Reaktionen der CDU/CSU auf Schilys Einwanderungsgesetz

Rot-Grün hält dicht

Die Union empört sich über Schilys neues Einwanderungsgesetz. Warum eigentlich?

Die Reaktionen von CDU und CSU auf das am vergangenen Mittwoch vom Bundeskabinett verabschiedete Zuwanderungsgesetz erweckten fast den Eindruck, als wäre etwas Sinnvolles beschlossen worden. Das Gesetz, dem ein medienwirksames rot-grünes Fingerhakeln vorausgegangen war, führe »zu einer ganz massiven Ausweitung der Zuwanderung und weiterem Anstieg der Arbeitslosigkeit«, krakeelte der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Erwin Marschewski. Der rot-grüne Kompromiss habe das Gesetz »in eine Sackgasse« gebracht, tönte auch Bayerns CSU-Innenminister Günther Beckstein. Die rot-grünen Pläne könnten wie ein »Sog« ausgerechnet auf jene arabischen Länder wirken, »die wir seit dem 11. September für besonders problematisch halten«.

Sein Parteivorsitzender Edmund Stoiber kündigte gar an, die Zuwanderung zum Wahlkampfthema machen zu wollen. Stoiber behauptete, 75 Prozent der Bevölkerung lehnten die rot-grüne Zuwanderungspolitik ab. Mit dem jetzt vorgelegten Gesetz habe Schily seine Ankündigung »ad absurdum« geführt, auf die Unionsparteien zugehen zu wollen. Es sei egal, ob der nun vom Bundeskabinett beschlossene Gesetzentwurf noch vor der Wahl zu Stande komme oder nicht. »Entscheidend ist, dass die Menschen im kommenden Jahr ihr Votum darüber abgeben«, so Stoiber.

Erstaunliche Reaktionen auf ein Gesetz, das zusammen mit den ebenfalls am vergangenen Mittwoch von der Regierung beschlossenen Änderungen des Ausländer- und Asylverfahrensrechts im Rahmen des Sicherheitspakets II eigentlich ganz nach dem Geschmack der Union sein müsste. Denn im Grunde sind sich CDU/CSU und die rot-grüne Bundesregierung einig. Es geht nicht um ein Gesetz, das das Land in die Lage versetzt, »auf Einwanderungsprozesse sozial, human und demokratisch zu reagieren«, wie es die Grünen noch 1998 in ihrem Bundestagswahlprogramm forderten. Stattdessen stellte Schily bei seiner Präsentation des Gesetzes am vergangenen Montag klar: »Das neue Zuwanderungsgesetz wird erheblich dazu beitragen, die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft zu sichern, Arbeitsplätze zu schaffen, die Zukunft zu gestalten und damit zugleich die Zuwanderung besser als bisher zu begrenzen und den Missbrauch des Asylrechts einzudämmen.« Schily betonte, seine aktuelle Vorlage enthalte »nichts, was nicht vereinbar wäre« mit dem Bericht der CDU-Zuwanderungskommission unter dem saarländischen Ministerpräsidenten Peter Müller. Entsprechend weit bleibt sie selbst hinter den Empfehlungen von Bevölkerungswissenschaftlern und auch den Vorschlägen der Süssmuth-Kommission zurück.

Während die Grünen sich auf die Schultern klopfen, weil sie Schily doch so viel abgerungen haben, und von einem »tragfähigen Kompromiss« sprechen, fällt die Bilanz von Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen weit weniger euphorisch aus. Die Gesetzentwürfe zum Zuwanderungsgesetz und zum Anti-Terror-Paket II seien »teuer erkauft«, urteilte Pro Asyl-Geschäftsführer Günter Burkhardt. Das Zuwanderungsgesetz enthalte gravierende Verschlechterungen und Lücken, wie etwa eine Härtefallregelung. Die Hürden zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis würden für viele bisher Geduldete unerreichbar hoch sein. Auch könne der Nachweis, dass eine Ausreise weder »möglich« noch »zumutbar« sei, kaum erbracht werden, befürchtet Burkhardt. Außerdem werde ein generelles unbefristetes Arbeitsverbot für diejenigen eingeführt, die künftig nur noch eine so genannte Bescheinigung statt der bisherigen Duldung besitzen. Zudem sei die Anwendung der Europäischen Menschenrechtskonvention weiterhin nicht bindend.

Das Sicherheitspaket II beinhalte eine drastische Verschärfung der Ausweisungstatbestände. Klagen gegen Ausweisungen sollen zukünftig keine aufschiebende Wirkung mehr haben. Dies sei eines Rechtsstaates unwürdig, kritisiert Burkhardt. Trotz öffentlicher Kritik sei auch die schrankenlose Datenübermittlungspflicht des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge an die Geheimdienste unverändert in die Regierungsvorlage übernommen worden. Der Flüchtlingsschutz werde durch die Weitergabe von sensiblen Informationen aus dem Asylverfahren gefährdet.

Tatsächlich können die Grünen nur auf ihrem Konto verbuchen, Regelungen verhindert zu haben, die allzu drastisch der Rechtsstaatlichkeit widersprächen. So soll die Verweigerung eines Visums sowie eine Ausweisung lediglich aufgrund eines »Terrorismusverdachts« nun doch nicht möglich sein. In dem Entwurf heißt es aber, die von einem »Ausländer ausgehende Gefahr« müsse »entweder gegenwärtig bestehen oder für die Zukunft zu erwarten sein«. Ein rechtskräftiges Urteil ist nach wie vor nicht Voraussetzung für eine Ausweisung. Völlig offen bleibt, wer künftig unter die neu eingeführte Kategorie »Regelausweisung« fällt, weil er »einer Vereinigung angehört, die den internationalen Terrorismus unterstützt oder eine derartige Vereinigung unterstützt«. Für ein Einreiseverbot soll künftig bereits die Feststellung einer »Gefährdung der freiheitlichen-demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland« genügen. Doch wie wird die festgestellt? Indem man im Heimatland eines Flüchtlings nachfragt, ob dieser ein Terrorist ist? Das könnte interessante Folgen haben, wie der CDU-Bundestagsabgeordnete Heiner Geißler richtig erkannt hat: »Wenn man die Definition von der Beurteilung durch die verfolgenden staatlichen Organe abhängig macht, müsste man auch den Dalai Lama nach China ausliefern.«

In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung warnte Geißler die Union eindringlich davor, die Begrenzung der Zuwanderung zum Wahlkampfthema zu machen. »Ich bin nach wie vor der Meinung, dass die Idee, Ausländer zum Thema des Wahlkampfs zu machen, in die Psychiatrie gehört.« Zu seiner Auffassung könnte der Migrationsbericht der Bundesregierung beigetragen haben, den die Beauftragte der Bundesregierung für Ausländerfragen Marieluise Beck vergangene Woche vorgestellt hat. Wenn die Politik das Gefühl nähre, es gebe eine »Überflutung« oder »Dämme würden brechen«, dann halte das einer Überprüfung durch statistisches Material nicht Stand, konstatierte Beck. In puncto Zuwanderung stünde die Bundesrepublik in Europa gerade einmal an fünfter Stelle. Im vergangenen Jahr seien 648 846 Ausländer in die Bundesrepublik gezogen, allerdings nur 86 500 mehr als das Land verlassen hätten. 1999 habe diese Zahl bei 118 000 gelegen, 1997 und 1998 habe es sogar mehr Fort- als Zuzüge von Ausländern gegeben (1997: 21 768; 1998: 33 455). Weiter heißt es in dem Bericht, dass im vergangenen Jahr sowohl die Zahl der Spätaussiedler als auch der Asylantragsteller erneut zurückgegangen sei. 79 000 Flüchtlinge hätten im Jahr 2000 Asyl beantragt, gut 16 000 weniger als im Vorjahr. 1992 betrug ihre Zahl noch 438 000.

Im Dezember wird der Bundesrat über den Schily-Entwurf beraten. Mit jedem Zugeständnis an die Grünen habe sich der Bundesinnenminister »weiter von der dafür nötigen mehrheitlichen Zustimmung im Bundesrat« entfernt, orakelte Beckstein.