»Der Herr der Ringe«

Was fürs Herz

Peter Jackson verfilmt den »Herrn der Ringe« und stolpert über die Hobbitfüße.

Mitte der achtziger Jahre: Ich sitze als Teenie mit mit Kuli angemalter Jeans im Bonner Programmkino Woki. Wir gucken uns den Zeichentrickfilm »Herr der Ringe« von Ralph Bakchi an. Zum Lesen waren wir vorher zu faul gewesen, da reichte es nur zu Tolkiens Vorstudie »Der kleine Hobbit«. Es ist also nicht erst seit der Pisa-Studie die Luft raus aus manchen Insassen deutscher Schulen. Gar nicht so schlecht, denke ich hinterher. War doch schön bunt.

Alle hatten zu der Zeit den »Herrn der Ringe« im Kopf. Zur Umgebung des Kultbuchs von J.R.R. Tolkien gehörten Patschuli, Räucherstäbchen und Teestuben, wo die Jugend so ihre Märchenstunde hatte. Zur Erinnerung: Das Böse in Gestalt von Sauron, Herrscher von Mordor, hat sich einen Ring geschaffen, der nur ihm Macht verleiht. »Ein Ring sie zu knechten - sie alle zu finden. Ins Dunkel zu treiben und ewig zu binden«, sagt der finstere Geselle. Nach Tausenden von Jahren landet der Ring beim Hobbit Bilbo Beutlin, der ihn seinem Neffen Frodo vermacht.

Nun rüsten Saurons bisher niedergehaltene Truppen erneut zum Kampf, den Ring braucht der düstere Herrscher, um leibliche Form anzunehmen. Ein Rat verschiedener Völker, bestehend aus Alben, Elben, Zwergen und was sonst noch da ist, beschließt, dass der Ring dorthin zu bringen ist, wo er hergekommen ist: ins Feuer des Schicksalsberges. Nur dort kann er zerstört werden. Frodo und seine Freunde machen sich auf den gefährlichen Weg, den allerlei erschröckliches Getier (Höhlentrolle) belagert.

Warum liest man solche Bücher? Weil man sich mit 15 eher mit einem kleinen stinkigen Zwerg identifizieren kann, weil man ja selber auch einer ist. Und weil solche Bücher so wunderschön geschlossen sind: Fängt man einmal mit dem Lesen an, hört man nicht mehr auf, das kennt wohl jeder selber.

Am letzten Freitag im Cubix-Kino auf dem Alexanderplatz: Erstvorführung von »Herr der Ringe« von Peter Jackson. 18 Monate hat er an der Trilogie nach dem Buch von Tolkien gedreht, dafür eigens vier Fabriken hingestellt und der neuseeländischen Wirtschaft Tausende von Arbeitsplätzen beschert. Jeder Band des Buches bekommt jetzt einen eigenen Film. Teile der Presse unterstützen das Projekt. Da taucht sogar Bakchi auf: Auf einmal ist zu lesen, die Zeichentrickversion sei völlig verunglückt. Da wird vom Filmverleih Warner behauptet, Tolkiens Saga sei bisher noch unverfilmt; obwohl Bakchi in einem besonderen Verfahren auch Schauspieler eingesetzt hatte und die Aufnahmen nachher koloriert wurden.

Wenn man den ersten Teil von Jacksons Version gesehen hat, kann man sich vorstellen, dass Bakshi wohl wusste, warum ein Streifen reicht. Nachdem man sich bei Jackson von den ersten Einstellungen hat beeindrucken lassen, kommt eine gute langweilige Zeit. Bis zum ersten großen Ungeheuer braucht es zwei der drei Filmstunden; der schnellste Film ist das hier nicht. Mittelerde, Auenland, Bilbo, Gandalf, Orgs, Sauron, Gut und Böse. Wein, Tabak und Leute heißen anders als bei uns. Sie verstehen, das ganze Programm eben.

Warum rennt man in einen Fantasy-Film? Weil man sich die Packung geben will. Mit Treue, Blut und Vaterland, Mord und Totschlag, Verschwörungstheorien, Typen, die aussehen wie die Figuren auf den Covern von Motörhead, und Äxte schwingenden Waldweibern. Weil man extreme Perspektiven und große Monster liebt. Um unverbrüchliche Wahrheiten zu hören und vom Kampf Gut gegen Böse. Da fangen dann die Parallelen zur Wirklichkeit an. Nicht nur Mittelerde, sondern auch Richtigerde hat ja öfters mal Krieg. Auch bei uns wird aus Geschichte erst Legende, dann Mythos. Auch uns werden Ketten von Herrschern angelegt, Biowaffen, die Sauron gern einsetzt, kennen wir aus dem Fernsehen. Die Grundlagen der Weltgeschichte als Pop. Ein universaler Comic des Comic-Universums. Ist auch in »Herr der Ringe« drin.

Eine Burg gibt es, ich sag' nur, eine Burg. Ein Schloss, ich sag' nur, ein Schloss. Wahnsinnige Explosionen, gigantische Gewölbe. Dazwischen bewegen sich erfolgreiche Schauspieler wie der brummige Ian McKellen, das Kreischkind Eljah Wood, der legendäre Christopher Lee, Liv Tyler mit ihren Pippi-Langstrumpf-Lippen.

Jackson ist hoffnungslos detailversessen - bei der Kleidung der Akteure, den hervorragenden Fotografien, den Bauten. Dennoch dürfte dieses ambitionierte Projekt schon im ersten Teil das Schicksal ereilen, das die wegen ihres Charakters als universeller Comic durchaus vergleichbare »Star Wars«-Trilogie im dritten Teil erwischt: Langeweile macht sich breit. Zum Beispiel gibt es unendlich langweilige Dialoge. Irgendwann ist man das Eso-Gequatsche leid. Ein bisschen mehr Action über die immer gleichen Kampfszenen könnte auch sein. George Lucas ist ohne Zweifel an den Ewoks, seinem nervigen, pelzigen Waldvolk, gescheitert. Mag sein, dass man solche Figuren braucht, um bei McDonald's Merchandising-Artikel für Kinder zu verkaufen. Bei »Herr der Ringe« sind es die Hobbits. Da gibt es den doofen Zwerg und den, der immer stolpert. Da wird viel geweint, durcheinandergepurzelt und umarmt. Haupthobbit Eljah Wood rundet das Bild ab. Mit seinen Kulleraugen und ungewaschenen Hobbitfüßen soll er knuddelig und was fürs Herz sein.

Warum wollen alle den Ring der Macht? In den Szenen, wo Frodo ihn benutzt, wird er unsichtbar und taucht in die Welt Saurons ein. Das Böse spricht direkt zu unserem kleinen Freund. Da hat man doch gar nichts von. Das wird auch bis zum Schluss nicht sehr viel deutlicher. Zur Schauspielerei ist auch nicht allzuviel zu sagen, man ahnt ja alles schon vorher, weil die Rollen so schön festgeschrieben sind. So bleibt es also bei einigen traumatisierenden Begegnungen mit Blanchett und Tyler.

Das Problem: Jackson erzählt nichts Neues, stellt keine wirklich anderen Bezüge zur Wirklichkeit her als die, die der durchschnittliche Fantasy-Film zu liefern in der Lage ist. Und das ist das Pflichtprogramm: immerwährender Kampf zwischen Gut und Böse, Natur und Maschinen, Freundschaft und den Mächten des Verderbens. Allgemeinmenschliches und -hobbitisches. Leben wir nicht alle in Mittelerde? Irgendwie schon. Er habe keinen Standardfantasy-Film machen wollen, betont Jackson. Dabei musste das einer werden, denn Tolkiens Buch ist nun mal das Standardwerk der Fantasy-Literatur.

So muss sich »Herr der Ringe« auf seine wenigen glanzvollen Trickaufnahmen verlassen. Trotzdem: Man kann sich vorstellen, dass dieser Film extrem erfolgreich wird. Warum? Genauso leicht eingeschläfert wie in der »Herr der Ringe«-Vorführung letzte Woche habe ich mich in James Camerons »Titanic« gefühlt. Und den haben sich ja auch manche Leute 20 Mal angesehen. Der Schluss-Soundtrack von »Herr der Ringe« erinnert denn auch ganz schön an Celine Dions »Titanic«-Lied (man beachte die Flöte). Warum die Jungle World eine Besprechung dieses Films bringt? Na, auch wir wollen am Kuchen teilhaben. Als ich vor Jahren mal was Hässliches über die Ewoks aus George Lucas' »Star Wars« abgelassen habe, gab es gleich Abo-Bestellungen. Abgesehen davon werden nicht unerheblich wenige Leserinnen und Leser in den Film gehen.

Aber lieber noch mal zu einer anderen Frage: Welches Buch wäre noch zu verfilmen? Ein amerikanischer Präsident hat mal darauf hingewiesen, der Kommunismus sei das Reich des Bösen, nicht Mordor. Da läge es doch für den nächsten ambitionierten Regisseur nahe, »Das Kapital« von Karl Marx zu verfilmen. Das hat auch noch keiner versucht, und man stelle sich die Schlagzeile vor: »Kapital« schafft Arbeitsplätze. Mit Patschuli, Räucherstäbchen und Teestuben.

»Der Herr der Ringe« (USA 2001), R.: Peter Jackson