Der italienische Club Associazione Calcio Chievo

Flieg, Esel, flieg!

Es gibt fußballerische Gerechtigkeit: In der italienischen Seria A steht der netteste Verein auf Platz zwei der Tabelle.

Der kleine Ort Chievo, der mit seinen 2 400 Einwohnern von Verona eingemeindet wurde, ist inzwischen weltberühmt. Das liegt nicht allein an dem Pandoro, der bekannten leichten Hefekuchenspezialität, die dort von der Firma Paluani hergestellt wird, sondern hauptsächlich an der von ebenjenem Zuckerwarenfabrikanten geförderten lokalen Fußballmannschaft, der Associazione Calcio Chievo, die in die erste Liga aufgestiegen ist. Nach einem unglücklichen 2:3 bei AC Mailand musste der Verein am Wochenende die Tabellenspitze an Inter Mailand abgeben, er steht jetzt auf Platz zwei.

Der Verein Chievo, der sich seit ein paar Jahren Chievo Verona nennt, liegt demnach auch noch vor dem Lokalrivalen Hellas, der in der letzten Saison beinahe abgestiegen wäre. Beide Mannschaften spielen nun im städtischen Bentegodi-Stadion, das vor einem Jahr wegen der auf den Rängen der Südkurve ausgeübten Hegemonie rassistischer Hellasfans ebenfalls einen internationalen Ruf erlangte.

Damals gestand der Präsident von Hellas, Giambattista Pastorelli, dass er es wegen des drohenden Protests seiner gelbblauen Fangemeinde nicht wagen könne, einen vielleicht etwas begabteren Spieler anderer Hautfarbe, etwa den schwarzen Stürmer Patrick Mbomba, zu verpflichten, der den Verein aus der Talsohle herausführen könnte. Rechtsextreme Tifosi hatten früher schon, als der farbige Holländer Michel Ferrier die Mannschaft von Hellas verstärken sollte, im Stadion eine lebensgroße schwarze Stoffpuppe vor einem Spruchband aufgehängt, auf dem der damalige Vereinspräsident im Veroneser Dialekt gewarnt wurde: »Du willst uns einen Neger schenken? Lass ihn das Stadion putzen.«

Beim AC Chievo hatten dagegen die schätzungsweise 5 000 Anhänger nie Probleme mit der Hautfarbe der Spieler. Für den Klub spielten schon Kevullay Konteh aus Côte d'Ivoire sowie der Nigerianer Garba. Der Brasilianer Eriberto und Christan Manfredini, ebenfalls aus Côte d'Ivoire, stehen im Vereinskader. Das Affen imitierende Gebrüll, das in vielen italienischen Stadien Farbigen bei jeder Ballberührung entgegenschallt, ist bei Chievo jedenfalls tabu. Die Fans aus dem einstigen Bauerndorf sind nämlich die Guten. Das Publikum antwortet noch nicht einmal den auf das allwöchentliche Konfrontationsritual erpichten Ultras gegnerischer Mannschaften mit dem ansonsten in Italien sehr geläufigen Schimpfwort »Vaffanculo« (etwa: »Leck mich am Arsch«).

Immerhin gibt es einen eigenen Fanclub, die »Northside«, der so heißt, weil seine Mitglieder, da an Zahl hoffnungslos den Tifosi von Hellas unterlegen, beim Lokalderby in die Nordkurve ausweichen müssen. Die Ragazzi von der Northside, obwohl Ultras, haben allerdings eine etwas eigentümliche Auslegung italienischer Fanmentalität. Sie bekennen sich zu Toleranz und Gewaltfreiheit und wollen keine engere Fanfreundschaft mit anderen Ultras eingehen, da sie sich ungern auf einer Seite der miteinander verfeindeten Lager wiederfinden wollen.

Der engagierte linke Verleger Giorgio Beltrani, der Bücher von Dario Fo, dem als tragischen Gangster berühmt gewordenen Anarchisten Horst Fantazzini, George Bataille und Félix Guattari im Programm hat und der sich im saturierten bürgerlichen Verona für Immigranten einsetzt, ist auch Vizepräsident des Fußballklubs und selbstverständlich schon immer ein Fan von Ceo gewesen - so heißt Chievo im Veroneser Dialekt. Beltrani ist sicher auch davon angetan, dass aus Verona seit dem Höhenflug von Chievo endlich einmal gute Nachrichten kommen.

Aber gleich beide Mannschaften vor dem Derby die italienische Nationalhymne aus Verdis Oper »Aida« singen zu lassen, wie es die Veroneser Bürgermeisterin Michela Sironi in einem Anflug patriotischer Aufwallung ernsthaft vorgeschlagen hatte, war ihm dennoch etwas zu viel der Verdrängung: »Die Begegnung ist bestimmt gut dafür, allen zu zeigen, dass wir Freunde sind, dass wir miteinander reden und zusammen sein können, dass diese Stadt nicht nur aus Rassismus besteht oder aus der Angst der Reichen, ihren Wohlstand zu verlieren. Aber die Nationalhymne? Wir singen lieber unser Lied 'Bella Ciao!' Jahrelang sah man Bilder vom Fußball in Verona, die mit der Rechten zusammenhingen, mit Ausfällen gegen Südländer. An diesem Sonntag wird das anders sein.«

Doch das Geschehen im Stadion war dann beinahe wie gewohnt. Manche Hellasfans konnten offenbar, trotz Verdi und Versöhnung, nicht ganz von ihren rassistischen Pöbeleien lassen. Als Antwort auf den alten höhnischen Spruch ihrer Rivalen, »wenn die Esel Flügel haben, spielt ihr in der ersten Liga«, hatten die Anhänger von Ceo geflügelte Esel in allen Formaten mitgebracht, und manche, an Ballons gehängt, konnten tatsächlich fliegen.

Trotz zweimaliger Führungstreffer verlor Chievo am Ende die Partie unglücklich, nicht zuletzt wegen eines Eigentors und weil ein Spieler die rote Karte bekam, mit 3:2. Durch diesen kurzzeitigen Dämpfer hat der Zwergenverein Chievo Verona jedoch nichts von seiner Faszination eingebüßt, die er in dem derzeit auch von Dopingskandalen gebeutelten italienischen Fußball ausübt.

Alle fragen sich, wie es ein Verein mit einem Etat, der dem Jahreseinkommen nur eines einzigen Spielers von Inter Mailand gleichkommt, geschafft hat, ganz oben mitzuspielen. Die Rede ist von Tugenden wie Redlichkeit, Bodenständigkeit und Sportsgeist, von Werten, die dem großen Fußballgeschäft abgehen sollen. Bestimmt hat es die Vereinsführung verstanden, der Versuchung zu widerstehen, teure Berühmtheiten einzukaufen. Insofern ist es für AC Chievo bisher von Vorteil, so wenige und überdies so genügsame Zuschauer zu haben. Die Haupteinnahmen in der Zweiten Liga kamen nämlich nicht vom Kartenverkauf, sie wurden von den Fernsehanstalten gleichmäßig über die Lega Calcio an die einzelnen Klubs verteilt.

Während die Kabinen anderer Vereine einem Wartesaal auf dem Flughafen gleichen, konnte Chievo bislang seine Mannschaft zusammenhalten. Es steckt also viel harte Aufbauarbeit im Kader, der sich nicht zerstreute, und die zahlt sich jetzt aus. Zudem spielt die Mannschaft unter ihrem Trainer Gigi Del Neri ein 4-4-2-System mit Pressing und flexibler Abseitsfalle, ein starkes, mannschaftsorientiertes Spiel also, das sich gegen die auf einzelne kreative Spieler zugeschnittenen Aufstellungen der anderen Vereine durchzusetzen scheint.

Erleben wir demnach mit einem politisch korrekten Chievo, das noch dazu siegreich ist, die Rückkehr der alten Werte des Fußballs, die sich in der Weisheit zusammenfassen lassen, dass Geld allein keine Tore schießt? Für die Bewohner des Dorfes ist es ein wahr gewordenes Märchen, für die Kassierer der großen Vereine ein Alptraum. Solange der Aufsteiger an der Tabellenspitze mitspielt, strömen die Zuschauer, ist der Verein Chievo Verona sein eigener Star. Doch wer kommt noch, wenn irgendwann einmal ein mittelmäßiger Verein ohne eigenes Staraufgebot gegen Juve spielt?

Den Fans von Ceo, das bei den Heimspielen im niemals ausverkauften Bentegodi-Stadion noch keinen Punkt abgeben musste, kann das egal sein. Sie träumen schon von der Champions League.