Selbstverwaltung ausgesetzt

Stepptanz in Belfast

Nach dem Rückzug der loyalistischen Parteien wurde die nordirische Selbstverwaltung zum zweiten Mal ausgesetzt.

Die IRA hat nicht nur bei der Entwaffnung versagt, sondern sich auch weiterhin an Gewalt und Mord beteiligt.« Für David Trimble, den Vorsitzenden der protestantischen Ulster Unionist Party (UUP), war am vergangenen Mittwoch klar, wer für die erneute Aussetzung des Friedensprozesses in Nordirland verantwortlich ist. Seine Partei habe sich 18 Monate lang an der Verwaltung beteiligt, ohne dass die republikanische Untergrundorganisation IRA ernsthaft bemüht gewesen sei, ihre Waffenbestände zu vernichten, sagte Trimble.

Kurz zuvor hatten die beiden loyalistischen Parteien, die UUP und die Democratic Unionist Party (DUP), erklärt, dass sie ihre Minister aus der paritätisch aus Katholiken und Protestanten zusammengesetzten nordirischen Selbstverwaltung zurückziehen werden. Trimble war bereits im Juni vom Amt des Ersten Ministers der Provinz zurückgetreten.

Der britische Nordirlandminister John Reid muss nun innerhalb von sieben Tagen entscheiden, ob er die politischen Institutionen der Selbstverwaltung erneut suspendiert, oder ob er das Karfreitagsabkommen von 1998 für gescheitert erklären soll. Damit würde die Provinz wieder vollständig unter britischer Verwaltung stehen.

Wegen der anhaltenden Gewalt in Nordirland sieht auch Reid derzeit keine Möglichkeit, den Friedensprozess fortzusetzen. Allerdings macht er nicht die IRA, sondern die loyalistischen Paramilitärs wie die Ulster Defence Association (UDA) für die jüngste Eskalation verantwortlich. Denn Trimble verweist zwar gerne auf die Depots der IRA, die Waffen der eigenen Paramilitärs erwähnt er jedoch nicht.

Erst am 12. Oktober hatte der Nordirlandminister erklärt, dass er den Waffenstillstand der loyalistischen Organisationen nicht länger anerkenne. Es gebe Anzeichen dafür, dass die Paramilitärs an der Ermordung des katholischen Journalisten Martin O'Hagan vor drei Wochen beteiligt gewesen seien.

Der UDA warf er vor, die Krawalle in Nordbelfast dirigiert zu haben. Die so genannten Red Hand Defenders, eine Tarnorganisation der UDA, sollen für Anschläge und Ausschreitungen verantwortlich gewesen sein, als protestantische Bewohner des Nordbelfaster Bezirks Ardoyne im September gegen katholische Schülerinnen und deren Eltern vorgingen, die auf dem Schulweg protestantisches Gebiet durchquerten.

Die liberale nationalistische Social Democratic Labour Party (SDLP) und die der IRA nahe stehende Partei Sinn Fein begrüßten denn auch die Aussage Reids. Sie sei schon lange überfällig gewesen, erklärte der Sinn Fein-Vertreter Gerry Kelly. Dennoch sei es schade, dass die Regierung in London erst nach einem Jahr auf die Klagen der UDA-Opfer reagiere. 200 Bombenanschläge auf katholische Haushalte habe es allein in dieser Zeit gegeben.

Obwohl sich nach dem Karfreitagsabkommen die militanten Organisationen beider Seiten zur Entwaffnung verpflichtet haben, ist die größte Aufmerksamkeit nach wie vor auf die IRA gerichtet. Die Regierungen in London und Dublin hoffen nun, dass die republikanische Untergrundorganisation, die sich für den Friedensprozess ausspricht, schnell reagiert, um ein vollständiges Scheitern der Selbstverwaltung in Stormont zu verhindern. Am vergangenen Freitag hat der britische Premierminister Tony Blair sich deswegen während der EU-Konferenz in Gent mit seinem irischen Kollegen getroffen. Die Regierung in Dublin solle ihren Einfluss auf die republikanischen Parteien geltend machen.

Die Sicherheitskräfte in Nordirland und in der Republik Irland glauben jedenfalls, dass die IRA kurz davor ist, zwei ihrer geheimen Waffendepots einzubetonieren. Fraglich ist nur, ob es schnell genug geschieht. Beide Depots wurden von internationalen Inspekteuren besichtigt. Die Entwaffnungskommission unter dem Vorsitz des kanadischen Generals John de Chestelain bestätigte schon vor Monaten, dass die IRA ernsthafte Schritte zur Vernichtung einiger Waffenarsenale unternommen habe.

Ihr ursprüngliches Entwaffnungsangebot hatte die IRA aber zurückgezogen, da es von David Trimble als ungenügend zurückgewiesen worden war. Auch habe die britische Regierung nach Ansicht der IRA zu wenig zur geplanten Reform der nordirischen Polizei beigetragen.

Blair bemüht sich derzeit außerdem intensiv um die protestantischen Minister. Er will unbedingt erreichen, dass die Unionisten ihre Ämter so bald wie möglich wieder aufnehmen. Auf eine Anfrage aus London erklärte Trimble zwar, seine Minister seien bereit, ihre Sitze wieder einzunehmen, sobald die IRA einen »glaubhaften und nachweisbaren« Anfang mache, sich ihrer Waffen zu entledigen. Doch Jeffrey Donaldson von der radikal-loyalistischen DUP warnte sogleich, eine einmalige Aktion der IRA reiche nicht. »Es muss eine vollständige Entwaffnung geben«, sagte der Parlamentarier aus Lagan Valley. »Wir haben unsere Minister zweimal zurückgezogen und wir behalten uns das Recht vor, es auch ein drittes Mal zu tun.«

Beide Konfliktparteien machen entschiedene Handlungen ihrer Gegner zur Voraussetzung, die aus dem Karfreitagsabkommen hervorgehenden Selbstverpflichtungen zu erfüllen. So fordern die IRA und die Sinn Fein von der britischen Regierung, die Sicherheitsvorkehrungen in den republikanischen Hochburgen zu lockern.

Zudem verlangen sie von David Trimble eine Garantie, dass er nicht noch einmal die politischen Institutionen zu Fall bringt. Schließlich sollen »alle bewaffneten Gruppen ihre Waffen unbrauchbar machen - einschließlich der IRA«, erklärte Martin McGuinnes von der Sinn Fein, der in Stormont das Amt des Erziehungsministers bekleidet.

Doch selbst wenn sich die republikanischen Organisationen bald zu einer Vernichtung ihrer Waffen entschließen sollten, besteht weiterhin ein ungelöstes Problem. Denn nach wie vor ist unklar, wie die radikalen Splittergruppen wie die Real IRA und die Continuity IRA reagieren werden. Die Real IRA hat bereits angekündigt, im Falle einer Entwaffnung der ehemaligen Kampfgenossen ihren Vornamen zu streichen und unter der Bezeichnung IRA den bewaffneten Kampf weiterzuführen.

Anzeichen, dass die republikanischen Splittergruppen nicht mehr unter Kontrolle sind, gibt es viele. Erst in der vergangenen Woche verhafteten Sicherheitskräfte der Royal Ulster Commissionary (RUC) ein Ehepaar, auf dessen Grundstück eine aus 60 Kilogramm Sprengstoff hergestellte Bombe gefunden worden war. Der Fundort liegt nur etwa 15 Kilometer von der nordirischen Stadt Omagh entfernt, wo die Real IRA 1998 mit einer Autobombe 29 Menschen tötete.

Die RUC vermutet, dass der Sprengsatz für einen Anschlag von Republikanern gedacht war, die dem Friedensprozess feindlich gesonnen sind. Pat Doherty, der Vizepräsident der Sinn Fein, versuchte zwar sofort, den Fall herunterzuspielen. Die Personen, die hinter dem geplanten Anschlag stünden, hätten nur wenig Unterstützung in der Bevölkerung, erklärte er. Sie würden weder über ein Mandat noch über eine Strategie verfügen, um einen politischen Wechsel herbeizuführen.

Doch auch von den loyalistischen Paramilitärs droht weitere Gewalt. So warnte ein Führer der UDA die britische Regierung, ein hartes Vorgehen gegen militante Unionisten könne mit Krawallen beantwortet werden. »Es wird keine Busse mehr geben in Belfast, sie werden verbrannt«, sagte der UDA-Sprecher der britischen linksliberalen Sonntagszeitung The Observer. »Tony Blair wird sich nicht nur um Ussama bin Laden kümmern müssen, Nordirland wird außer Kontrolle geraten.«