Nahost-Diplomatie und Debatte über Neutralität

Überall dabei sein

Österreichs Bundespräsident übt sich in sanfter Diplomatie mit den arabischen Staaten. Kanzler Schüssel möchte gerne das Heer in den Krieg gegen den Terror schicken.

Der ägyptische Botschafter lässt ausrichten, es wäre ganz okay, wenn einmal eine Woche lang niemand aus Österreich zum Staatsbesuch käme«, lautet derzeit ein beliebter Scherz unter österreichischen Journalisten.

Im Oktober war Ägypten innerhalb von nur einer Woche gleich zweimal Ziel einer offiziellen Visite. Zuerst flog Bundespräsident Thomas Klestil nach Kairo, eine knappe Woche später reiste die halbe Regierung an. Einen dringenden außenpolitischen Grund für die häufigen Besuche gibt es nicht, dafür einen innenpolitischen: Seit die rechtskonservative Regierung in Wien im Februar des vergangenen Jahres ihr Amt antrat, versucht sie, Thomas Klestil vor allem auf dem außenpolitischen Terrain die Show zu stehlen. Denn Klestil hat es sich nachhaltig mit Bundeskanzler Wolfgang Schüssel verdorben: Zuerst verzögerte er wochenlang die Vereidigung der schwarz-blauen Regierung. Als sie dann doch in seinem Amtssitz, der Wiener Hofburg, stattfand, war ihm kein Lächeln abzuringen. Mit eiskaltem Blick schüttelte Klestil den Vertretern der neuen Administration die Hände und verbat sich, gemeinsam mit der neuen Regierung abgelichtet zu werden.

Seitdem tut Klestil das, wozu die in vielen Ländern unbeliebte Regierung so wenig Gelegenheit bekommt: Er reist durch die Welt, wird überall eingeladen und gilt allgemein als letzter seriöser und kompetenter Diplomat des Landes. Genau wegen dieser Rolle Klestils ist nun ein erbitterter Streit mit der Schüssel-Regierung entbrannt: So reagiert der Bundeskanzler auf die jüngste Nahost-Reise des Präsidenten mit einer Gegenreise: Wo Klestil war, dort fuhr ein paar Tage später auch die Außenministerin Benita Ferrero-Waldner oder Schüssel hin.

Und wenn mal ein ausländischer Staatsgast zu Besuch in Österreich weilt, muss er sich entscheiden, ob er mit der Schüssel-Truppe oder mit dem Staatschef zu Abend essen möchte. Denn beides geht nicht, weil sich insbesondere die Außenministerin beharrlich weigert, mit Klestil ein Flugzeug zu besteigen oder mit ihm zu essen.

Der Hintergrund des seltsamen Verfahrens: Ferrero-Waldner ist eigentlich Chefin von Klestils Ehefrau Margot Klestil-Löffler, die im Außenministerium als Beamtin beschäftigt ist. Doch bei Staatsbesuchen ist Margot Klestil-Löffler eben nicht Beamtin, sondern First Lady und rangiert damit protokollarisch vor der Ministerin. Die wiederum will im Jahr 2004 Klestil als Bundespräsidentin beerben und übt bei offiziellen Anlässen schon jetzt für dieses Amt: »Ferrero zieht eine Spur der Verstimmung durch die Welt und im Auftrag Schüssels bekämpft sie Klestil, weil das eigentliche Staatsoberhaupt sie selbst ist«, heißt es in einem Memo eines Mitarbeiters des Außenministeriums, der anonym bleiben möchte.

Außerdem habe Ferrero-Waldner Klestil schon vor einigen Monaten wissen lassen, dass sie ihn nur noch ins Ausland begleite, wenn sie überall dabei sein dürfe, die protokollarisch üblichen Gespräche unter vier Augen zwischen zwei Staatsoberhäuptern eingeschlossen. Über die außenpolitische Offensive des Bundeskanzlers schreibt der Insider aus dem Außenministerium Folgendes: »Schüssel beleidigt durch sein schlechtes Benehmen die ausländischen Staatsgäste. Dies ist auch der Grund, warum der Bundeskanzler im Ausland - und vor allem in der arabischen Welt - kein Ansehen genießt. Schüssel beweist auch, dass er keine Ahnung von Außenpolitik hat und den Stellenwert, den arabische Staatschefs haben, völlig falsch einschätzt«.

Gerade aber die Beziehungen zu den arabischen Staaten gehören seit der Amtszeit des sozialistischen Bundeskanzlers Bruno Kreisky zu den wenigen wichtigen Errungenschaften der österreichischen Außenpolitik. Kreisky hatte schon in den siebziger Jahren Kontakte mit Jassir Arafat. Und auch das libysche Staatsoberhaupt Muammar al-Gaddafi pflegte eine recht enge Freundschaft zu Kreisky. Ein wenig an diese Verbindungen anknüpfen konnte auch Thomas Klestil in den letzten Monaten. Mehrere arabische Staatschefs haben ihn gebeten, auf die USA einzuwirken und dort die Befürchtung vieler arabischer Staaten auszuräumen, dass die »Allianz gegen den Terror« zu einem Krieg gegen die arabische Welt werde. Klestils Tennis-Freundschaft zu George Bush senior und seine freundschaftlichen Verbindungen zu US-Außenminister Colin Powell sollen dabei eine wichtige Rolle spielen.

Klestil kann noch einen weiteren Pluspunkt für sich verbuchen: Als so genannter sanfter Vermittler im Nahost-Konflikt kann er als einziger österreichischer Politiker auch in Israel agieren, weil er im Gegensatz zur Regierung in Wien nicht in die Nähe des rechtspopulistischen Jörg Haider gerückt wird. Zwar kann Österreich im Nahost-Konflikt nicht jenen Stellenwert einnehmen, den etwa Außenminister Joseph Fischer für sich beansprucht, für Wiener Appeasement in einer aufgeheizten Stimmung aber reicht Klestils Einfluss allemal.

Auch Österreichs verfassungsmäßig abgesicherte Neutralität gilt in diesen Wochen eher als Bonus: Zwar ordnete sich das Land unmittelbar nach dem 11. September ebenso wie beinahe alle anderen Staaten der Erde in die »Allianz gegen den Terror« ein. Die Berliner Variante der »uneingeschränkten Solidarität«, die auch militärische Einsätze miteinschließt, kann man sich aber wegen des neutralen Status nicht leisten.

Nur Wolfgang Schüssel möchte wieder einmal die Neutralität abschaffen und am liebsten gleich das österreichische Bundesheer zum Hindukusch schicken: »Die österreichische Neutralität ist wie die Lippizaner oder die Mozartkugeln«, orakelte er vor knapp zwei Wochen. Soll wohl heißen: Die tanzenden weißen Pferde aus Wien und die Salzburger Bonbonniere gehören zwar zu den Touristenattraktionen der Alpenrepublik, in der Politik haben aber solche anachronistischen Symbole, und zu denen zählt Schüssel die Neutralität, nichts zu suchen.

Dass diese Neutralität jedoch genau jetzt eine wesentliche Voraussetzung für die zaghafte Vermittlungstätigkeit des Bundespräsidenten ist und das kleine Land zu einem durchaus beliebten Ansprechpartner der arabischen Welt macht, ignoriert Schüssel gerne. Stattdessen setzt er auf Westbindung: Neutralität würde in Zeiten des Terrors Sympathie mit demselben bedeuten, ist er sich sicher.

Dafür riskiert Schüssel sogar, sich unbeliebt zu machen: Nach aktuellen Umfragen sind etwa 80 Prozent der Österreicher für die Beibehaltung der Neutralität - und die im Parlament notwendige Zweidrittel-Mehrheit für deren Abschaffung wird Schüssel derzeit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht zusammenbekommen. Dies verleitete den Fraktionschef der oppositionellen Sozialdemokraten (SPÖ), Josef Cap, zu der süffisanten Äußerung, dass es Schüssel als Bundeskanzler nicht mehr lange geben wird, Lippizaner und Mozartkugeln aber schon.