Adventsvierteiler im Fernsehen

Hatte mal'n Mädel

Die menschenverachtende Grausamkeit der Fernseh-Adventsvierteiler ist legendary.

Früher war ja alles, betrachtet man's aus heutiger Sicht, irgendwie legendary. Das Fernsehprogramm, der Tagesschausprecher oder Herr Haber, der unerbittlich danach trachtete, den Menschen in den Weltenraum zu verdrängen. Übergroß wie sein wissenschaftliches Ego war sein Mikrofon, welches er wie der späte Sid Wisches als Halsband um den Nacken trug, und jenseits der Information, nach der wir Kindlein dürsteten (schließlich sollte man »der Naatz mit Abitur« werden, und die Familie bestürmte und drängte einen wie toll, auf dass man sich im Knabenalter schon entwerthern wollte), gab es die heitere Unterhaltung, der man aufgeschlossen entgegentaumelte. So hatte es in den Siebzigern jene Advents- oder Weihnachts- oder Kraft-durch-Freude-Vierteiler, die einem kraft ihrer spannungsgeladenen Handlungsstränge besondere Freude zu vermitteln vermochten.

Besonders legendary war Marc DiNapoli, ein Schauspieler, der einem in werkgetreuen Literaturverfilmungen öfters über den Weg lief. DiNapoli gab etwa den Huck Finn im 1968er »Tom Sawyers und Huckleberry Finns Abenteuer«, wo die Gören Tom und Huck in nie dagewesenen Dialogen ein wahres philosphisches Feuerwerk abbrannten: »Mönsch, Hacki, weeßte, ick denk, ick steh uff Becky, wa.« - »Weiß der Teufel, Tom, sie is'n Mädchen.« All das gemahnte an Kriegsfilme, allein durch die gewagte Synchronisation.

So hatte zuvor lediglich Gregory Peck im Burma-muss-brennen-Drama »Flammen über Fernost« mit Aussagen wie »Hatte mal'n Mädel. Ist beim Fliegerangriff umgekommen« brilliert. Auf den Punkt. Lässig vorgetragen, so musste ein Film sein. Auch andere adventliche Mehrteiler wie »Zwei Jahre Ferien« geizten nicht mit lakonischen Dialogen, denn wiederum war es legendary DiNapoli, der die Hauptrolle spielte, und more noch legendary Franz »Forgotten« Seidenschwan spielte auch mit. In der Bravo gab's auch Franzseidenschwanfänneuigkeiten und Genitalfotografien, die jedoch in logischem Verhältnis zu den bedenklichen Inhalten der Mehrteiler standen. So gab's in fast jedem jener Werke Szenen mit halbnackten Mohren und Weißen, die ihr Genital stets spärlich zu bedecken wussten. Die unterschwellige Sexualität schmorte zwar nicht in Tante Pollys Braten, aber in auf entlegensten Eilanden gestrandeten Schulen halbnackter Teenager oder in Humphry van Weydens und Seewolfs Männerhassliebe oder in Michael Strogoffs wilder Anbandelung mit Nadia Fedor. Harmstorffs Raimund vermochte bräsigkochende Kartoffeln zu zerdrücken oder im Depeschen Modus mit zickigen Zigeunerinnen zu zänkeln.

Die sich dabei entfaltende Männlichkeit hatte er in Produktionen wie »Wild trieben's die Nibelungen« oder wie das hieß zur Perfektion gebracht. Nie werde ich vergessen, wie Harmstorff in diesem Mist mit einem Schock Gespielinnen rang, und eines der sich mit ihm in der Bettstatt befindlichen Schtarlets, wohl auf Drängen des Regisseurs, Harmstorffs Höschen griff und es ihm vom Gesäß zog. Harmstorff, offenbar um seine in wichtigen Filmen wie »Der Seewolf« benötigte unterschwellige Mannbarkeit besorgt, war sich nicht zu schade, während der Szene sein Höschen mehrmals wieder hochzuziehen. Zum Glück. Hätte er es nicht getan, dächte man heute: »Der Harmstorff, einer der seinen Hintern in die Kamera streckt, ist kein rechter Seewolf.«

Da es mir leider nie gelang, mich mit Harmstorff, Seidenschwan oder DiNapoli bekannt zu machen, musste ich eine lange Zeit des Wartens absitzen, um endlich selbst einen der Legendary League kennenzulernen. Ich war Kinokartenverkäufer, hatte mich zuvor im entwerthern, jedoch nicht in suizidaler Absicht, geübt, indem ich Kinokärtlein abriss, war jedoch aufgestiegen, und eines Tages rief man aus dem Büro an, um mitzuteilen, ein Herr vom Spiegel käme vorbei, um sich einen neuartigen Superfilm anzutun, und er plane, darüber einen Essay zu verfassen, und es läge an mir, diesem Herrn mit untertänigster Gleichmut entgegenzukommen. Legendary Matussek himself. Mein Gott, hatten die Büroschpacken einen Heidenrespekt. Jedenfalls erschien Matussek in Begleitung eines Jünglings dinapolihafter Ausstrahlung, natürlich zu spät, verlangte nach der Freikarte und bestand auf der Pressemappe. Meine Fresse. Pressemappe. Weshalb geht dieser ungemein wichtige Herr nicht in die Pressevorführung? Natürlich hatte ich keine Pressemappe zur Hand. Natürlich lief der Film bereits seit drei Wochen. Was will also einer wie Matussek?

Egal, zu gern hätte ich ihn gevierteilt, was mich sofort an die Weihnachtsvierteiler gemahnte. Eine alte Tradition. Schon im Mittelalter wurden zu Festzeiten die Leute gevierteilt. Hätte man zu Herrn Jesus Zeiten bereits über eine der Kreuzigung überlegene Technik verfügt, man hätte die Nervbolzen der Gesellschaft sicherlich gevierteilt. Eine Kunst für sich. Aus dieser Tradition entstand vermutlich auch der für Vierteiler ungemein wichtige Job des Regisseurs. Jedes solche Unterfangen benötigte einen Direktor, einen Experten, der für den koordinierten Ablauf eines solch schwierig zu timenden Unternehmens verantwortlich war. Heutzutage ist ein solcher Herr obsolet. Moderne Fernsehproduktionen brauchen keine Regisseure. Alles was vonnöten ist, ist ein Stuntman, der durch eine Kamera gucken kann.

In den Siebzigern jedoch hatte man sich das Prinzip des Vierteilens komplett zu Eigen gemacht. Man quälte uns jugendliche Zuschauer aufs Ärgste. Vier Teile, jeder hörte mittendrin auf, wann ging es weiter? Wie kommt Indianer Tscho aus der Höhle raus? Wird der halbnackte Mohr, der in Teil drei den Berg runterplumpst, nochmal gezeigt, so als zerschmetterter Kadaver? Ach, es war furchtbar. Eine altmodische, doch bewährte Folter.

Immerhin fördert seelische Qual das kreative Potenzial. So begann ich, die gerade auf dem Fernsehschirm verdauten Abenteuer in sinnenbare Comics umzusetzen. Stets mit grünem Filzer zu Papier gebracht. Weshalb grün? Ich weiß es nicht. Meine »Kurier des Zaren«-Adaption bestand aus 32 Seiten feinstziselierter grafischer Grausamkeiten. So ergötzte ich mich vor allen Dingen an der Auspeitschung von Strogoffs Mutter, die ich mit nie dagewesenen Onomatopöien versah. Strogoff selbst gab ich den meiner Meinung nach passenderen Namen Iwan Soft. Und der herkömmliche Tartar erlitt Qualen, die Stalingrad gerecht geworden wären.

Obschon meine »Schatzinsel«-Adaption nurmehr 16 Seiten umfasste, beschloss ich fürderhin, sämtlichen Protagonisten neue Namen zu verpassen. Aus Long John Silver machte ich kurzerhand Curtlass Simpel, ein Name, der den Schurken beschreibt wie kein anderer. Doch die Siebziger mit ihren heiteren Darstellungen menschlicher Qualen sollten bald einer kalten Dekade weichen, da man nur noch Müll für Kinder produzierte - »Patrick Pakard«, »Silas« und ähnlichen Schrott. Ohne die menschenverachtende Grausamkeit der legendary Weihnachtsvierteiler versagte man jedwedem Kind die ihm innewohnende natürlichste Eigenschaft: Kinder sind grausam, obschon die Schluckimpfung süß war.