asylbewerbern für eine Dauer von zehn Jahren, die Registrierung der Religionszugehörigkeit aller Ausländer im Ausländerzentralregister sowie die Ausweisung von Ausländern, gegen die lediglich der Verdacht des Terrorismus oder einer schweren Straftat besteht, abgelehnt.

Immerhin wird Schilys zweiter Maßnahmenkatalog nun doch nicht so schnell durchgepeitscht wie geplant. Nicht schon in dieser Woche, sondern erst am 7. November soll er vom Bundeskabinett verabschiedet werden. Und vielleicht fällt am Ende sogar noch etwas Positives dabei ab. Wie aus der SPD verlautete, wird angesichts der augenblicklichen Sicherheitslage angeblich über einen Stopp der Castor-Transporte nachgedacht - was die weitere Einschränkungen der Grund- und Freiheitsrechte allerdings auch nicht wirklich erträglicher macht.

Gewiss ist jedenfalls, dass Schily seine Vorhaben realisieren wird, wenn auch vielleicht mit ein paar kleinen Änderungen. Schließlich wissen auch die Bedenkenträger in der rot-grünen Koalition, dass sie einen wie ihn brauchen, um an der Macht zu bleiben. Nicht zuletzt die Hamburger Senatswahl und der Erfolg des rechtspopulistischen Ronald Barnabas Schill haben das deutlich gemacht. Ohne einen Hardliner vom Schlage Otto Schilys droht die Abwahl im Jahr 2002. Wohl auch deshalb macht sich Claudia Roth stark für den starken Staat. Wenn nicht Fundamente unseres Rechtsstaates tangiert werden, verkündete sie, »dann sind wir selbstverständlich dabei«.