»Italienisch für Anfänger«

Dogma ohne Dogma

In »Italienisch für Anfänger« leihen sich dröge Dänen das Temperament des Südens.

Vorrei un biglietto per Italia«, sagt Marcello, der kleine übergewichtige Italienischlehrer, mit ausladenden Gesten, die den viel zu großen Hörsaal in eine italienische Piazza verwandeln. »Vorrei un biglietto per Italia«, erklingt im Chor die Wiederholung des Satzes, statt einer Antwort. Die Teilnehmer des Volkshochschulkurses in einem Kopenhagener Vorort sind Anfänger, zurückhaltende Dänen. Und wenn sich einer von ihnen, inspiriert von der italienischen Lebensart, ein Herz fasst und eine Kurskollegin anspricht, um sich mit ihr zu verabreden, dann wirkt das wie ein Werbungsritual aus einem alten Stummfilm. Obwohl eine plötzliche Herzattacke den temperamentvollen Muttersprachler Marcello frühzeitig aus der Bahn wirft, machen die Anfänger in 108 Filmminuten erstaunliche Fortschritte, was die Sprache und auch was die Emotionalität angeht.

Die schüchternen Singles, die Lone Scherfig in ihrem Italienischkurs versammelt, sind psychologisch gut konturiert, sie tun sich schwer, einen Zugang zu ihren Gefühlen und zu anderen zu finden. Wie in Robert Altmans »Short Cuts« dreht sich alles um große und kleine Alltagssorgen, allerdings geht es Lone Scherfig eher um eine positive Sicht der Dinge als um eine pessimistische Bestandsaufnahme der Gesellschaft.

Da ist der junge Pfarrer Andreas (Anders W. Berthelsen), der die Kirchengemeinde des Ortes übernehmen soll. Er fährt einen Maserati und schläft im Hotel. Seine Gottesdienste sind schlecht besucht und werden zudem von den Pöbeleien seines vom Glauben abgefallenen Vorgängers gestört. Trotz seiner Trauer - Andreas' Frau ist kurz vor der Amtsübernahme gestorben - bewahrt sich der junge Geistliche seine optimistische Weltsicht. Von der Gemeindehelferin lässt er sich gern überreden, mit zum Italienischkurs zu kommen.

Im tristen Mittelklassehotel, das Andreas bewohnt, macht er Bekanntschaft mit dem schüchternen Hotelportier Jörgen Mortensen (Peter Gantzler). Der hat Potenzprobleme und noch dazu den Auftrag, seinem besten Freund, dem jähzornigen Kellner Hal-Finn (Lars Kaalund), zu kündigen, weil er im Restaurant am Fußballstadion die Gäste allzu rüde anpöbelt.

Die Friseuse Karen (Ann Eleonora Jörgensen), bei der sich der Pfarrer und der Portier die Haare schneiden lassen, arbeitet allein in ihrem Salon und muss sich mit ihrer alkoholkranken Mutter herumschlagen. Auch die nervöse Bäckereiverkäuferin Olympia (Anette Stövelbäk), die wegen ihrer Fahrigkeit keinen Job länger als ein paar Monate behält und zu Hause von ihrem kranken Vater tyrannisiert wird, lernt Italienisch, obwohl ihr Vater es ausdrücklich verboten hat. Und last but not least macht die Kellnerin Giulia (Sara Indio Jensen) mit, weil sie sich in den Hotelportier Jörgen Mortensen verliebt hat.

Lone Scherfigs »Italienisch für Anfänger« ist der fünfte nach den 1995 aufgestellten dänischen Dogma-Regeln gedrehte Film. »Das Kino der Unschuld«, wie Lars von Trier es nennt, ist puristisch und spontan. Auf künstliches Licht, Sets und Requisiten, Waffen und Spezialeffekte wird verzichtet.

Stattdessen erhebt es den Anspruch auf ungekünstelte Fiktion und versteht sich als Gegenpol zum kommerziellen Genrekino. »Italienisch für Anfänger« enthält sich jeder Wichtigtuerei und Provokation und nimmt sich neben Lars von Triers »Idioten« und Thomas Vinterbergs »Das Fest« dennoch wie ein kleines feines Kinowunder aus. Es wurde viel improvisiert bei den Dreharbeiten, und tatsächlich gewinnt der Film weniger durch unkonventionelle Kameraführung oder Ver- und Gebote des Dogmas als durch die dramaturgische Überspitzung und das spontane Spiel der Schauspieler.

»Die Arbeit jedes Crew-Mitglieds verändert sich drastisch. In dem Maße, in dem man die Filmsprache reduziert, wird die Notwendigkeit eines geistig-moralischen Rüstzeugs, einer geistig-emotionalen Energie augenfällig. Es gibt keine Gnade. Und das macht so viel Spaß«, heißt es im Presseheft.

Lone Scherfig zeigt, dass es nützlich ist, Dogmen von Zeit zu Zeit zu überdenken, aber ihre Aussagen als Orientierungshilfe zu benutzen. »Italienisch für Anfänger« ist ein Drama mit starker Neigung zur romantischen Komödie. Da sind die Wege der verlorenen Seelen unergründlich - wie die Wege des Herrn. Fünf Todesfälle und zwei Trauerfeiern spielen eine Rolle, wobei letztere mit Verwechslungsdramaturgie für komische Momente sorgen.

Leicht und unbekümmert wirkt das, und die Protagonisten sind so natürlich und ungekünstelt, wie man es nur selten im Kino erlebt. Der Zuschauer muss nicht - wie in »Idioten« und »Das Fest« - leiden, er verlässt nachdenklich und zugleich amüsiert das Kino. Glaube und Glück, Tod und Trauer, Verlust und Versöhnung, Lieben und Begehren sind die Themen des Films, die auch bei der Pärchenbildung eine Rolle spielen. Ein zerstrittenes Paar versöhnt sich wieder, einem zweiten hilft der Glaube, und ein drittes gelangt auf Umwegen zum Glück.

Im Verhältnis der Generationen schwelen allerdings Konflikte, die nicht zu lösen sind. Lone Scherfig schafft sie auf natürliche Weise aus der Welt. Mütter und Väter taugen bestenfalls zu abschreckenden Beispielen, z.B. Karens alkoholabhängige Mutter und Olympias despotischer Vater.

Und auch das Verhältnis zwischen Andreas und seinem wesentlich älteren Amtsvorgänger ist konfliktbeladen. »Sie wollen der Hirte der anderen sein?« fertigt der ehemalige Pfarrer Wredmann seinen Nachfolger grantig an der Tür zum Pfarrhaus ab. »Sie können sich ja noch nicht einmal entscheiden, ob sie reinkommen oder draußen bleiben wollen.« So entwickelt sich auf der Türschwelle ein Gespräch über Verluste. Wie soll einer Hirte sein, wenn er sich selbst als verlorene Seele fühlt, argumentiert der verbitterte Wredmann.

Der sparsame Einsatz von Musik ist ein weiterer Pluspunkt unter den Dogma-Regeln. Musik erklingt nur in der Kirche, wenn Andreas seine Gemeinde zum Gottesdienst versammelt; und zum Happy End in Venedig, wohin die Sprachreise schließlich führt, gibt ein Pianist in einer italienischen Bar Stummfilmmusik zum Besten.

»Italienisch für Anfänger« kommt als undogmatisches Märchen daher, das bei der letzten Berlinale zu Recht mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet wurde. Der Film besticht durch seinen subtilen Humor, psychologische Dichte und den Mut, Alltagsmenschen mit ihren Macken ernst zu nehmen. In Deutschland ist dem Film ein ähnlicher Erfolg wie in Dänemark zu gönnen, wo er Rekorde an der Kinokasse verzeichnet hat.

»Italienisch für Anfänger«, Dänemark 2000. R: Lone Scherfig. Start: 17. Januar