Aktivitäten der islamistischen Partei Hizb ut-Tahrir in Deutschland

Wache Ideologen

Die islamistische Partei Hizb ut-Tahrir verbreitet ihre Weltanschauungen in Moscheen und an Universitäten.

Sie sind alles andere als Schläfer, die Kader der islamistischen Hizb ut-Tahrir (Partei der Befreiung). Ideologisch auf eine fundamentalistische Koraninterpretation getrimmt und hierarchisch geführt, agieren sie in voneinander unabhängigen Zellen von fünf bis sechs Personen, vor allem unter Studenten. Ihr Ziel ist in ihren eigenen Worten »die Errichtung des rechtgeleiteten Kalifats, das die Länder und Völker der Muslime in einem einzigen Staat eint und die Botschaft des Islam in die gesamte Welt trägt«. Auf Flugblättern, in Büchern, im Internet, in ihrem englischen Politmagazin Khilafah und seinem deutschsprachigen Pendant Explizit propagieren sie den »Islam als den einzig gangbaren Weg im Gegensatz zu den bestehenden Gesellschaftssystemen«.

Neben Hamburg, Bayern und Baden-Württemberg ist vor allem Berlin ein wichtiges Zentrum dieser internationalen Gruppierung. Nirgendwo sonst in der Republik leben so viele arabische und türkische Muslime auf engstem Raum. Entsprechend bemüht sich die Partei hier besonders um die Verbreitung ihrer Auffassung eines »islamischen Bewusstseins«, das die Menschheit einteilt in die »Weltgemeinschaft der Muslime (Umma)« und die »Gemeinschaft der Ungläubigen (Kufr)«. Beide Lager stünden sich unversöhnlich gegenüber. Jegliche Zusammenarbeit mit den USA, dem »Haupt der Kufr«, und ihren Verbündeten charakterisiert Hizb ut-Tahrir als »Verrat am Islam«, den es zu bekämpfen gilt.

Gewalt als Methode der Auseinandersetzung lehnt die Partei offiziell ab. Aber ihre Veröffentlichungen sprechen eine aggressive Sprache. So heißt es in der Mai-Ausgabe von Explizit: »Ganz Palästina ist muslimisches Territorium. Die Muslime sind dazu verpflichtet, es aus der Herrschaft der Israelis zu befreien, selbst wenn es Millionen von Märtyrern kosten sollte.« Derartige Aufrufe zum Kampf werden mit der Koran-Sure Al-Baqara legitimiert, in der es heißt: »Und tötet sie, wo immer ihr auf sie stoßt, und vertreibt sie, von wo sie euch vertrieben haben.« Nach Auffassung der Partei schreibe der Koran jedem Muslim »den Jihad zur Bekämpfung des Feindes, der Übergriffe gegen Muslime vornimmt, ihren Boden gewaltsam einnimmt, ihre Reichtümer plündert und sie zu dominieren versucht«, vor.

Entsprechend ihrer ideologischen Grundlage interpretiert Hizb ut-Tahrir die internationale Anti-Terror-Allianz und den Militäreinsatz in Afghanistan als »grausamen Krieg gegen den Islam und die Muslime«. Deshalb, so das Argument, sei es an der Zeit, die islamischen Länder von ihren »abtrünnigen Herrscherbanden« zu befreien und »den muslimischen Brüdern in Afghanistan und anderswo« beizustehen.

Gegründet wurde die Hizb ut-Tahrir 1953 in Palästina vom Religionsgelehrten und Richter des Jerusalemer Sharia-Gerichts, Taqiyyu-d-Din an-Nabhani (1909-1977). Im gleichen Jahr erschien sein Buch »Die Lebensordnung des Islam«, eine Art Parteiprogramm. Neben den Ausführungen zum Islam als Parteiideologie enthält es auch den Entwurf einer »Verfassung für den islamischen Staat«. Selbst die Beteiligung an Organisationen wie der Uno ist demzufolge untersagt, da diese nicht auf dem Islam basiere.

Die Hizb ut-Tahrir fand zwar Anhänger in vielen arabischen Ländern, vor allem unter Intellektuellen, aber sie wurde überall verboten. An-Nabhanis Nachfolger, dem heute in Jordanien lebenden 76jährigen Palästinenser Abdul Qadim Zallum, gelang es Anfang der neunziger Jahre, das Aktionsfeld der Partei auch auf Asien auszuweiten. Neben der Türkei und dem Kaukasus gibt es Hinweise auf Aktivitäten in Kirgisien, Usbekistan, Tadschikistans und China. Werden die Akteure auch in diesen Ländern staatlich verfolgt, so agieren sie in Europa abseits der öffentlichen Wahrnehmung. Von London aus stellt die Partei ihr Material auf Arabisch, Russisch, Englisch, Türkisch, Deutsch, Dänisch und Urdu ins Internet. In London scheint auch der Sitz der europäischen Parteizentrale zu sein. Für den deutschsprachigen Raum spielt Wien eine wichtige Rolle. Von hier gelangten die ersten deutschsprachigen Publikationen in die Bundesrepublik.

Auch dem Verfassungsschutz ist die Gruppierung bekannt. In Berlin, so Pressesprecherin Isabelle Kallbitzer, sei Hizb ut-Tahrir seit den neunziger Jahren aktiv. Die Partei verfüge über keinen eigenen Stützpunkt, sondern agiere vor allem in den arabischen Moscheen. Haupttreffpunkt sei das Freitagsgebet an der Technischen Universität (TU). Eine organisatorische Verbindung zur Islamischen Studentenvereinigung Berlin (ISV), die für dieses Freitagsgebet zuständig ist, lasse sich aber nicht feststellen. Dies bestätigte ein Vorstandsmitglied und Imam der ISV: »Unser Vorstand besteht aus sieben Personen, aber wir wissen nicht, ob davon jemand von dieser Partei ist«, erklärt der Student, der seinen Namen nicht nennen will. Den Einfluss der Partei an der Universität bezeichnet er als »nicht so groß«. Es sei eher eine kleine elitäre Gruppe, die von vielen Muslimen abgelehnt werde.

Ein palästinensischer Student, der sich als ehemaliges Parteimitglied zu erkennen gibt, beziffert die Gruppe an der TU auf etwa sechs Personen. Der Berliner Islamwissenschaftler Ralph Ghadban, der eine Veranstaltung der Partei vor drei Jahren besuchte, ist dagegen der Meinung: »Die überwiegende Anzahl der etwa 200 anwesenden Studenten waren überzeugte Parteianhänger.« Und noch etwas fiel Ghadban auf: der relativ hohe Anteil konvertierter deutscher Frauen.

Nur selten tritt die Partei selbst als Veranstalterin auf. Ihre Arbeitsweise ist eher konspirativ, anders als etwa die Kaplan-Gruppe (Jungle World 45/01) hat diese Partei keine bekannten Anführer. Ihre Agitatoren sind präsent, wo Intellektuelle über den Islam diskutieren. Dazu gehören auch die jährlich von muslimischen Studentenvereinen an den Universitäten organisierten Islamwochen. Hier verteilen sie ihre Flugblätter und verkaufen die Publikationen der Partei. Ihr verbal aggressives Auftreten gegen jedes vermeintliche Abweichen vom »wahren Islam« hat in diesem Jahr an der TU zu einer öffentlichen Distanzierung seitens der muslimischen Organisatoren geführt.

Zwei Monate nach den Terroranschlägen in den USA habe nun auch die Universitätsleitung reagiert und den Verkauf von Publikationen der Partei an der Universität, etwa beim Freitagsgebet, verboten, erzählt ein Student der ISV. Seitens der TU aber weiß man nichts von solch einem Verbot, erklärt die Pressesprecherin der Universität Kristina Zerges. Eine für den 3. November angemeldete Veranstaltung über die »Entwicklungen nach dem 11. September aus islamischer Sicht« sei lediglich »aus formalen Gründen« nicht genehmigt worden. Inzwischen sind die formalen Hindernisse beseitigt, und eine Neuanmeldung liegt bereits vor.