Todesfall nach der Verabreichung eines Brechmittels in Hamburg

Mit Sicherheit zum Kotzen

Obwohl in Hamburg ein Mann nach der Gabe von Brechmitteln starb, hält der rechte Senat an dieser Praxis fest und kann sich dabei auf die Unterstützung der Hamburger Ärzteschaft verlassen.

Auf der Intensivstation des Hamburger Universitätskrankenhauses (UKE) rang der 19jährige A. noch mit dem Tod, als schon der nächste mutmaßliche Drogendealer nur wenige Meter entfernt auf den Behandlungsstuhl kam. Von mehreren Polizisten an Armen, Beinen, Hals und Kopf fixiert, wurde auch ihm »mexikanischer Sirup« durch eine Nasensonde in den Magen gepumpt. Für die Staatsanwaltschaft ist das eine Art der »Beweissicherung«. Mit dem Brechmittel sollen Drogenkügelchen zu Tage gefördert werden, die Tatverdächtige bei einer Polizeikontrolle verschluckt haben sollen.

In der Hansestadt macht hingegen auch der Begriff der Folter die Runde, seitdem A. am vorletzten Sonntag unter Gewalteinwirkung einen Herzstillstand erlitt. Es sei das Wesen der Folter, dass man »Beweis führen will unter körperlicher Qual des Delinquenten«, schreibt etwa die Medizinergruppe Ärzteopposition in einem Brief an die Hamburger Ärztekammer. A. ist am Mittwoch der vergangenen Woche an den Folgen des Brechmitteleinsatzes gestorben.

Für die Mitglieder des rechten Senats aus der Schill-Partei, der CDU und der FDP stand es nicht einen Moment in Frage, auch weiterhin Brechmittel verabreichen zu lassen. Der in der Stadt neu entflammten Diskussion, die sich ohnehin nur um die medizinischen Risiken des gewaltsamen Einflößens dreht, verweigern sie sich rigoros.

Denn der Senat macht Politik allein für seine Wählerklientel. Und dafür kommen die tatverdächtigen Straßendealer gerade recht. Es sind ausschließlich jugendliche Männer aus afrikanischen Staaten, denen Brechmittel verabreicht werden. Eine Lobby in der Stadt haben sie nicht. So kann der Senat mit dem »entschlossenen Vorgehen« gegen sie beweisen, dass er es ernst meint mit seinem »Kampf gegen das Verbrechen« in der Stadt.

Schon ihren Wahlerfolg haben die Schill-Partei und die CDU diesem Thema zu verdanken. Schill hatte die Straßendealer zum eigentlichen Problem der Stadt aufgebaut. Jeder einzelne Schwarze, der im UKE zum Erbrechen gezwungen wird, ist zum Symbol der Regierungsfähigkeit vor allem der Schill-Partei geworden, die wegen mangelnder politischer Erfahrung vielfach als »Laienspielgruppe« belächelt wurde.

Da jugendliche Flüchtlinge aber auch unter dem rot-grünen Senat schon systematisch zur Gefahr für die »innere Sicherheit« stilisiert wurden, werden sie auch beim Einflößen von Brechmitteln ausschließlich als Täter definiert und nicht als Opfer staatlich verfügter Gewalt. Und wer, wie etwa der konservative Verband der Ärzte Deutschlands, schreibt, dass man »die Situation vor allem von Seiten der Opfer her sehen muss, die durch das Aufspüren der Dealer letztlich davor geschützt werden, einen Drogenkonsum anzufangen oder fortzusetzen«, braucht sich über die Menschenwürde dieser vermeintlichen Täter keine Gedanken zu machen. Die Brechmitteleinsätze sind eine Strafaktion, ein körperliches Abstrafen jugendlicher Flüchtlinge ohne Prozess, und die Bevölkerung klatscht Beifall dazu.

Doch selbst nach dem kriminalpolitischen Sinn dieser Maßnahme fragt niemand mehr. Auch das ist der SPD und der GAL zu verdanken, die bis Ende September die Regierung stellten. Beide Parteien hatten die Diskussion allein auf die medizinischen Gefahren beschränkt - und Brechmittel im Sommer mit dem Argument eingeführt, der angeblich neu entdeckte »mexikanische Sirup« sei harmlos in der Wirkung und Magensonden seien ebenfalls kein Problem. Da sich nun das Gegenteil erwiesen und die Regierung gewechselt hat, besinnt sich die GAL auf ihre Oppositionsrolle und fordert den sofortigen Stopp zumindest des Einflößens unter Gewalt.

Die ehemalige Regierungspartei hat jedoch nie danach gefragt, ob die Gewaltmaßnahme zur »Bekämpfung der Drogenkriminalität« überhaupt sinnvoll ist. Wohl auch deshalb hatte sie jetzt nichts entgegenzusetzen, als der neue Senat schlicht verfügte, dass beim Erbrechen der Kügelchen immer ein Anästhesist anwesend sein muss, damit auch ja keiner sterben kann.

Die vermeintliche Beweislücke, die durch die Brechmitteleinsätze gestopft werden soll, ist erst im Wahlkampf im Frühjahr aufgetaucht. Zuvor hatte es zur Verurteilung wegen Drogenhandels bereits ausgereicht, wenn Polizisten auf der Straße ein Verkaufsgespräch und Schluckbewegungen des Verdächtigen beobachtet haben wollten. Im Sommer geriet dann der damalige rot-grüne Senat unter Druck, als Wahlumfragen ein gutes Ergebnis der Schill-Partei prophezeiten. Um dem zu begegnen, lösten die SPD und die GAL kurzerhand einige von Schills Wahlkampfparolen ein - darunter Brechmitteleinsätze bei Drogendealern. Schill und die CDU mussten nach ihrem Regierungsantritt lediglich etwas nachbessern und den Anwendungskreis ausweiten.

Niemand spricht mehr davon, dass es einen Schwarzmarkt für Drogen geben muss, solange einzelne Wirkstoffe verboten sind. Und dass die Händler auf der Straße nur kleine Mengen bei sich tragen und die mehreren tausend Kilo Crack, Kokain und Heroin, die jährlich in Hamburg konsumiert werden, keinesfalls dadurch aus dem Verkehr gezogen werden, dass im UKE ein Mann zwei Kügelchen erbricht. Es gibt in Hamburg noch kein rechtskräftiges Urteil gegen einen durch derartige Einsätze »überführten« Drogenhändler. Und nur zwei der über 30 Männer, denen der Sirup seit dem Sommer eingeflößt wurde, wurden daraufhin angeklagt.

Vielmehr haben die bisherigen Einsätze sogar bestätigt, dass selbst die Staatsanwaltschaft auf sie verzichten könnte. Bei dem ersten Tatverdächtigen, der das Mittel im Juli schlucken musste, hat es nicht gewirkt. Ihm gelang es, den hochgewürgten Mageninhalt wieder hinunterzuschlucken. Drogenkügelchen hatte die Polizei anschließend nicht in der Hand. Trotzdem kam der Mann in Haft. Der Beweis der Dealerei sei durch die Schluckbewegungen bereits erbracht, hieß es - wie vor der Einführung der Brechmittelgabe.

Diskutiert wird in der Hansestadt derzeit allein, inwieweit die Einsätze medizinisch vertretbar seien. Ob man Brechmittel auch gewaltsam verabreichen darf, und ob die beteiligten Ärzte in der Notfallversorgung geschult werden oder ob stets Anästhesisten anwesend sein sollen. Nur wenige thematisieren, dass sich die Mediziner, die polizeilich fixierten Menschen gegen ihren Willen eine Magensonde legen, zu Handlangern der Justiz machen. Die Ärzteopposition, die eine Strafanzeige gegen die Verantwortlichen in dem aktuellen Fall unterstützt, hat von der Ärztekammer verlangt, standesrechtliche Verfahren gegen solche Mediziner einzuleiten, doch der Berufsverband hat dies abgelehnt. Auch die Ärztekammer fordert lediglich, die Gewaltanwendung zu unterlassen und Geräte zur Notfallversorgung bereitzustellen.

Verwundern kann das nicht.Die Ärztekammer hat es bereits vor zwei Jahren akzeptiert, dass bei der Ausländerbehörde ein »ärztlicher Dienst« eingerichtet wurde und Mediziner von Amts wegen daran zweifeln, dass Flüchtlinge wegen Krankheit nicht abgeschoben werden können. Auch hat die Kammer nichts dagegen einzuwenden, dass die Behördenärzte suizidgefährdete Flüchtlinge bei der Abschiebung im Flugzeug begleiten, damit sie sich zumindest während des Fluges nicht das Leben nehmen können.

Sie hat auch akzeptiert, dass niedergelassene Ärzte mit Strafverfahren rechnen müssen, wenn sie Flüchtlinge für reiseunfähig oder einen Jugendlichen für 15 Jahre alt erklären, während die Ausländerbehörde ihn ins Asylverfahren für Erwachsene stecken will und ihn deshalb für mindestens 16 Jahre alt halten muss.

In einer Stadt, in der Ärzte sich eher der Regierungspolitik als dem hippokratischen Eid verpflichtet sehen, dürften zweifellos noch viele junge Flüchtlinge zum Erbrechen gezwungen werden. Seit dem Tod von A. ist bisher sechs weiteren Männern der Sirup gegen ihren Willen eingeflößt worden. Und damit künftig negative Schlagzeilen ausbleiben, werden Hamburgs Ärzte schon dafür sorgen, dass keiner der Zwangsbehandelten stirbt. Mit Sicherheit.