Sahra Wagenknecht (PDS) über die rot-rote Koalition in Berlin

»Die PDS hat eine gute Substanz«

Die einen jubeln, die anderen bleiben skeptisch. Auch in der PDS ist die Beteiligung an der Berliner Landesregierung nicht unumstritten. Eine der heftigsten KritikerInnen der Koalitionsvereinbarungen zwischen der SPD und der PDS ist Sahra Wagenknecht. Sie gehört dem Parteivorstand der PDS an und ist Mitglied der Kommunistischen Plattform.

Sie kritisieren vehement die Berliner Koalitionsvereinbarungen. Welche sind die wichtigsten Punkte ihrer Kritik?

Die PDS ist mit dem Anspruch angetreten, die Partei der sozialen Gerechtigkeit zu sein, also nicht zu Lasten der sozial Schwachen die Berliner Misere lösen zu wollen. Grundsteuererhöhungen, Wasserabgaben, Kürzungen in vielen Bereichen, die wirklich ans Existenzielle und Eingemachte gehen, Entlassungen im Öffentlichen Dienst, das sind Dinge, die für die PDS tabu sein und bleiben müssten.

Sollte die PDS die Koalition lieber nicht eingehen?

Die PDS ist mit einer ziemlich starken Position in die Verhandlungen gegangen, nachdem vorher die Ampel gescheitert war. Man hätte sehr deutlich sagen müssen, was unsere Positionen sind, wofür wir einstehen, und wenn das mit der SPD nicht machbar ist, dann bitteschön ohne uns.

Ist es nicht besser, die PDS regiert als die FDP?

Wenn die PDS die Politik der FDP macht, dann ist das fraglich. Man hätte erheblich mehr durchsetzen können, wenn man in der Opposition wirklich Druck gemacht hätte, wenn man an der Seite etwa von Verdi deren Proteste unterstützt hätte, anstatt sich selbst auf die Gegenseite zu stellen.

Wird es innerhalb der Partei Widerstand gegen die Koalition geben?

Ich gehe davon aus, denn die Vereinbarungen sind ja nur der erste Schritt, damit ist ja die Koalitionsarbeit nicht beendet. Man wird sehr genau hinsehen und auch innerparteilich reagieren müssen, wenn Dinge gemacht werden, die mit den Grundprinzipien einer linken Partei nicht vereinbar sind. Ich denke, dass diese Auseinandersetzungen noch vor uns liegen.

Wie schätzen Sie Ihre Chance in dieser Auseinandersetzung ein? Gysi ist sehr populär, er spricht sehr viele Menschen an.

Wenn es die Leute wirklich ansprechen würde und das eine wunderbare Politik wäre, dann wäre ja nichts zu kritisieren. Ich habe aber eher die Befürchtung, dass die Menschen, die Hoffnung in die PDS setzen, weil sie denken, dass die Partei es anders machen wird, schwer enttäuscht sein werden und die Hoffnung irgendwann in Resignation umschlägt. Es gibt ja Erfahrungen aus anderen europäischen Ländern, in denen Linke mitregiert haben und irgendwann vom Wähler dafür zum Teufel gejagt wurden.

Wie erklären Sie es sich, dass oppositionelle Parteien wie die Grünen in den achtziger Jahren oder jetzt die PDS mit zunehmendem Erfolg - gerade wegen ihrer oppositionellen Haltung - diese Haltung dann aufgeben? Warum gewinnen immer die Realos?

Noch ist die PDS ja nicht die grüne Partei und noch schicken wir keine Bundeswehrsoldaten in alle Welt. Ich hoffe sehr, dass die PDS nicht da endet, wo die Grünen geendet sind. Aber ohne Widerstand wird es genau in diese Richtung gehen.

Es gibt einen gewissen Sog, eine gewisse Verführung, wenn man die Chance zu haben glaubt, an die vermeintlichen Hebel der Macht zu kommen. Das beschrieb schon Tucholsky: »Sie glaubten, sie wären an der Macht, und waren nur an der Regierung.«

Geht bei der PDS dieser Prozess nicht sogar noch schneller als damals bei den Grünen? Was den Pazifismus betrifft, haben Gregor Gysi und Gabriele Zimmer bereits die ersten Testballons steigen lassen.

Wenn sich die PDS in dieser Frage anders verhalten würde, würde das ihre Existenz in Frage stellen. Es hat bisher im Bundestag hierzu eindeutige Abstimmungsergebnisse gegeben, und ich hoffe, dass das auch so bleibt.

Gregor Gysi bezeichnete die Berliner Koalition als »Chance, die Stadt zu vereinen«. Wie finden Sie diese Wiedervereinigungsrhetorik?

Ich halte das für völlig abwegig. Stadthälften sind das eine, aber das Grundproblem ist, dass zwischen der Sozialhilfeempfängerin in Neukölln und demjenigen, der im Grunewald in der Villa sitzt, aus Gründen, die mit der Mauer wahrlich nichts zu tun haben, keine Einheit herzustellen ist. Die PDS täte gut daran, diese sozialen Gegensätze zu thematisieren, anstatt sich auf solche Vereinigungsfloskeln einzulassen.

Wie beurteilen Sie die Präambel des Koalitionsvertrages, in der die PDS anerkennt, dass für die Schüsse an der Mauer allein die Machthaber in Ost-Berlin und Moskau verantwortlich seien?

Das ist schon aus rein historischer Sicht abwegig. Wer sich ein bisschen mit der Geschichte befasst hat, weiß etwas über die Vorgeschichte des Kalten Krieges und von welcher Seite die Rüstungsspirale hochgetrieben wurde. Auf der einen Seite ist diese Präambel einfach peinlich. Auf der anderen Seite ist es aber auch verblüffend, wie die PDS einen Kotau für ihre Geschichte macht, indes die Verantwortung der SPD, sei es für die Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, sei es für Ereignisse vor dem deutschen Faschismus und auch danach, wie etwa für den Nato-Doppelbeschluss oder die aktuelle Kriegspolitik, überhaupt kein Thema ist.

Das zeigt, wer hier wen dominiert und wer die Formulierungen diktiert hat. Die PDS hätte es überhaupt nicht nötig, sich auf diese Art bei der SPD lieb Kind zu machen. Wir sind ja nicht in die Koalition gekommen, weil uns die SPD plötzlich mag, sondern weil wir ein gutes Wahlergebnis hatten. Dass man das auf so eine Weise verspielt, finde ich schon ziemlich traurig.

Zeigt das nicht auch, dass es sich um einen ähnlichen Prozess wie bei den Grünen handelt? Von den Grünen hat man immer verlangt, dass sie sich von Gewalttätern distanzieren und sich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekennen.

Der Prozess ist sicherlich vergleichbar, aber ich bin nun mal niemand, der einem fatalistischen Geschichtsbild anhängt und glaubt, wenn eine Sache einmal so anfängt, dann endet sie auch so. Die PDS hat eine andere Grundsubstanz, die Mehrheit der Mitglieder ist in der Partei, weil sie sich mit dem Kapitalismus nicht abfinden will und auch noch andere Zielvorstellungen hat.

Wann wäre für Sie die Schmerzgrenze erreicht, sodass Sie sagen müssten: Das ist nicht mehr meine Partei, das kann ich nicht mehr mittragen, ich trete aus?

Wenn die PDS - um ein extremes Beispiel zu wählen - einem Einsatz deutscher Soldaten irgendwo in dieser Welt zustimmen würde, wäre das sicherlich so ein Punkt. Aber ich halte nichts davon, wie das Kaninchen auf die Schlange starrend, Schmerzgrenzen zu definieren. Ich denke darüber nach, wie ich dazu beitragen kann zu verhindern, dass die PDS einen Weg geht, den Linke und Kommunisten nicht mehr mitgehen können.

Laufen Sie nicht Gefahr, in eine solche Rolle zu geraten wie Hans-Christian Ströbele bei den Grünen, indem Sie mit ihren Äußerungen linke Wähler an die PDS binden, während die Partei längst auf dem Weg in die Mitte ist?

So einfach funktioniert das nicht. Ich glaube, dass sehr viele, die früher die Grünen aus ihrer pazifistischen Überzeugung heraus gewählt haben, die Grünen nicht mehr unterstützen werden, egal was Ströbele nun sagt. Außerdem sehe ich schon noch einen erheblichen Unterschied zwischen grüner Politik und der Politik der PDS. Man soll diese Gegensätze jetzt auch nicht verwischen, obwohl der Trend sicherlich da ist.

Lassen Sie die Koaltion erst einmal anfangen, dann wird man ja sehen, inwieweit vielleicht bis in die Fraktion hinein Gegenpositionen formuliert werden. Wichtig ist, dass diese Koalition keine Politik machen darf, die im Grunde unsozialer ist als das, was Diepgen gemacht hat.