Wirtschaftsrezession

Auf und nieder, immer wieder

Entgegen den Prognosen wuchs die deutsche Wirtschaft im Jahr 2001 kaum, die Arbeitslosenzahlen stiegen dafür kräftig.

Vor einem Jahr schien die deutsche Wirtschaftswelt noch in Ordnung zu sein. Im Herbst 2000 sagte der Sachverständigenrat (SVR) der Bundesregierung für 2001 ein Wirtschaftswachstum von 2,8 Prozent voraus, die Bruttoanlageinvestitionen sollten um 3,4, die Ausrüstungsinvestitionen um 7,9 Prozent wachsen. Bundeskanzler Gerhard Schröder verkündete, bis zur nächsten Bundestagswahl werde es nur noch 3,5 Millionen Arbeitslose geben. Die mit dem Konjunkturaufschwung zurückgehende Arbeitslosigkeit wollte Schröder als Leistung des so genannten Bündnisses für Arbeit anerkannt wissen.

Doch daraus wird nichts. Es gab im vergangenen Jahr nur ein mageres Wachstum von 0,6 Prozent und einen kräftigen Rückgang der Investitionen. Im November waren 3,79 Millionen Arbeitslose registriert, es dürften noch mehr werden. In Ostdeutschland sind die Zahlen noch schlechter, dort war das Wachstum schon fünf Jahre lang geringer als im Westen, von einem »Aufholen« also keine Spur. Und für 2002 werden - für Ost wie für West - kaum bessere Zahlen vorhergesagt. Deutschland, wie auch die gesamte Weltwirtschaft, befindet sich in einer Rezessionsphase.

Nicht nur der Sachverständigenrat, auch die großen Wirtschaftsforschungsinstitute lagen mit ihren Prognosen für 2001 gewaltig daneben. In der Voraussage von Rezessionen und Krisen war die Wirtschaftswissenschaft noch nie besonders gut. Die Verfasser neoliberaler Lehrbücher betrachten Krisen nicht als kapitalismusimmanente Phänomene, sondern als lediglich »von außen«, zum Beispiel durch zuviel Sozialpolitik, verursachte Störungen. Die Keynesianer dagegen sehen wenigstens, dass der kapitalistische Akkumulationsprozess »instabil« ist, glauben aber, ihn durch die richtige Geld- und Fiskalpolitik stabilisieren zu können.

Dass es der Kapitalismus selbst ist, der Krisen nicht nur hervorbringt, sondern sie auch benötigt, um die immanent erzeugten Blockaden der Akkumulation - wie Überproduktion von Waren und Überakkumulation von Kapital - zu beseitigen, wird dabei gerne übersehen. Für den Kapitalismus als System sind Krisen kein Unglück, sondern Verjüngungskuren, da sie einen neuen, profitablen Akkumulationszyklus ermöglichen, wofür die Mehrheit der Bevölkerung allerdings einen hohen Preis in Form von Arbeitslosigkeit, Verarmung und erhöhtem Arbeitsdruck bei Beschäftigung zahlen muss.

Nun fordern Keynesianer größere Zinssenkungen der Europäischen Zentralbank (EZB) und eine expansive Fiskalpolitik. Der Staat soll eine höhere Staatsverschuldung zulassen, um die Konjunktur zu stützen. Dabei wird auf die USA verwiesen, wo die Leitzinsen kontinuierlich gesenkt wurden (von 6,5 Prozent im Januar auf 1,75 Prozent im Dezember 2001), während die EZB erst nach dem 11. September die Zinsen von 4,25 auf inzwischen 3,25 Prozent zurückgenommen hat.

Und nachdem die Regierung von George W. Bush bereits in der ersten Jahreshälfte die Steuern gesenkt hatte, wurden nach dem 11. September milliardenschwere Hilfsprogramme für die Fluggesellschaften und die Stadt New York beschlossen; ein weiteres Konjunkturprogramm im Umfang von 100 Milliarden Dollar ist im Gespräch. Allerdings sind die Steuersenkungen höchst ungleich verteilt, sie kommen vor allem den oberen Einkommensklassen sowie den Unternehmen zugute. Auch der größte Teil des geplanten Konjunkturprogramms soll aus solchen Steuersenkungen bestehen.

Dass die EZB der amerikanischen Notenbank nacheifert, ist nicht zu erwarten. Denn sie hat weitgehend das geldpolitische Schema der Deutschen Bundesbank übernommen, deren Zinspolitik wesentlich dazu beigetragen hat, die Gewerkschaften lohnpolitisch auszubremsen. Da kein Zweifel daran gelassen wurde, dass bereits auf kleinste »Inflationsgefahren« mit Zinserhöhungen reagiert und dabei auch ein wirtschaftlicher Abschwung mit steigender Arbeitslosigkeit in Kauf genommen würde, beschränkten sich die Gewerkschaften zumeist freiwillig in ihren Lohnforderungen, um keine Lohn-Preis-Spirale in Gang zu setzen. In den USA ist eine solche Unterstützung der Unternehmen durch die Zentralbank nicht nötig, denn der Einfluss der Gewerkschaften ist dort wesentlich geringer als in Westeuropa.

In der Zinspolitik der EZB spielt auch der Wechselkurs des Euro eine wichtige Rolle. Soll der Euro langfristig dem Dollar Konkurrenz machen, muss er für internationale Kapitalanleger »interessant« bleiben und darf nicht weiter abstürzen. Dabei helfen hohe Zinsen.

Von neoliberaler Seite wird momentan eine weitere »Deregulierung« des Arbeitsmarktes gefordert, auch der Sachverständigenrat tut das in seinem Herbstgutachten. Schutzrechte für die Beschäftigten und Flächtentarifverträge stören nur. Der von der CDU erhobenen Forderung, die nächste Stufe der Steuerreform vorzuziehen, wovon vor allem Großverdiener profitieren würden, wollte sich der SVR nicht anschließen. Die Einnahmeausfälle könnten zu einer höheren Staatsverschuldung führen, weshalb auch Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) solche Pläne ablehnt.

Wie Steuersenkungen zu den längerfristigen neoliberalen Konzepten passen, wurde auf einem Symposium der wenig bekannten, aber wirtschaftspolitisch einflussreichen Giersch-Stiftung ausgeplaudert. Da der europäische Stabilitätspakt die Neuverschuldung eines Landes auf maximal drei Prozent des jeweiligen Bruttoinlandsproduktes begrenzt, »gelte es durch abnehmende Einnahmen so nahe an das Drei-Prozent-Kriterium heranzukommen, dass schließlich auch die Ausgaben gesenkt werden müssten. Dann erfülle dieses Kriterium das höhere Ziel, die Staatsquote allmählich immer weiter zu senken«, berichtete die Frankfurter Allgemeine Zeitung am 6. Dezember. Von den Ausgabensenkungen dürften in erster Linie die Sozialleistungen betroffen sein.

Auch der Hinweis auf die Notwendigkeit allenfalls »moderater« Lohnsteigerungen darf nicht fehlen. Der Lohnzuwachs soll geringer als der Produktivitätszuwachs sein, was die Verteilung weiter zugunsten des Kapitals verschieben würde, sodass angeblich neue Arbeitsplätze geschaffen werden könnten. Die Gewerkschaften haben dieses Märchen jahrelang geglaubt und auf reale Lohnerhöhungen weitgehend verzichtet. In den neunziger Jahren stiegen die Nominallöhne zwar leicht an, die Reallöhne waren 2001 aber geringer als 1991. Gegenwärtig liegen die Reallöhne kaum über dem Niveau der frühen achtziger Jahre, die Unternehmensgewinne sind dagegen um rund 90 Prozent gestiegen. Rezessionen und eine Zunahme der Arbeitslosenzahlen wurden damit nicht verhindert.

Die IG Metall hat nun zumindest rhetorisch die Stillhaltepolitik aufgekündigt und für das kommende Jahr fünf bis sieben Prozent mehr Lohn gefordert, was bedeutet, dass wohl drei bis 3,5 Prozent durchgesetzt werden sollen. Bei einer Preissteigerungsrate von zwei Prozent liefe dies auf eine bescheidene Reallohnerhöhung von einem bis anderthalb Prozent hinaus, die immer noch weit unterhalb der Produktivitätssteigerung liegen würde. Angesichts der gegenwärtigen Rezession ist es aber keineswegs ausgemacht, dass in der IG Metall nicht doch noch die »gesamtwirtschaftliche Verantwortung« siegt und sie sich wieder »rezessionsbedingt« mit weniger zufrieden gibt.

Momentan sind zum ersten Mal seit 1974/75 und 1980/81 die USA, die EU und Japan gleichzeitig in einer Krise, was linke Kapitalismuskritiker triumphieren lässt, als ob allein die Krise die Nagelprobe der Kritik wäre. Der Kapitalismus beruht aber nicht nur in der Krise, sondern auch in der Boomphase auf Ausbeutung und Unterdrückung. Und ein Aufschwung in den USA könnte früher kommen, als erwartet wird. Er würde mit einer gewissen Verzögerung auch die exportorientierte europäische Wirtschaft erreichen. Hohe Lagerbestände und Überkapazitäten wurden in den USA bereits zu einem guten Teil abgebaut und niedrige Zinsen ermöglichen billige Investitionen. Der »Krieg gegen den Terror« wirkt nicht nur als ein dauerhaftes Konjunkturprogramm. Wenn die USA von Sieg zu Sieg eilen, wächst auch die für die US-amerikanische Wirtschaft äußerst wichtige private Nachfrage. Er wäre nicht der erste Krieg, der eine Rezession beendet.