Israelische Rückzugsdiskussionen

Gaza zuerst?

Im Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern ist letzte Woche einiges in Bewegung gekommen. Zwar beteuerte die US-Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice erneut, die amerikanische Forderung an Israel, gegen die Palästinenser zurückhaltender vorzugehen, habe nichts mit der »Anti-Terror-Allianz« mit arabischen und islamischen Staaten zu tun. Dennoch ist klar, dass den kontroversen Diskussionen auf israelischer Seite, wie man aus dem derzeitigen strategischen Dilemma wieder herauskommen kann, genau jener Druck der USA zugrunde liegt.

Nach dem Einmarsch der israelischen Armee (IDF) in acht palästinensische Städte im Westjordanland vor zwei Wochen, der als Reaktion auf die Ermordung des israelischen Tourismusministers Rechavam Ze'evi erfolgt war, ist keine der in diesem Zusammenhang erhobenen Forderungen Israels von der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) erfüllt worden. Weder die zwei mutmaßlichen Mörder Ze'evis noch die hundert weiteren von Israel schon länger des Terrorismus Beschuldigten hat Jassir Arafats Behörde bislang festgesetzt, geschweige denn an Israel ausgeliefert. Von einem Ende palästinensischer Attacken kann genauso wenig die Rede sein. Der Rückzug aus drei der acht Städte ist dennoch erfolgt. Grundlage waren Absprachen zwischen den Sicherheitskräften beider Seiten auf lokaler Ebene, die dort tatsächlich zu einer relativen Ruhe geführt haben. Trotz eines Anschlags in Jerusalem, bei dem am Sonntag zwei israelische Jugendliche getötet wurden, zog sich die IDF in der Nacht zum Montag auch aus al-Qalkiya zurück. Ob die IDF allerdings die übrigen Orte in der unter PA-Kontrolle stehenden A-Zone ebenfalls räumen wird, ist noch unklar.

Jedenfalls stellt der taktische Rückzug eine Umsetzung dessen dar, was Israels Außenminister Shimon Peres schon länger propagiert: Stück für Stück lokal Waffenstillstand erreichen und derweil bereits mit politischen Verhandlungen beginnen. Am Samstag trafen sich Peres und Arafat zweimal am Rande einer Wirtschaftskonferenz auf Mallorca. Konkrete Ergebnisse gab es nicht, zudem beeilten sich alle Beteiligten mit der Feststellung, es habe sich nicht um Verhandlungen gehandelt. Trotzdem demonstrierte Peres damit einmal mehr, dass in der Koalition mit Likud-Chef Ariel Sharon im Moment er derjenige ist, der die Initiative ergreift.

So kommentierte Gideon Samet in der linksliberalen Tageszeitung Ha'aretz, Sharons bislang einziger außenpolitischer Erfolg sei das »Aufschieben jeglicher ernsthafter Diskussion mit Arafat« gewesen. Die israelische Armee habe nunmehr »die Grenzen dessen erreicht, über die hinaus nicht einmal Sharon sie gehen lassen kann«. Soll heißen: Mehr kann Israel sich militärisch nicht mehr erlauben, gerade mit Blick auf Washington. Mehr kann Sharon aber mit seiner bisherigen Strategie auch nicht erreichen.

Internen Berichten der IDF zufolge treffen die Blockaden in den besetzten Gebieten die Palästinenser vor allem wirtschaftlich, während Attentate in Israel damit kaum verhindert werden können. Zudem würden führende Generäle die Truppen aus der A-Zone am liebsten sofort abziehen, denn über bereits erfüllte taktische Ziele hinaus sei dort nichts mehr zu erreichen. Würde Sharon versuchen, diese strategische Sackgasse durch politische Initiativen zu verlassen, stünde er jedoch sofort im Kreuzfeuer seiner rechtsnationalistischen Koalitionspartner.

Als Peres letzte Woche auch noch vorschlug, Israel solle sich aus dem Gazastreifen vollständig zurückziehen und alle jüdischen Siedlungen dort räumen, hatte er einer Umfrage zufolge die Unterstützung von 60 Prozent der Israelis für diesen Plan. So war Sharons Behauptung, er sei dabei, ein Verhandlungsteam unter seiner Leitung zusammenzustellen, wohl hauptsächlich zur Wiederherstellung der Kontrolle über seinen eigenen Außenminister gedacht.