NPD-Aufmarsch gegen die Wehrmachtsausstellung

Pflicht, Ruhm und Ehre

Ein Samstag in Berlin: Jung- und Altnazis versammeln sich zu einem ihrer größten Aufmärsche seit 1945. Und die Polizei provoziert eine Straßenschlacht vor der Neuen Synagoge.

Der Platz vor der Synagoge in der Oranienburger Straße bietet ein Bild der Verwüstung. Glassplitter und Steine liegen auf der Straße, dazwischen umgeworfene Absperrgitter. Gasschwaden und Brandgeruch hängen in der Luft. Die Besucher der Synagoge stehen kopfschüttelnd da, sind fassungslos. »Ihr Scheißfaschisten«, brüllen einige empört die uniformierten Gewalttäter an. Ein Vorstandsmitglied der Jüdischen Gemeinde ist entsetzt: »Es ist beschämend, was sich hier abspielt. Der Platz wird entwürdigt und entweiht.«

Es ist Samstag, der 1. Dezember. Die NPD hat einen Marsch durch die Hauptstadt angemeldet. An der Synagoge in der Oranienburger Straße vorbeizuziehen, ist ihnen allerdings untersagt. Dennoch kommt die Botschaft der Rechtsextremen hier an. Die Berliner Polizei macht deutlich, dass im selbstbewussten Deutschland niemand mehr Respekt vor jüdischen Einrichtungen haben muss.

Die von der jüdischen Gemeinde angekündigte Sitzblockade gegen den Aufmarsch der Neonazis geht unter in einer heftigen Straßenschlacht direkt vor der Synagoge. Repräsentanten der Gemeinde haben noch versucht, Einfluss auf den Einsatzleiter der Polizei zu nehmen. Vergeblich. Räumpanzer und Wasserwerfer, Knüppel und Fäuste der Beamten sowie Tränengasschwaden bestimmen das Szenerio vor der Synagoge. Die Polizei verbucht das Ganze später als Erfolg: »NPD-Demonstration - Zusammentreffen mit Gegendemonstranten verhindert.«

Rund 3 000 Neonazis demonstrierten wenige hundert Meter von der Synagoge entfernt. Es ist der größte Aufmarsch der deutschen extremen Rechten in Berlin seit 1945. Nur in München gingen vor knapp vier Jahren noch mehr Volksgenossen auf die Straße - am 1. März 1997. Ihr Anlass damals war eine Ausstellung über die Beteiligung der Wehrmacht am deutschen Vernichtungskrieg. Heute marschieren sie gegen die zweite Auflage dieser Ausstellung. Pflichterfüllt sind sie angetreten, ihre pflichterfüllten Vorfahren zu verteidigen. »Ruhm und Ehre dem deutschen Soldat«, rufen sie immer wieder.

Ursprünglich wollten sie durch das ehemals jüdische Scheunenviertel in der Berliner Mitte marschieren. Nun aber müssen sie sich mit der Einkaufsmeile Friedrichstraße begnügen. Schon Anfang November hatte sich die Berliner Innenverwaltung nach Angaben des Tagesspiegel auf diese Änderung geeinigt. Nur bekannt gegeben hatte man das nicht. Um linken Gegendemonstranten keine Blockade des Aufmarsches zu ermöglichen.

Alles hätte so schön werden sollen für SPD-Innensenator Ehrhart Körting, die rot-grüne Bundesregierung und für Deutschland überhaupt. Der Marsch der Neonazis umgeleitet, aber nicht verboten, weil das ja nicht möglich ist, also muss er ermöglicht werden, also braucht es schärfere Gesetze, und gleichzeitig sieht alle Welt, dass in Deutschland was gegen Rechts passiert. Der rot-grüne Minderheitssenat der Hauptstadt hatte außerdem zusammen mit dem Gewerkschaftsverband DGB dazu aufgerufen, die Wehrmachtsausstellung zu besuchen.

Deutschland stellt sich seiner Geschichte, das wollte man vermitteln. Und schon hätte keinen mehr interessiert, dass sich 1997 auch die bayerische Regierungspartei CSU den Neonazi-Protesten gegen die Ausstellung angeschlossen hatte. »Ein Vernichtungsfeldzug gegen das deutsche Volk ist im Gange«, schrieb damals das CSU-Blatt Bayernkurier über die vermeintliche Schändung der pflichtbewussten Nazi-Soldaten.

Aber alles kommt anders als geplant. Die Meldung von einer möglichen Präsenz der extrem rechten NPD im ehemals jüdisch geprägten Scheunenviertel lenkt die Aufmerksamkeit aller möglichen Neonazi-Gegner auf die Oranienburger Straße. Hier versammeln sich Synagogenbesucher nach ihrem Gottesdienst, einige haben die Kipa noch auf dem Kopf. Hier finden sich diejenigen ein, die später noch die Ausstellung in der nahe gelegenen Auguststraße besuchen wollen: ältere Ehepaare, Familien mit Kind und alternative Pärchen mit Rucksack. Mitglieder der Grünen und der PDS laufen hier auf, weil beide Parteien ihre Veranstaltungen wegen des angekündigten Neonazi-Aufmarsches unterbrochen haben. Und hier endet auch eine Demonstration von etwa 3 000 überwiegend jungen Leuten, zu der die Antifaschistische Aktion Berlin und andere linksradikale Gruppen aufgerufen haben.

Es ist sonnig und kalt. Dicke Klamotten und laute Sprechchöre sollen gegen das Frieren helfen. »Deutsche Wehrmacht = Völkermordarmee« und »I. Ehrenburgs willige Vollstrecker« steht auf den Transparenten der Demonstranten. Für die Veranstalter ist klar: »Die Polizei will eindeutig, dass der Nazi-Aufmarsch nicht verhindert wird.« Tatsächlich geht ein Gerangel los, kaum dass die Demonstranten die Polizeiabsperrung erreichen. Erst werden CS-Gas und Schlagstöcke eingesetzt, Transparente der Neonazi-Gegner von den Uniformierten beschlagnahmt, dann fliegen Steine und Flaschen.

Der Kampf um die Oranienburger Straße und den Platz vor der Synagoge ist eröffnet. Wasserwerfer rücken vor, die von Mitgliedern der Jüdischen Gemeinde begonnene Sitzblockade wird von Beamten mit Fußtritten und Faustschlägen beantwortet. Am Rande stehend sagt ein alter jüdischer Mann empört zu seinem Begleiter, der einem Beamten trotzig eine israelische Fahne entgegenhält: »So wie der die ganze Zeit grinst, macht es ihm Spaß, die Nazis zu schützen.«

Die Menge vor der Synagoge weicht nicht. Mit erhobenen Händen steht oder sitzt sie da und ruft den Polizisten zu: »Schämt Euch! Schämt Euch!« Barrikaden werden gebaut. Die Polizei droht mit gewaltsamer Auflösung der Proteste gegen die Neonazis. Dann aber tritt er auf: der verhinderte Bürgermeister der Hauptstadt, Gregor Gysi (PDS). Nach zähen Verhandlungen mit dem Einsatzleiter verkündet er: Die Polizei gewährt freien Abzug in Richtung Wehrmachtsausstellung. Gysi kann das als Erfolg für sich verbuchen. Dennoch kündigt er an, dass ein Untersuchungsausschuss klären soll, wie es zu den Szenen kam, die Deutschland eigentlich vermeiden wollte.

Auch der ehemalige Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde, Andreas Nachama, ist wütend: »Es ist inakzeptabel, wenn die Gegendemonstranten als die Bösen dargestellt werden, während die Parolenbrüller nun die Artigen und Guten sind.«

Die Bilanz dieses Samstages: einer der größten Nazi-Aufmärsche seit 1945, ein beschädigter Lautsprecherwagen, vier demolierte Polizeiautos, brennende Barrikaden, Steinwürfe auf die Polizei, eingeschlagene Scheiben am Hackeschen Markt, 30 Festnahmen und verärgerte Anwohner in Mitte. Die Polizei ist zufrieden. Vor der Synagoge sieht es aus wie auf einem Schlachtfeld.