Das Studentendorf Schlachtensee

Viel Kult für wenig Geld

Eigentlich war der Abriss des Studentendorfes Schlachtensee eine ausgemachte Sache. Nach dem Regierungswechsel könnte es jedoch erhalten werden.

Es hatte alles schön sein sollen. Und es hätte alles schön sein können. 1957 legte Berlins damaliger Regierender Bürgermeister Willy Brandt den Grundstein für das Studentendorf Schlachtensee auf den rund 53 000 Quadratmetern des letzten Zehlendorfer Bauernhofs.

Die damals modernste Studentensiedlung Deutschlands entstand nach Plänen der anerkannten Architekten Hermann Fehling, Daniel Gogel und Peter Pfankuch und war ein Geschenk des US State Department. Es sollte etwas Besonderes sein und diente auch dazu, im Kalten Krieg und in der innerstädtischen Konkurrenz die neu gegründete Freie Universität gegen die alteingesessene Ostberliner Humboldt-Uni in Stellung zu bringen und den Ruf der FU gerade durch den Zuzug ausländischer Studentinnen und Studenten zu verbessern.

Das gelang nicht zuletzt dank der unfreiwilligen studentischen Modernisierer von 1968 so vorzüglich, dass die Studentensiedlung bis 1976 erweitert werden musste und bis in die neunziger Jahre außerordentlich beliebt war. Der weltbekannte Gebäudekomplex steht bis heute unter studentischer Selbstverwaltung, verfügt über Bibliothek, Café, Club, Kinderladen, Fotolabor, PC-Pool, Fitnessraum, Waschsalon, Musikräume und Fahrrad- und Werkzeugverleih, ist aufgeteilt in Wohngemeinschaften, familiengerechte Wohnungen und kleine Einzelzimmer und ist vor allem billig.

Die Bewohnerinnen und Bewohner des Komplexes bekommen viel fürs wenige Geld. Doch auch in der nicht studentischen Zehlendorfer Bevölkerung geniest der Gebäudekomplex einen guten Ruf. Im »Club 18« finden öffentliche Partys statt und es werden Konzerträume zur Verfügung gestellt, Vergnügungsmöglichkeiten, an denen es in Zehlendorf mangelt. Nicht zuletzt deshalb wurde der in vielfacher Hinsicht als soziales Zentrum angelegte Bau 1991 unter Denkmalschutz gestellt.

Was andernorts für eine nahezu kultische Verklärung durch das städtische Bauamt benutzt worden wäre, wurde in dem subventionsverwöhnten, seit dem Mauerfall allerdings chronisch unterversorgten Berlin nur wenig geschätzt. Daher koppelte die Große Koalition im Jahr 1998 den Verkauf des Areals an den teuren Umzug der Berlinischen Galerie nach Kreuzberg. Man hoffte durch einen raschen Verkauf des Geländes eine Finanzierungslücke von über 20 Millionen Mark überbrücken zu können. Indem die Bestimmungen des Denkmalschutzes sehr großzügig ausgelegt wurden, konnte der Senat einen fast vollständigen Abriss des Studentendorfes möglich machen.

Der damalige Kultur- und Wissenschaftssenator Peter Radunski versprach, dass das Studentendorf im Jahr 2000 geräumt sein werde. Und tatsächlich wohnen heute keine 50 Studentinnen und Studenten mehr auf dem Gelände. Früher waren es mehr als 1 000. Das Studentenwerk hat bereits den meisten Bewohnerinnen und Bewohnern gekündigt. Und weil die »Entmietungen« nicht selten brutal durchgeführt wurden, stehen heute 12 der insgesamt 27 Gebäude leer. Da die Verwaltung zudem die Heizung der Gebäude unterbrach, den Putzdienst einstellte und auch sonst kaum etwas zur Rettung der Gebäude unternimmt, putzen die Bewohnerinnen und Bewohner inzwischen selbst und schützen die leer stehenden Gebäude vor Plünderungen.

Wäre der alte CDU/SPD-Senat noch im Amt, das Studentendorf Schlachtensee wäre vermutlich längst abgerissen - bis auf fünf Bauten, um »dem Denkmalschutz Genüge zu tun«. Und der vom Senat als Idealpartner auserkorene Investor ID & A wäre vielleicht sogar schon dabei, auf dem Gelände die angekündigten Luxuswohnungen zu errichten. Denn weder Bausenator Peter Strieder (SPD) noch der ehemalige Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) ließen sich von den internationalen Protesten erweichen. Die teils heftigen Proteste der ehemaligen Bewohner des Dorfes wurden ohnehin nur müde belächelt.

Obwohl der Verkauf des Studentendorfes inzwischen längst vom teuren Umzug der Berlinischen Galerie entkoppelt werden musste, gab es weiterhin ein Finanzproblem, das man mit dem Verkauf lösen wollte. Über Sinn und Unsinn des Geschäftes war mit dem Senat längst nicht mehr zu reden.

Günstigerweise haben die Sozialdemokraten jedoch im vergangenen Jahr wegen eines anderen Bauskandals die Koalition verlassen, sodass sich für die verbliebenen Bewohnerinnen und Bewohner plötzlich eine neue Situation ergab. Im Übergangssenat fand sich nun Wohlwollen für die kämpferischen Studentinnen und Studenten. Sowohl die parteilose Kultursenatorin Adrienne Goehler machte sich für den Erhalt des Studentendorfes stark wie auch Bernd Köppl, Koordinator in der Wissenschaftsverwaltung und Mitglied der Grünen.

Ermutigt durch diesen Beistand, konnte die studentische Arbeitsgemeinschaft noch einmal ein neues Finanzierungskonzept für den Erhalt der Anlage vorstellen. Mit Hilfe eines rund 23,5 Millionen Mark umfassenden Kredites der Bayerischen Landesbank und einer Beteiligung der Baufirma Nippon Development Corporation, die von Peter Sauter, einem ehemaligen Einwohner des Dorfes geführt wird, ist die Arbeitsgemeinschaft für den Erhalt plötzlich zur offenbar interessantesten Bieterin für das Objekt avanciert - zumal über die rivalisierende Firma länger schon das Gerücht kursiert, dass sie vielleicht gar nicht in der Lage wäre, die fragliche Summe schnell aufzubringen.

Die Arbeitsgemeinschaft zum Erhalt der Gebäude ist somit wieder im Rennen. Und auf der Website www.studentendorf.de fühlt man sich bereits als Sieger. Der Finanzierungsplan, der gemeinsam mit dem ehemaligen Direktor der internationalen Bauausstellung, Hardt-Waltherr Hämer, und einer Immobilienfirma ausgearbeitet wurde, sieht die Veräußerung von unbenutzten Parkplätzen und die Erneuerung der bisherigen Gebäude vor, sowie die Wiederherstellung der Stiftung unter der Leitung der Studentendorf GmbH. Damit könnte eigentlich alles so sein wie früher.

Die PDS, die nun in Berlin mitregieren wird, bietet zur Zeit mit dem designierten Kultursenator Thomas Flierl einen Mann auf, der als pedantischer Denkmalschützer bekannt ist. Da die PDS zudem seit jeher den Erhalt des Studentendorfes Schlachtensee gefordert hat, müsste ja jetzt eigentlich alles zugunsten der Bewohnerinnen und Bewohner laufen.

Doch noch gibt es auch Peter Strieder, den Bausenator, der auch unter Rot-Rot im Amt bleiben wird. Ihm ist durchaus zuzutrauen, dass er entgegen der Verlautbarung im Koalitionsvertrag auch weiterhin den Abriss der Anlage vorantreibt, und sei es nur deswegen, um nicht sein Gesicht zu verlieren. Schließlich dürfte auch die PDS, wie man schon in den Verhandlungen mit der SPD zur Genüge feststellen konnte, kaum Probleme damit haben, für den Koalitionsfrieden klein beizugeben.