Krise der parlamentarischen Linken in Italien

Freies Feld

Über die Hälfte der Bevölkerung ist gegen eine Beteiligung italienischer Truppen am Kriegseinsatz der Antiterrorallianz. Aber 90 Prozent der Abgeordneten im italienischen Parlament und Senat stimmten dafür. Diese Krise der politischen Repräsentanz in Italien zeigte sich besonders deutlich, als Regierungschef Silvio Berlusconi zum so genannten USA-Day am 10. November in Rom mobilisierte.

Trotz immensem Werbebudget konnte er gerade einmal 20 000 Menschen auf der Piazza del Popolo unter nationalen Symbolen versammeln. Dagegen brachten am selben Tag 150 000 Menschen ihre Ablehnung des Krieges zum Ausdruck, trotz der Tatsache, dass sich die italienische Protestbewegung gegen den Neoliberalismus derzeit in einer schwierigen Phase der Umstrukturierung befindet. Die Kriegsgegner waren einem Aufruf der Sozialen Foren gefolgt, die ursprünglich gegen die WTO-Tagung in Katar und den inzwischen abgesagten Welternährungsgipfel in der italienischen Hauptstadt protestieren wollten.

Die parlamentarische Linke, sprich die italienische Sozialdemokratie, befindet sich auf einer historisch einzigartigen Talfahrt. So geriet die Leitung der Linksdemokraten (DS) aufgrund ihrer kriegsfreundlichen Politik der nationalen Einheit bei ihrem Kongress am vergangenen Wochenende in Pesaro sogar mit dem traditionell eng verbündeten Gewerkschaftsdachverband CGIL in Konflikt.

Deshalb liegt derzeit ein Feld brach, auf dem sich der soziale Dissens zur Wirtschafts-, Sozial- und Außenpolitik frei von parteipolitischer Vereinnahmung artikulieren könnte. Nach den Ereignissen von Genua etablierte sich die Organisationsform der Sozialen Foren. Diesen Koalitionen verschiedenster Gruppen der globalisierungskritischen Bewegung scheint nunmehr die Rolle der allgemeinen Opposition zuzufallen. So sind die Sozialen Foren inzwischen mehr als nur jeweils lokal verankerte Zusammenschlüsse all der bereits in Genua als GSF (Genoa Social Forum) aufgetretenen Netzwerke, Vereine und Parteien. Sie sind auch zum Anziehungspunkt für Menschen aus einem diffus linken Spektrum geworden, das sogar Mitglieder der traditionellen katholischen und linken Parteien umfasst.

Die Sozialen Foren vertreten einen Ansatz der direkten Versammlungsdemokratie, eine Synthese aus den Erfahrungen von Porto Alegre, des Marsches der Zapatisten auf Mexiko-Stadt und der Tage von Genua. Laut Pierluigi Sullo von der linken Wochenzeitung Carta ähnelt die Struktur der Sozialen Foren den Ende der sechziger Jahre in der Arbeiterbewegung entstandenen Fabrikräten, ebenfalls einer Plattform von Delegierten, die den Willen der Arbeiter auch unabhängig von deren politischer oder gewerkschaftlicher Zugehörigkeit zum Ausdruck brachte. Wie die Fabrikräte, die allerdings auf der Basis des sozial »einheitlichen Körpers« der Fabrikarbeiter funktionierten, bündeln die Sozialen Foren auf der lokalen Ebene und auf einer nicht homogenen Grundlage die bislang zersplitterten »gesellschaftsbildenden Aktivitäten«.

Angesichts des politischen Vakuums, das die parlamentarische Linke in Italien hinterlassen hat, besteht jedoch die Gefahr, dass die Sozialen Foren ihre gesellschaftsbildenden Experimente zugunsten eines oppositionellen Protagonismus hintanstellen und glauben, sich zu jedem tagespolitischen Ereignis und zu jeder reaktionären Äußerung eines Regierungspolitikers verhalten zu müssen.