Konfrontation zwischen Regierung und Islamisten

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser

In Pakistan verschärft sich die Konfrontation zwischen Regierung und Islamisten. Um deren Sympathisanten in der Armee zu isolieren, muss Präsident Musharraf beweisen, dass er Einfluss auf die Afghanistan-Politik hat.

Eigentlich wollte Mohammed El-Baradi, Direktor der Internationalen Atomenergieagentur, die Öffentlichkeit beruhigen, als er von CNN zur Sicherheit der pakistanischen Atomwaffen befragt wurde. »Soweit wir heute wissen, wird das Atomwaffenprogramm in Pakistan angemessen geschützt.« Nach der Zahl der pakistanischen Atomwaffen befragt, musste El-Baradi allerdings zugeben: »Wir wissen es nicht. Wir befassen uns nicht mit den militärischen Programmen.«

In einem am Samstag von der pakistanischen Tageszeitung Dawn veröffentlichten Interview erklärte Ussama bin Laden: »Wenn Amerika chemische oder nukleare Waffen gegen uns einsetzt, werden wir mit chemischen und nuklearen Waffen antworten. Wir haben diese Waffen zur Abschreckung.« Bin Laden, der ja im Umgang mit den Medien recht versiert ist, wollte mit seiner Drohung wohl vor allem die öffentliche Meinung in jenen Staaten beeinflussen, die den Krieg der USA militärisch unterstützen. Allerdings hatten führende pakistanische Atomwissenschaftler Kontakt zum Taliban-Regime. Zwei von ihnen, Sultan Bashiruddin Mahmood und Chaudhry Abdul Majid, wurden Ende Oktober vom Geheimdienst verhaftet und über ihre Verbindungen zum Taliban-Regime befragt. Ohne sichtbares Ergebnis, beide wurden nach einigen Tagen freigelassen.

Mahmood ist nicht nur ein talentierter Atomwissenschaftler. Er veröffentlichte auch mehrere theologische Bücher, in denen er unter anderem über den Einfluss von Sonnenflecken auf Revolutionen und Kriege philosophierte und spekulierte, ob man mit Hilfe von Djinnis, den im Koran erwähnten aus Feuer erschaffenen Geistern, die globale Energiekrise lösen könne.

Eine solche bizarre Mischung von technokratischer Rationalität und Obskurantismus existiert nicht nur in Pakistan, dort allerdings hat sie besondere politische Brisanz. Mahmood entdeckte 1998 seine Sympathie für die Taliban, gründete eine Hilfsorganisation für den Wiederaufbau in den Taliban-Gebieten und soll sich auch mehrfach mit deren Oberhaupt Mullah Muhammad Omar getroffen haben. Doch ein militärisches Atomprogramm liegt weit außerhalb der technologischen und finanziellen Reichweite der Taliban. Selbst wenn sie oder al-Qaida in Pakistan oder anderswo nukleares Material beschaffen konnten, fehlen ihnen die Trägersysteme, um es einzusetzen.

Pakistan dagegen verfügt über schätzungsweise zwei bis drei Dutzend Atomsprengköpfe, die mit Kurz- und Mittelstreckenraketen oder Kampfbombern ins Ziel gebracht werden können. Das Arsenal sei in »sicheren Händen«, beteuerte Staatsschef Pervez Musharraf am Samstag bei seinem Besuch in den USA. Gut bewacht wird es zweifellos, möglicherweise aber von Offizieren, die eine ähnliche Weltsicht haben wie Mahmood.

Musharraf gehört noch zur Generation der in der britischen Militärakademie Sandhurst ausgebildeten Offiziere. Unter der Militärdiktatur Zia ul-Haqs wurden in den achtziger Jahren zahlreiche Sympathisanten der islamistischen Jamiat-i Islami (JI) in höhere Offiziersränge befördert. Und die mit den Taliban eng verbundene Jamiat-i-Ulema Islami (JUI) soll unter den mittleren Offiziersrängen großen Einfluss haben. Durch die Entlassung einiger hoher islamistischer Offiziere hat Musharraf seine Kontrolle zwar gefestigt. Eine härtere Konfrontation mit den islamistischen Parteien aber könnte auch Rückwirkungen auf die Armee haben.

Nachdem die Mobilisierungen für Demonstrationen hinter den Hoffnungen der Organisatoren zurückblieben, setzt der von 35 überwiegend islamistischen Organisationen getragene Afghanistan Defence Council (ADF) seit Ende Oktober auf eine Kampagne des »zivilen Ungehorsams«. Ganz zivil ist diese Kampagne allerdings nicht, bei Straßen- und Eisenbahnblockaden sind auch bewaffnete Demonstranten anwesend. Als die Führer von JI und JUI Anfang November zum Sturz der Regierung aufriefen, wurden sie inhaftiert.

Für den vergangenen Freitag hatte der ADF zu einem Generalstreik aufgerufen. Im Vorfeld wurden mindestens 500 islamistische Aktivisten verhaftet. Da Musharraf mit einem Erlass gekontert hatte, der den Tag zu einem Feiertag erklärte, blieb unklar, wie weit der ADF-Aufruf befolgt wurde. JUI-Generalsekretär Maulana Abdul Ghafoor behauptete: »Der Streik war zu 100 Prozent erfolgreich«. Korrespondenten der pakistanischen Tageszeitungen The News und Millat berichteten, der Streik sei in den meisten Städten der Provinzen Sindh, Balutschistan und Azad Kaschmir eingehalten worden.

In anderen Landesteilen wurde der Aufruf nur zum Teil befolgt. Die Zahl der islamistischen Demonstranten blieb relativ gering, allerdings fanden diesmal Protestmärsche in mehreren Dutzend Städten statt. In Qetta, Rawalpindi und Peshawar kam es zu Straßenschlachten mit der Polizei, in Dera Ghazi Khan wurden vier Mitglieder der JUI erschossen, nachdem die Demonstranten eine Eisenbahnlinie blockiert und nach Angaben der Behörden auf die Polizei geschossen hatten.

Die Regierung scheint nun zu dem Schluss gekommen zu sein, dass sie ohne die Hilfe der nach dem Militärputsch 1999 entmachteten bürgerlichen Parteien kein Gegengewicht zur islamistischen Mobilisierung schaffen kann. Nach Angaben von Vertretern der Pakistanischen Volkspartei (PPP) ist eine Vereinbarung mit der Regierung »sehr nahe«, die es der Ex-Präsidentin Benazir Bhutto ermöglichen soll, aus dem Exil zurückzukehren, ohne sich einem Korruptionsverfahren stellen zu müssen.

Um die Bevölkerung für das Bündnis mit den USA zu gewinnen, setzt Musharraf auf die in Aussicht gestellten ökonomischen Vorteile und nationalistische Parolen. Die US-Regierung will nun bis zu einer Milliarde Dollar Finanzhilfe an Pakistan zahlen und hat Hilfe bei den Verhandlungen mit dem IWF über ein Umschuldungsabkommen angeboten. Zudem will Musharraf beweisen, dass Pakistan an strategischer Bedeutung gewonnen hat und Einfluss auf die US-Politik nehmen kann.

Seine Forderung, die Bombardierung Afghanistans während des Ramadan zu unterbrechen, stieß bei den Regierungen der USA und Großbritanniens zwar auf taube Ohren. Am Samstag aber konnte er einen ersten Erfolg verbuchen. Einen Tag nach der Eroberung von Mazar-i-Sharif durch die Nordallianz erklärte US-Präsident George W. Bush bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Musharraf: »Wir werden unsere Freunde ermutigen, nach Süden vorzustoßen, aber nicht in die Stadt Kabul selbst.«

Die Eroberung der Hauptstadt Kabul würde den Anspruch der Nordallianz auf die Herrschaft über Afghanistan stärken. Seit Beginn des Krieges hatte die pakistanische Regierung immer wieder gefordert, die Nordallianz dürfe nur Teil einer künftigen Koalitionsregierung sein. Bushs Erklärung stärkt Musharrafs Position gegenüber unzufriedenen Generälen, die befürchten, Pakistan werde durch das Bündnis mit den USA jeglichen Einfluss auf Afghanistan verlieren.

Die Regierungsmacht, dozierte Bush, »muss zwischen den verschiedenen Stämmen geteilt werden«. Offenbar bestimmen die in »Rambo III« präsentierten Bilder noch immer die Wahrnehmung der Kämpfe in Afghanistan. Doch die wackeren Stammeskrieger, die hoch zu Ross gegen die Feinde der Freiheit streiten, lassen auf sich warten. Mehr als 20 Jahre Bürgerkrieg haben die traditionellen Strukturen zerstört, die so genannten Stämme werden von Warlords geführt. Und alle Versuche, paschtunische Warlords zum Bruch mit den Taliban zu bewegen, sind bislang gescheitert.

Nach Bushs Erklärung drohen nun auch Differenzen mit der Nordallianz. Von den USA ausgebremst zu werden, kaum dass sie die ersten bedeutenden Geländegewinne erzielt haben, dürfte für die Warlords eine herbe Enttäuschung sein. Sprecher der Nordallianz wollten am Wochenende nicht zusagen, sich an die Vorgaben aus Washington zu halten. Die Eroberung Mazar-i-Sharifs gelang jedoch nur nach intensivem US-Bombardement der Taliban-Stellungen, und ohne die Militärhilfe der USA sind weitere Offensiven der Nordallianz kaum möglich.

Diese Militärhilfe sorgsam zu dosieren, scheint nicht nur ein Zugeständnis an Pakistan zu sein. General Tommy Franks, der die US-Operationen in Afghanistan kommandiert, antwortete auf die Frage, wie weit man der Nordallianz trauen könne: »Nun, wir sind uns nicht sicher.«