Die Einführung des Euro

Arrived! Arrivé! ¡Ya está aquí!

Der Euro ist da. Bringt er Unglück oder ist er ein Aufbruch in eine neue Zeit? Unsere Experten diskutieren

Deutscher Euro

Ist der Euro nur eine verkappte D-Mark, eine neue Währung, die faktisch eine deutsche ist, nur diesmal für ganz Europa? Vieles deutet darauf hin. Der Euro solle hart sein wie die alte Deutschmark, forderten Stoiber, Schröder und Duisenberg schon lange vor seiner Einführung. Die Maastrichter Kriterien - Stabilität um jeden Preis - entsprachen den Forderungen aus Frankfurt. Dort sitzt nun auch folgerichtig die Herausgeberin des neuen Geldes, die Europäische Zentralbank. Mit dem Euro wird nun die alte deutsche Wirtschaftspolitik unter einem anderen Label fortgesetzt, von der Weichsel bis zum Atlantik.

Die Macht kommt aus den Bankautomaten. Mit dem Euro hat die EU die Voraussetzung geschaffen, sich als ökonomische Weltmacht in Konkurrenz zur bislang einzigen globalen Währung, dem Dollar, zu profilieren. Und nach dem Euro kommt die schnelle Einsatztruppe. Wer sich eine globale Währung leistet, muss auch in der Lage sein, sie militärisch abzusichern. Nicht nur auf dem Balkan, sondern überall auf der Welt.

In diesem Sinne ist das neue Geld nur die Fortsetzung des alten Übels auf höherem Niveau. Vieles wird sich ändern, damit alles so bleibt, wie es ist. Immerhin gibt es einen Trost: Mit der Mark verlieren die Deutschen auch eines ihrer wichtigsten Objekte der Identifikation. Schließlich sind sie jetzt nicht mehr allein, sondern müssen sich den Euro mit Griechen, Portugiesen und vermutlich in einigen Jahren auch mit Polen teilen. Und irgendwann, das ist nicht auszuschließen, vielleicht sogar mit Türken. Viel ändern wird das zwar auch nicht. Aber es reicht bereits, um den meisten Deutschen die Freude am neuen Geld zu verderben. Immerhin. Anton Landgraf

Bare Münze

Wie kein anderer Integrationsschritt zuvor wird die neue Währung, der Euro, die Identifikation mit Europa befördern. Der Euro leistet damit einen entscheidenden, epochemachenden Beitrag zum Zusammenwachsen der Völkerfamilie. Das Karlspreisdirektorium ehrt mit dem Euro eine Maßnahme, die stabilisierend für die Gemeinschaft wirkt, eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik unterstützt und die Basis bildet für eine abgestimmte Wirtschafts- und Sozialpolitik sowie für andere politische Felder der Gemeinschaft. Die Einführung des Euro begründet somit eine neue Stufe des europäischen Einigungsprozesses.

Wir verdanken der europäischen Integration die längste Friedensperiode in unserer Geschichte. Dass auf dem europäischen Kontinent Krieg und Diktatur, totalitäre Ideologie und Spaltung überwunden wurden, dass Friede, Freiheit, Verständigung und Versöhnung sich durchsetzten, mag vielfältigen Ursachen zu danken sein. Ohne die zentrale Stellung, die der Gedanke der europäischen Einigung einnahm, wäre diese positive Entwicklung allerdings ausgeblieben.

Ein wesentlicher Baustein für dieses Vereinte Europa ist die europäische Wirtschafts- und Währungsunion. Unser Kontinent - mit so vielen Völkern und Nationen, Sprachen und Kulturen - wächst hierdurch enger zusammen als jemals zuvor. Und diese Integration ist aus freien Stücken, in Frieden und Freiheit erfolgt - ein seltener Augenblick in der jahrtausendealten Geschichte Europas.

Wenn die Menschen an der Algarve und in Dublin, in der Bretagne und im Burgenland, in Lappland und auf Sizilien - um nur einige Regionen zu nennen - in der gleichen Währung zahlen, dann werden sie Europa wortwörtlich als bare Münze in der Tasche mit sich tragen, dann werden sie buchstäblich mit den Händen greifen können, dass Europa eine gewachsene Gemeinschaft und der Euro ein Symbol hierfür ist. Der Euro ist die überzeugendste, pragmatischste Lösung auf dem Weg zur europäischen Gemeinsamkeit seit mehr als 1 200 Jahren. Aus der Begründung zur Verleihung des Internationalen Karlspreises an den Euro

Fluid Art

Der Euro ist da, alles wird teurer, und jetzt warnen Wissenschaftler auch noch davor, dass die neuen Münzen Nickelallergikern Probleme bereiten könnten. Schwedische Forscher fanden heraus, dass Schweiss die Oberfläche der Münzen angreift, bei verschwitzten Händen werde in einer Minute ein Mikrogramm Nickel freigesetzt. Euro, ich krieg 'ne Allergie?

Nein, in Wirklichkeit ist die Einführung des Euro ein Kunstwerk, und zwar ein fließendes. Denn auf den Euro-Banknoten prangt zwar in allen Ländern dasselbe Motiv, doch die Münzen haben nur die gleiche Vorderseite, aber länderspezifische Rückseiten. Während etwa die französische Euro-Münze mit einem gezeichneten Baum aufwartet, der in einem Rechteck steht und von dem Motto »Liberté, Égalité, Fraternité« umgeben ist, zeigt die in Spanien ausgegebene Münze ein Bildnis von König Juan Carlos I. Schön ist die italienische Münze: Sie ziert der menschliche Körper in seinen idealen Proportionen, das berühmte Bild von Leonardo da Vinci.

Sehr beliebt sind auch Tiermotive. Der finnische Euro zeigt auf seiner Rückseite zwei fliegende Schwäne, der griechische eine Eule, die auf einer Vier-Drachmen-Münze des antiken Athen aus dem fünften Jahrhundert abgebildet war. Und wie zu erwarten war, zeigt der deutsche Euro: einen Adler. Wie einfallsreich!

Aber das macht nichts, denn - und jetzt kommt die gute Nachricht - diese Münzen werden sich vermischen. Deutsche werden in den Urlaub fahren, werden dort ihren Adler-Euro ausgeben und Juan-Carlos-Euro oder da-Vinci-Euro als Wechselgeld erhalten und mit nach Hause nehmen. Wieder zurück, werden sie eben nicht zur Bank laufen und das fremdländische Geld umtauschen, denn es ist in Deutschland genauso gültig. Die Banken denken auch nicht an den Rücktransport der Münzen in ihre Herkunftsländer.

Und das bedeutet, dass die Europäer an einer alle Dimensionen sprengenden interaktiven Performance teilnehmen. Es wird interessant zu beobachten sein, welche Münzen sich am Ende in welchen Ländern häufen. Und die Deutschen verzichten nicht nur auf die D-Mark, nein, mit der Zeit verflüchtigt sich auch noch der Adler. Stefan Wirner

Radikaler Leveller

Das bloß atomistische Verhalten der Menschen in ihrem gesellschaftlichen Produktionsprozess und daher die von ihrer Kontrolle und ihrem bewussten individuellen Tun unabhängige, sachliche Gestalt ihrer eignen Produktionsverhältnisse erscheinen zunächst darin, dass ihre Arbeitsprodukte allgemein die Warenform annehmen. Das Rätsel des Geldfetischs ist daher nur das sichtbar gewordne, die Augen blendende Rätsel des Warenfetischs.

(...) Da dem Geld nicht anzusehn, was in es verwandelt ist, verwandelt sich alles, Ware oder nicht, in Geld. Alles wird verkäuflich und kaufbar. Die Zirkulation wird die große gesellschaftliche Retorte, worin alles hineinfliegt, um als Geldkristall wieder herauszukommen. Dieser Alchemie widerstehn nicht einmal Heiligenknochen und noch viel weniger minder grobe res sacrosanctae, extra commercium hominum. Wie im Geld aller qualitative Unterschied der Waren ausgelöscht ist, löscht es seinerseits als radikaler Leveller alle Unterschiede aus.

Das Geld ist aber selbst Ware, ein äußerlich Ding, das Privateigentum eines jeden werden kann. Die gesellschaftliche Macht wird so zur Privatmacht der Privatperson. Die antike Gesellschaft denunziert es daher als die Scheidemünze ihrer ökonomischen und sittlichen Ordnung. Die moderne Gesellschaft, die schon in ihren Kinderjahren den Plutus an den Haaren aus den Eingeweiden der Erde herauszieht, begrüßt im Goldgral die glänzende Inkarnation ihres eigenen Lebensprinzips. Karl Marx

Die Härte

Endlich mal ein Grund zum Feiern: Die Deutschmark verschwindet im Orkus. Das Symbol für Deutschlands wirtschaftliche Macht und Größe ist nicht mehr.

Optimistische Psychologen hatten bereits ein nationales Trauma der Deutschen prophezeit, wenn ihnen ihre harte Währung nicht mehr die notwendige emotionale Stütze verschafft, die man braucht, um die ganze Welt mit den Segnungen des german way of life zu beglücken. Tatsächlich sind die Auswirkungen des Wechsels zum weichen Euro für die deutsche Seele nicht leicht zu verkraften.

Hart wie Kruppstahl - so wollte der Volksgenosse früher sein. Und die deutschen Kanonen waren ein Exportschlager. Hart wie die Deutschmark - so war die logische Fortführung des Programms. Und die deutsche Währung wurde ebenfalls exportiert. Ins Kosovo beispielsweise, wo sie nach dem Nato-Krieg den völkermörderischen, serbo-nationalistischen Dinar Milosevics ablöste. Kaum aber hat sie sich dort etabliert, wird sie abgeschafft.

Da ist guter Rat teuer. Wie soll der deutsche Staat, der am Verlust seiner Währung selbst hart zu knabbern hat, das dem alten albanischen Verbündeten schmackhaft machen? Einen Landserstiefel ins Genick setzen? Eine Parabellum unter die Nase halten? Die alten deutschen Überzeugungskünste scheinen doch ein wenig zu brachial.

Die Rettung kommt von Übersee. In Gestalt der Psychological Operations Group der US-Army. Sie bringt derzeit mit moderner psychologischer Überzeugungsarbeit den Einwohnern des Kosovo nahe, dass es keine nationale Katastrophe ist, wenn der Euro eingeführt wird.

Vielleicht ist ihr Einsatzgebiet noch ein wenig beschränkt. Denn wer weiß, ob nicht allgemeines Durchknallen angesagt ist, wenn den Deutschen der Verlust ihrer heiß geliebten Währung am 1. Januar so richtig zu Bewusstsein kommt. Wenn sie etwa anfangen, die neuen Cents als endgültigen Beweis für die Amerikanisierung und Überfremdung Deutschlands zu betrachten und entsprechend zu handeln. Dann bliebe nur noch eine Frage offen: Reichen die sanften Überzeugungskünste US-amerikanischer PsyOps noch aus oder muss zu härteren Maßnahmen gegriffen werden? Carlos Kunze