Jörg Haider greift das Verfassungsgericht an

Die Taliban von Kärnten

Jörg Haider greift das Verfassungsgericht an, weil es die Rechte der slowenischen Minderheit im südlichsten Bundesland Österreichs stärken will.

Für die 13 österreichischen Verfassungsrichter war es ein arbeitsreiches Wochenende. Sie mussten darüber befinden, ob gegen den Präsidenten des Verfassungsgerichtshofes, Ludwig Adamovich, ein Amtsenthebungsverfahren eingeleitet wird. Angezettelt hatte das komplizierte Verfahren der Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider (FPÖ), der Adamovich kurz vor Weihnachten ein »unwürdiges Verhalten« vorgeworfen hatte.

Dass sich Jörg Haider, in den letzten Monaten als Kärntner Landeshauptmann auf provinzielle Politik zurechtgestutzt, mit dem bislang unantastbaren Verfassungsgericht anlegt, hat einen ebenso provinziellen Hintergrund. Die höchsten Richter Österreichs hatten entschieden, dass in Kärnten mehr zweisprachige Ortstafeln aufgestellt werden müssen. Ortsschilder in deutscher Sprache und in der Sprache der lokalen Minderheit sind Teil der in Österreich verfassungsrechtlich verankerten Rechte der anerkannten Volksgruppen, der Slowenen, Kroaten, Ungarn, Tschechen, Slowaken und Roma.

Wenn in Österreich eine Minderheit einen bestimmten Anteil an der Gesamtbevölkerung erreicht, treten Minderheitenrechte in Kraft. Eine zweite Amtssprache gehört ebenso dazu wie zweisprachige Hinweisschilder. Im Falle Kärntens hatten die Verfassungsrichter entschieden, dass eine zweisprachige Tafel auch dort aufgestellt werden müsse, wo die slowenische Minderheit mehr als zehn Prozent der Gesamtbevölkerung erreiche. Bisher lag diese Hürde bei 25 Prozent.

Nirgendwo in der Alpenrepbulik hat diese Praxis bislang für Probleme gesorgt. Im Burgenland existieren fast überall Ortstafeln auf Deutsch, Ungarisch und Kroatisch, zweisprachige Ortstafeln gibt es außerdem in Teilen der Steiermark.

In Kärnten aber reagieren die Politiker anders. Jörg Haider weigerte sich bislang, die Anweisung der Verfassungsrichter in seinem Bundesland zu befolgen, und vermutete »politische Mauscheleien« hinter der Entscheidung. Adamovich habe sich in Wien mit dem slowenischen Staatspräsidenten Milan Kucan getroffen und sich mit ihm über die Aufstellung weiterer zweisprachiger Ortstafeln geeinigt. Ein »politisches Urteil« also, dem er, Haider, nicht Folge leisten werde.

Deswegen forderte er den Gerichtspräsidenten zum Rücktritt auf und beschuldigte Adamovich, er habe sich »unwürdig« verhalten. Entsprechend dem Kodex des Verfassungsgerichtshofes zieht der Vorwurf der Unwürdigkeit automatisch ein Amtsenthebungsverfahren nach sich.

Der Kärntner Landeshauptmann leistet sich ein sehr exklusives Verfassungsverständnis. Weil das Urteil im teilweise vom deutschnationalen Milieu bestimmten Kärnten nicht gerade populär ist und Jörg Haider einen Ruf als Bewahrer der deutschen Tugenden in Kärnten zu verlieren hat, greift er den ersten Verfassungsrichter Österreichs mit populistischen Parolen an.

In den Wochen seit den Ausfällen ist das Niveau der Auseinandersetzung nicht gerade gestiegen. Der Bürgermeister von Wien, zugleich stellvertretender Parteivorsitzender der österreichischen Sozialdemokraten, verstieg sich zu einem seltsamen Vergleich. »Das ist, wie wenn einem verurteilten Mörder das Urteil nicht passt und er den Rücktritt des Richters und eine Volksabstimmung über das Urteil verlangt«, sagte Michael Häupl.

Tatsächlich hatte Haider gedroht, eine Volksbefragung über die zweisprachigen Ortstafeln durchführen zu lassen, denn basisdemokratische Allüren zeigt er immer gern. Eine solche Volksbefragung bedeutet zwar einen direkten Konflikt mit der österreichischen Verfassung und mit dem Staatsvertrag, politisch opportun ist sie aber allemal.

Denn für viele Kärntner sind zweisprachige Ortstafeln, was für die Taliban die Buddha-Statuen von Bamyan waren. Nach einer Umfrage halten 91 Prozent der Kärntner diese Frage für geeignet, die »Bevölkerung zu emotionalisieren und für politische Ziele zu mobilisieren«.

Haider weiß das sehr genau und benutzt den Konflikt nun, um seine Ansprüche immer höher zu schrauben: »Eine andere Lösung wäre, dass es künftig überhaupt keine Prozentsätze gibt. Dass die Volksgruppe aus Gründen auch ihrer eigenen Interessen auf jegliche Form der zweisprachigen Ortstafeln verzichtet und dafür eine vernünftige Volksgruppenförderung im kulturellen und schulischen Bereich vereinbart, was der Volksgruppe wahrscheinlich auf Dauer mehr bringen wird.« Anders ausgedrückt: Der Verzicht auf zweisprachige Ortstafeln wird finanziell abgegolten.

Dass er mit dem Thema der Ortstafeln noch immer punkten kann, weiß Haider aus der Kärntner Geschichte. 1972 kam es in Österreichs südlichstem Bundesland wegen der Aufstellung zweisprachiger Schilder zu schweren Unruhen, einen Haider brauchte es dafür nicht. Als damals der sozialistische Bundeskanzler Bruno Kreisky nach Kärnten reiste, um die Gemüter zu beruhigen, wurde er als »Saujude« beschimpft und musste unter Polizeischutz das Bundesland verlassen.

Doch diesmal hat der Streit wegen der Querelen mit dem Verfassungsgerichtshof eine neue Qualität erhalten. Haider versucht sich mit der Rücktrittsaufforderung an Adamovich und der Weigerung, das Urteil trotz »politischer Unsinnigkeit« anzunehmen, an einer Verfreiheitlichung der Justiz.

Wo die bislang weitgehend unabhängige Justiz unangenehme Sprüche fällt, wird mit dem von der FPÖ kanalisierten Volkszorn gedroht. Haider warnte, eine Befolgung des Richterspruchs werde »eine Revolution« heraufbeschwören. Vor der politischen Weitsicht des Landeshauptmanns müssen eben auch Juristen kapitulieren.

Der Streit um die Ortstafeln ist nur der erste Versuch, sich auch das Verfassungsgericht gefügig zu machen. Haiders langjähriger Gefährte Peter Westenthaler philosophierte auch sogleich, man müsse nun über ein anderes Verfahren zur Bestellung der Verfassungsrichter nachdenken. Westenthaler nennt das »Objektivierung«.

Für die grüne Minderheitensprecherin Teresija Stoisits liegt der Fall klar. Man wolle nun auch das Verfassungsgericht »blau einfärben«. Haiders politische Ausfälle seien ein »Anschlag gegen die verfassungsmäßigen Einrichtungen der Republik«.

Der gegenwärtige Streit hat allerdings auch eine unangenehme außenpolitische Komponente. Das südliche Nachbarland Slowenien versteht sich als Schutzmacht der slowenischen Volksgruppe in Kärnten. Sloweniens Präsident Milan Kucan mahnt daher seit Jahren die Gewährleistung der Minderheitenrechte in dem österreichischen Bundesland an.

Doch immer, wenn Kucan wieder einmal seine Sorgen öffentlich verbreitet, droht Haiders FPÖ mit einem Veto Österreichs gegen den Beitritt Sloweniens zur EU. Schließlich will auch der Schildbürger Jörg Haider mit populistischen Parolen zum Europapolitiker werden. Gut möglich, dass es ihm sogar gelingt.