Berlusconis Justizreform

In eigener Sache

Die italienische Regierung plant eine Justizreform, die vor allem den Interessen Silvio Berlusconis dient.

Mit diesem Ausgang der wochenlangen Beratungen hatte in der Europäischen Union niemand gerechnet. Als die Innen- und Justizminister der 15 EU-Staaten am vergangenen Donnerstag über ein gemeinsames Vorgehen gegen den Terrorismus verhandelten, stellten sich plötzlich die italienischen Regierungsvertreter quer. Der Streitpunkt war vor allem die Liste der Delikte, die demnächst mithilfe eines in der ganzen EU gültigen Haftbefehls geahndet werden sollen.

Die Ministerrunde hatte sich zwar bereits im November auf 32 Straftatbestände verständigt, zu denen unter anderem Terrorismus, Mord, Vergewaltigung und Menschenhandel zählen. Doch der italienische Justizminister Roberto Castelli bestand darauf, dass Korruption, Geldwäsche und Betrug ausgenommen würden. Andernfalls könnten »Bürger ihrer Freiheit beraubt werden«, lautete seine originelle Begründung.

Zufällig handelt es sich bei diesen umstrittenen Punkten ausnahmslos um Straftaten, derentwegen der italienische Premierminister Silvio Berlusconi mit der Justiz in Konflikt geraten ist. Er äußerte sich vor der Ministerkonferenz erstaunt, dass der Katalog auch Delikte enthalten sollte, die seiner Meinung nach »nicht unmittelbar mit Terrorismus zu tun« hätten.

Dem italienischen Regierungschef scheint es zu widerstreben, die Möglichkeiten einer europaweiten Fahndung zu erweitern. Zu frisch ist die Erinnerung an die Ermittlungen des spanischen Untersuchungsrichters Baltasar Garzon gegen ihn. Berlusconi soll als einer der wichtigsten Aktionäre des Fernsehsenders Telecinco spanische Politiker und Beamte bestochen haben. Der Prozess wurde im Oktober vorerst eingestellt. Und schließlich ist Berlusconi nicht Premierminister geworden, um sich wegen seiner vergangenen Finanzdelikte nun ins Gefängnis sperren zu lassen.

Gleichzeitig bekämpft der Premier auch die Justiz im eigenen Land. Im Oktober erklärte er den italienischen Richtern und Staatsanwälten den Krieg (Jungle World, 46/01). Berlusconi, der bereits fünf Gerichtsverfahren ohne Verurteilung überstanden und vier weitere noch vor sich hat, stellt sich gern als Opfer der Justiz dar. Die rechte Regierungskoalition macht seit ihrem Antritt im Juli Stimmung gegen Richter und Anwälte, die sich fast täglich mit Beschimpfungen und Beschuldigungen konfrontiert sehen.

Etwas zu weit gegangen ist dabei der Staatssekretär Carlo Taormina, der in der vergangenen Woche wegen seiner Ausfälle gegen die Justiz zurücktreten musste. Taormina, Mitglied der Forza Italia und langjähriger Rechtsanwalt Berlusconis, wurde schon seit längerem von der italienischen Opposition angegriffen, weil er nicht nur als Politiker, sondern auch weiterhin als Anwalt arbeitete und unter anderen Mafia-Bosse verteidigte.

Der Interessenkonflikt wurde offensichtlich, als der Staatssekretär im November öffentlich die Verhaftung der Mailänder Richter forderte, die einem Prozess vorsaßen, in dem er als Verteidiger auftrat. Im Prozess gegen Cesare Previti, einen Vertrauten Berlusconis, der wegen Bestechung angeklagt war, hatte Taormina beantragt, das Beweismaterial für nichtig zu erklären.

Die Grundlage für seinen Antrag war ein frisch von der Regierung unter Berlusconi verabschiedetes Gesetz, das die Verwendung von Beweisen aus dem Ausland erheblich einschränkt. Die Richter lehnten den Antrag jedoch ab und Taormina beschuldigte sie öffentlich, gegen die Verfassung zu verstoßen.

Mit seinen wiederholten aggressiven Ausfällen gegen die Justiz wurde Taormina untragbar. Dabei hat der Staatssekretär nur ausgesprochen, was in der Regierung Berlusconi viele denken. So verteidigte denn auch Justizminister Roberto Castelli von der rechtspopulistischen Lega Nord den ehemaligen Staatssekretär in einer turbulenten Senatsdebatte am Dienstag der vergangenen Woche.

Taormina habe reale Probleme angesprochen, wenn auch in einem »zu scharfen Ton«. Der Justizminister beschuldigte die Richter, die Macht ihres Amtes zu missbrauchen und gegen die Verfassung zu verstoßen, indem sie die Gewaltenteilung im Staat unterliefen.

Einen Beweis dafür lieferte er auch gleich: »Gegen zwei Mitglieder der Regierung, Berlusconi und Bossi, laufen Hunderte von Gerichtsverfahren. Diese Fakten nähren den Verdacht, dass ein Teil der Magistratur einen politischen Kampf führt.« Die Regierung müsse vor den Attacken der Staatsanwaltschaft geschützt werden.

Darüberhinaus kündigte Castelli Disziplinarverfahren an, unter anderem gegen Francesco Saverio Borelli, den Mailänder Generalstaatsanwalt, der sich gegen das neue Gesetz ausgesprochen hatte, das die Verwendung ausländischen Beweismaterials einschränkt. Zudem hat er ausgerechnet Libero Mancuso, den Vorsitzenden des Schwurgerichts in Bologna, im Visier, der sich Anfang August kritisch zu den polizeilichen Übergriffen während des G 8-Gipfels in Genua äußerte. Castellis Begründung für solche Aufräumarbeiten lautet, die italienische Justiz stehe kurz vor dem Kollaps.

Am Tag nach Taorminas Rücktritt verkündete Regierungschef Berlusconi, dass die im Wahlprogramm angekündigte Justizreform schon in sechs Monaten statt wie vorgesehen in drei Jahren durchgeführt werde. Die Vorfälle der jüngsten Vergangenheit rechtfertigten diese Eile. »Es ist nötig, zu einem echten Rechtsstaat zurückzukehren«, erklärte Berlusconi. Doch unter dem Vorwand, eine effizienter arbeitende Justiz zu schaffen, geht es vor allem um Einschränkungen der derzeit noch von der Verfassung garantierten Unabhängigkeit der Richter und Staatsanwälte.

So sehen die bereits veröffentlichten zwölf Eckpunkte der Reform beispielsweise vor, die Arbeit der Justiz regelmäßigen »Qualitätsprüfungen« zu unterwerfen. Haftstrafen sollen nicht länger von einem einzigen Richter verhängt werden können. Auch in die Wahl der Mitglieder des Obersten Justizrates wollen sich die Gesetzgeber zukünftig einmischen. Und um ganz sicher zu gehen, sollen auch die Prioritäten der Strafverfolgung vom Parlament festgelegt werden.

In welche Richtung die Einmischung der Regierung ins Justizwesen geht, wird deutlich, wenn man die drei Gesetzesänderungen betrachtet, die die Strafverfolgung betreffen und die die Regierung schon jetzt mit großer Eile durchgesetzt hat. Bilanzfälschung ist nicht länger eine Straftat. Statt mit Gefängnis soll sie nur noch mit einem Bußgeld geahndet werden, was wiederum vor allem Berlusconis Position in seinen eigenen Verfahren erleichtern wird.

Das gleiche gilt für die Gesetzesänderung, die die Verwendung von Beweismitteln aus dem Ausland erschwert. Unter dem Vorwand, auf diese Weise besser illegale Geldströme verfolgen zu können, wurde die Rückführung von Kapital aus Steuerparadiesen als ein Vergehen eingestuft, auf das lediglich eine Geldstrafe steht.

Auch diese Entscheidung kommt wiederum Berlusconis Unternehmen zugute, das verdächtigt wird, über schwarze Konten im Ausland zu verfügen. Unverhohlener lässt sich eine reine Interessenpolitik kaum machen. Berlusconi versucht, sich, seine Freunde und seine Unternehmen für alle Zeiten abzusichern. Koste es, was es wolle.