Probleme mit der privatisierten Bahn

Bonus für Versager

Die britische Labour-Regierung will die Privatisierung der Bahn zum Teil wieder rückgängig machen.
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Wenigstens die Schulkinder haben einen Grund zur Freude. Wegen eines Streiks des Zugpersonals im Südwesten Englands werden viele Schüler nach den Weihnachtsferien ihre Klassenräume nicht erreichen. Die Gewerkschaft Rail, Maritime and Transport (RMT) rief gleich zu Beginn des neuen Jahres ihre Mitglieder beim Zugbetreiber South West Trains auf, nicht zur Arbeit zu erscheinen.

Die Ziele des Streiks, der am vergangenen Donnerstag begann und vier Tage dauern soll, sind höhere Löhne und die Rücknahme von nach Ansicht der Gewerkschaft ungerechtfertigten Disziplinarmaßnahmen gegen ihre Aktivisten. »Die Leute sind demoralisiert von der Art, wie sie vom Management behandelt werden. Das geht seit Jahren so«, begründete Phil Bialyk von der RMT den Ausstand. Bereits im vergangenen Jahr wurde das Unternehmen, das täglich 350 000 Fahrgäste befördert, bestreikt.

Damals waren vor allem die Pendler auf dem Weg nach London betroffen. Die Transportfirma kündigte jedoch an, den Forderungen nicht nachzugeben, und wurde darin auch von der Regierung unterstützt. »Das Schädliche an der jetzigen Aktion ist die Ermutigung, die damit der 'Streikkultur' gegeben wird«, erklärte George Muir, der Generaldirektor der Vereinigung der Bahnfirmen. Inzwischen werden auch in anderen Landesteilen Streiks vorbereitet.

Offenbar sind die ruhigen Zeiten für die privaten Zugbetreiber vorbei. Nicht nur die wieder erwachte »Streikkultur« der für britische Verhältnisse starken Gewerkschaften im Transportsektor beunruhigt die Nachfolger der staatlichen British Rail, die 1994 aufgeteilt und privatisiert wurde. Im Oktober des vergangenen Jahres verfügte Transportminister Stephen Byers die Rückführung der privaten Aktiengesellschaft Railtrack in die staatliche Verwaltung, er könnte damit eine vollständige Neuformierung des britschen Bahnsystems begonnen haben.

Railtrack, das die Infrastruktur der Bahn besitzt, stand kurz vor dem Bankrott, als wegen mangelnder Instandhaltung das gesamte Schienennetz Großbritanniens monatelang überprüft und zum Teil gesperrt werden musste und die Kosten für Neubaustrecken sich vervielfacht hatten.

Diese faktische Verstaatlichung von Railtrack steht im Widerspruch zum Programm der regierenden Labour-Partei. PPP (Public Private Partnership) war die Zauberformel, mit der die maroden Schulen, die Krankenhäuser und andere staatliche Einrichtungen saniert werden sollten. Eine Mischfinanzierung aus staatlichem und privatem Geld und eine private profitorientierte Verwaltung sollten sowohl niedrige Steuern als auch funktionierende Dienstleistungen garantieren.

Bei Railtrack führte dieses Modell zum Verschleppen notwendiger und teurer Reparaturen, zu mehreren tödlichen Unfällen in den letzten Jahren und zu immer wieder neuen staatlichen Zuschüssen an die defizitäre Aktiengesellschaft. Inzwischen kommen auch ohne Streik nur noch zwei von 25 Zügen pünktlich an, während die Zugbetreiber zum Jahresbeginn Preiserhöhungen von 17 Prozent bekanntgaben.

Lange Zeit gab Labour die Schuld für das Desaster der Konservativen Partei, unter deren Amtsführung British Rail privatisiert worden war. Doch nun antwortete auch Minister Byers auf die Frage, ob sich die Situation unter Labour verbessert habe: »Natürlich nicht. Es ist schlimmer geworden.«

Selbst Premierminister Tony Blair sah sich in seiner Neujahrsansprache dazu veranlasst, auf die Probleme einzugehen, ohne allerdings das Scheitern des Herzstücks seiner Politik zuzugeben: »Es besteht weiter riesige Frustration über manche unserer öffentlichen Dienste, insbesondere die Eisenbahn. Ich werde nicht so tun, als ob wir unser Transportsystem schnell wieder herstellen könnten. Wir werden dazu nachhaltige Investitionen sowie eine langfristige und konstruktive Partnerschaft zwischen dem öffentlichen und dem privaten Sektor benötigen.«

Von einer Partnerschaft mit dem privaten Sektor kann momentan kaum die Rede sein, da die Railtrack Shareholders Action Group (RSAG) nun eine Kompensation der entgangenen Gewinne aus Aktienerlösen verlangt. Die Mitglieder der RSAG, darunter die Deutsche Bank und die Schweizer Bank UBS, besitzen zusammen 40 Prozent der fast wertlosen Railtrack-Aktien. Sie beschuldigen Transportminister Byers der »Missführung eines öffentlichen Amtes und der ungesetzlichen Einmischung in ihre Geschäftsrechte und Interessen«, so einer ihrer Anwälte, und bereiten eine Klage vor. Der Transportminister soll auch gegen die Eigentumsrechtsparagrafen der Europäischen Menschenrechtskonvention verstoßen haben.

Byers, der wohl den zur Zeit undankbarsten Posten in der britischen Politik bekleidet und den Unwillen der Londoner Bankenwelt auf sich gezogen hat, plant, Railtrack zu einer nicht profitorientierten Organisation zu machen. Doch eigentlich sollte die Umwandlung bereits im letzten Jahr abgeschlossen werden, nun ist ein neuer Termin Ende 2002 anvisiert. Gleichzeitig werden jedoch auch Gespräche mit einem SwiftRail genannten und von der deutschen Bankgesellschaft West LB gesteuerten Konsortium geführt, das Railtrack gerne übernehmen würde. Falls die Regierung zwölf Milliarden Euro zuschießt, so die West LB, würde die Bank die finanzielle Rettung Railtracks sicherstellen.

Der frühere für Railtrack zuständige Kabinettsminister Gavin Strang, der nach den Wahlen im Juni aus der Labour-Regierung ausgeschieden war, widersprach diesen Plänen: »Die korrekte Position ist es, die Firma Railtrack zurück in staatliches Eigentum zu führen. Wenn die Regierung sie besitzt, kann sie der Sache die notwendige Priorität geben.«

Ende Dezember wurde sogar spekukliert, ob der Zugverkehr aus Sicherheitsgründen ganz eingestellt werden müsse. John Curley, bei Railtrack Manager für Infrastruktur, warnte, dass zehn Prozent des Schienennetzes »am Ende ihres Arbeitslebens oder darüber hinaus« seien. Schuld seien wegen »Kostenerwägungen« nicht ausgeführte Reparaturen.

Zudem habe die jahrelange Frustration zu einem akuten Mangel an qualifiziertem Personal geführt, ohne das aus rechtlichen Gründen der Zugverkehr nicht aufrechterhalten werden könne. »Wir sind nicht weit entfernt von der Schließung des Netzes. Wenn sechs oder sieben Schienen-Ingenieure weggehen, müssen wir schließen«, erklärte Curley. Unter diesen Umständen erscheint die Ankündigung eines Fahrgastverbands, im März zum Boykott des Zugverkehrs aufzurufen, falls die Regierung nicht investiere, eine Vorsichtsmaßnahme zu sein.

Währenddessen zeigen sich die streikenden Gewerkschafter verwundert über die hohen Abfindungen für die offensichtlich unfähigen ehemaligen Manager von Railtrack. Jonson Cox, der nur elf Monate lang Geschäftsführer war, erhält nun ein Jahresgehalt von 480 000 Euro, bis er einen neuen Job gefunden hat.

Vernon Hince von der Gewerkschaft RMT nannte solche Abmachungen in den Chefetagen »widerlich«: »Wenn unsere Mitglieder wegen Unfähigkeit entlassen werden, bekommen sie kein Gehalt mehr wie die meisten Menschen in Großbritannien. Weiß der Himmel, warum Firmendirektoren, und insbesondere Mr. Cox, es hinbekommen, sich mit dem Bonus eines Jahresgehalts zu verabschieden. Das ist eine Belohnung für Versagen.«