Ökonomische Krise

Einstieg in den Ausstieg

Erstmals seit langem dominiert die ökonomische Krise die öffentliche Debatte in Israel. Differenzen über die Wirtschaftspolitik könnten dazu führen, dass die Arbeitspartei die Koalitionsregierung verlässt.

Ein halbes Jahr, nachdem der Kampf um die Führung der israelischen Arbeitspartei (Avoda) in einer Schlammschlacht zwischen den Kontrahenten, dem Verteidigungsminister Benjamin Ben-Eliezer und dem Parlamentspräsidenten Avraham Burg, geendet hatte, hat die traditionsreiche Partei nun doch wieder einen Vorsitzenden. Schon am 25. Dezember, am Tag vor der Wahl, gestand Burg seine Niederlage ein, nachdem die drusischen Parteimitglieder ihre Stimmabgabe für Ben-Eliezer angekündigt hatten. Im vergangenen Sommer stimmten die Drusen überwiegend für Burg, und die vom Verteidigungsminister seinerzeit erhobenen Vorwürfe des Wahlbetrugs bezogen sich dann auch in erster Linie auf diesen Teil der Parteibasis (Jungle World, 38/01).

Dass Ben-Eliezer allerdings in der Lage ist, die Arbeitspartei aus der gegenwärtigen Krise zu führen, wird allenthalben bezweifelt. Hinter vorgehaltener Hand wird er bereits als Zwischenlösung bezeichnet, und zwar nicht nur von seinen innerparteilichen Konkurrenten. Außer Burg warten unter anderem die ehemaligen Minister Yossi Beilin und Shlomo Ben-Ami auf ihre Chance, außerdem der Knesset-Abgeordnete Haim Ramon. Alle diese Politiker vertreten gegenüber den Palästinensern deutlich moderatere Positionen als der Verteidigungsminister. Beilin hat bereits verlauten lassen, dass Ben-Eliezer seiner Meinung nach nicht das »Friedenslager« führen könne und dass es vor den nächsten Parlamentswahlen einen Herausforderer für das Amt des Parteivorsitzenden geben werde.

In dieser Frage könnten sich die Konkurrenten Ben-Eliezers tatsächlich profilieren. Will sich die Arbeitspartei wieder als führende politische Kraft in Israel etablieren, dann muss sie, wie die liberale Zeitung Ha'aretz in einem Editorial feststellte, zunächst »ihr politisches Antlitz wiederfinden«. Das aber würde bedeuten, vor allem in Fragen der Palästina-Politik deutlich andere Akzente zu setzen als Ministerpräsident Ariel Sharon und im richtigen Moment die »Regierung der nationalen Einheit« zu verlassen.

Ben-Eliezer aber hat in den vergangenen Monaten gezeigt, dass er in der Regierung eher die Positionen von Sharon teilt als diejenigen des bisherigen Sprechers der Avoda-Minister, Shimon Peres. Zwar hat auch Peres bisher immer einen Bruch der Koalition vermieden. Doch gleichzeitig hat der Außenminister keine Gelegenheit ausgelassen, seinen Dissens mit dem Ministerpräsidenten zum Ausdruck zu bringen und diesen unter Druck zu setzen. Es ist durchaus auch ein Verdienst von Peres, dass die Kontakte zwischen der israelischen Regierung und der palästinensischen Autonomieverwaltung trotz allem nie ganz abgebrochen wurden.

Ben-Eliezer ist sich offensichtlich der Notwendigkeit bewusst, innerhalb der Regierung eigene Akzente zu setzen. Bereits zwei Tage nach seiner Wahl verkündete er auf einer Parteiversammlung in Tel Aviv, die Arbeitspartei werde die Koalition wegen Differenzen in der Sozial- und Wirtschaftspolitik verlassen, er erwarte Neuwahlen spätestens Anfang 2003. Nun waren in den letzten Jahren auch in diesem Bereich der Politik die Differenzen zwischen Avoda und dem Likud nicht allzu ausgeprägt. Die sich anbahnende schwere Wirtschaftskrise in Israel könnte jedoch wenigstens die notwendigen Vorwände liefern.

Am 1. Januar berichteten die israelischen Zeitungen, dass das Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2001 um 0,5 Prozent gefallen ist - pro Kopf sogar um 2,9 Prozent, da die Bevölkerung um 2,4 Prozent wuchs - und dass dies die schwerste Rezession seit 1953 bedeute. Für das kommende Jahr wird ein Rückgang bis 1,5 Prozent erwartet. Die Produktivität der israelischen Wirtschaft sank um 2,1 Prozent, nachdem sie im Jahr 2000 noch um achteinhalb Prozent gestiegen war. Den stärksten Einbruch hat die High-Tech-Industrie mit über zehn Prozent zu verzeichnen, derjenige Sektor, der für den israelischen Aufschwung des vergangenen Jahrzehnts maßgeblich verantwortlich war. Auch die Arbeitslosenquote stieg in den letzten Jahren kontinuierlich und lag im Jahr 2001 bei neun Prozent.

In den israelischen Medien hat die Wirtschaftslage erstmals seit langem die so genannte Al-Aqsa-Intifada von den Titelseiten verdrängt. Dort wird außerdem festgestellt, dass die ökonomische Krise mit dem Scheitern der Wirtschaftspolitik der Regierung zusammentrifft. Sharon ist es bislang nicht gelungen, einen Haushalt für das Jahr 2002 durch das Parlament zu bringen. Die von ihm geplanten Haushaltskürzungen musste er unter dem Druck der verschiedenen Koalitionsparteien wieder weitgehend zurücknehmen. Tatsächlich scheint die Koalition derzeit von diesen Auseinandersetzungen gefährdet zu sein, zumal sich auch die Arbeitspartei mit sozialpolitischen Forderungen zu profilieren versucht.

Jenseits solcher machtarithmetischen Probleme bedeutet die Rezession vor allem eine enorme Belastung der israelischen Gesellschaft. Die bereits vorhandenen sozialen Unterschiede zwischen den Aschkenasim, den aus Europa eingewanderten Juden, und den sephardischen Juden arabischer Herkunft, aber auch zwischen der jüdischen und der arabischen Bevölkerung Israels, werden dadurch weiter vertieft.

Unter den arabischen Israelis führt dies zu einer weiteren Verbreitung islamistischer und nationalistischer Ideologien. Doch auch in der jüdischen Bevölkerung dürfte die Krise zur Radikalisierung beitragen, zumal Parteien wie die sephardisch-orthodoxe Shas nicht nur ein soziales Netz für ihre Klientel versprechen, sondern mittlerweile in der Palästinapolitik zum Lager der »Falken« zählen.

Für den Friedensprozess, der mit der Unterstützung der israelischen Bevölkerung steht und fällt, ist die aufkommende Sensibilität für soziale Fragen also nicht unbedingt ein gutes Zeichen. Die immer häufiger werdenden Streiks, Demonstrationen und Proteste, etwa gegen die inzwischen zurückgenommenen Haushaltskürzungen der Regierung, stellen eher eine Konkurrenz als eine Unterstützung der Friedensbewegung dar.

Einige der früheren Aktivisten haben sich nun enttäuscht von ihr ab- und der sozialen Bewegung zugewandt. In manchen Teilen der israelischen Gesellschaft wird der Friedensprozess, nicht ganz zu Unrecht, als Projekt der aschkenasischen Oberschicht betrachtet, wodurch er noch mehr an Legitimation verliert.

Allerdings lag immer schon ein Problem der israelischen Friedensbewegung in ihrer Tendenz, den Palästina-Konflikt von der Entwicklung innerhalb Israels abzukoppeln. Die derzeitige Konstellation könnte eine Möglichkeit bieten, beide Themen miteinander zu verbinden. Die Ursachen der ökonomischen Krise liegen ja nicht zuletzt in der Eskalation des Konflikts mit den Palästinensern.

Denn die so genannte Al-Aqsa-Intifada hat nicht nur die palästinensische Wirtschaft ruiniert. Sie droht nun auch die israelische zu beeinträchtigen, wenn Touristen und Investitionen ausbleiben, immer größere Summen für die Sicherheitspolitik aufgewendet werden und die jüngere Generation dazu tendiert, Israel zu verlassen.

Die Krise wäre somit für die Arbeitspartei auch eine Möglichkeit, Sharon in der Friedenspolitik unter Druck zu setzen. Außenminister Peres hat bereits seine Zustimmung zum Budget davon abhängig gemacht, dass Sharon die Kritik an seiner jüngsten Verhandlungsinitiative mäßigt. Zusammen mit dem palästinensischen Parlamentssprecher Abu Ala schlug er einen umfangreichen Rückzug Israels aus den besetzten Gebieten sowie die baldige Ausrufung eines palästinensischen Staates vor.

Ob dieser Plan oder auch die neuerliche amerikanische Vermittlungsinitiative eine Chance hat, hängt sicher in erster Linie davon ab, ob sich die gemäßigten PLO-Führer gegen die radikalen Gruppen durchsetzen können. Es hängt aber auch davon ab, ob sich die Arbeitspartei in Zukunft wieder als die Partei des »Friedenslagers« versteht und den Frieden über den kurzfristigen Machterhalt stellt.