Kollaps des Konzerns Enron

Crony Capitalism, American Style

In den USA illustriert der Fall Enron wie kein anderer die Konsequenzen der personellen Verflechtungen zwischen Wirtschaft und Politik.

Der Kollaps des Energieunternehmens Enron ist der bisher größte Firmenkonkurs in der Geschichte der USA. Mit einem Jahresumsatz von etwa 100 Milliarden US-Dollar lag der Konzern aus Houston, Texas, in den vergangenen Jahren auf dem siebten Platz unter den Fortune 500, den 500 umsatzstärksten Unternehmen der USA. So verwundert es nicht, dass der Bankrott der Firma nicht nur in Wirtschaftskreisen, sondern auch auf höchster politischer Ebene sehr viel Beachtung findet.

Der Energiesektor hat schließlich nicht nur wirtschaftliche, sondern auch immense politische Bedeutung. Im Falle von Enron, einem weltweit und also auch im lateinamerikanischen »Hinterhof« der USA operierenden Unternehmen, liegen die ökonomischen Interessen des Konzerns und die außenpolitischen Interessen des Staates besonders eng beisammen. Die Verbindungen des Konzerns zur Republikanischen Partei und insbesondere zur Familie Bush liefern den Demokraten im Kongress die lang ersehnte Munition im bisher schier aussichtslos scheinenden Kampf gegen Präsident George W. Bush junior.

Das scheint die Bush-Administration auch zu fürchten, sie hat die Ermittlungen in Sachen Enron daher zur Chefsache erklärt. Seit dem 10. Januar wird unter der Ägide des Justizministeriums eine Task Force aus unterschiedlichen Staatsanwaltschaften für die koordinierte Untersuchung des Absturzes von Enron zusammengestellt. Ein höchst ungewöhnlicher Vorgang - eine solche Task Force wird normalerweise nur zur Untersuchung ganzer Branchen, beispielsweise beim Verdacht der Kartellbildung, aufgestellt. Attorney General John Ashcroft wird diese Gruppe zumindest offiziell nicht selbst leiten, da Enron bei seinem gescheiterten Senatswahlkampf im Jahre 2000 ein wichtiger Geldgeber war.

Die Untersuchung der Gründe für die Pleite geht nach Meinung des New York Times-Kolumnisten Paul Krugman ohnehin am Kern der Sache vorbei. Ein Firmenbankrott sei schließlich ein recht normaler Vorgang im Kapitalismus. Das eigentliche Problem ist seiner Meinung nach nicht der Konkurs, sondern es sind die Machenschaften des Managements während der guten Zeiten des Konzerns. Insgesamt sechsmal haben sich Enron-Mitarbeiter im vergangenen Jahr mit Vizepräsident Richard Cheney im Weißen Haus getroffen, um über die Energiepolitik zu beraten. Die Regierung weigert sich bis heute, die Protokolle dieser Gespräche der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Bevor die marode Finanzsituation des Konzerns bekannt wurde, hatten Mitglieder der Geschäftsleitung, allen voran der Vorstandsvorsitzende Kenneth Lay aus Missouri, ein persönlicher Freund des Bush-Walker-Clans und John Ashcrofts, Anteile am Unternehmen für insgesamt 1,1 Milliarden Dollar veräußert. Der Enron-Aktionär Amalgamated Bank hatte im Dezember vor einem Gericht beantragt, diese Vermögenswerte zu beschlagnahmen, weil Fluchtgefahr bestehe. Im Kontrast zu den massiven Aktienverkäufen des Managements steht die Anordnung der Geschäftsführung vom Oktober des vergangenen Jahres, die Aktienbestände im betrieblichen Rentenfonds der Enron-Mitarbeiter zu behalten, was für die Mitarbeiter einen Totalverlust bedeutete (Jungle World, 49/01). Der Anwalt Steve W. Berman vertritt die geprellten Angestellten in einer Sammelklage gegen das Management.

1988 soll sich George W. Bush - damals war sein Vater Vizepräsident und Präsidentschaftskandidat der Republikanischen Partei - nach einem Bericht der linksliberalen Wochenzeitung The Nation von 1994 bei der argentinischen Regierung für Enron eingesetzt haben. Bush soll nach Angaben des damaligen argentinischen Ministers für Öffentliche Dienste, Rodolfo Terragno, versucht haben, die argentinische Regierung zu überzeugen, Enron mit dem Bau einer Pipeline von Argentinien nach Chile zu beauftragen. Verschiedene US-Firmen waren interessiert. Bush habe sich als Sohn des Vizepräsidenten vorgestellt und versucht, Terragno einzuschüchtern, indem er eine Auftragsvergabe an Enron als »Pflege der Beziehungen zwischen Argentinien und den USA« dargestellt habe.

»Crony Capitalism« ist ein Begriff, der 1998 mit dem Asien-Crash einen neuen Aufschwung erlebte und die enge Verflechtung von familiären, wirtschaftlichen und politischen Beziehungen in Ländern wie Indonesien unter Suharto beschreibt. »Crony« bedeutet »Kumpel, alter Freund«. Paul Krugman benutzt in einem Artikel im Herald Tribune den Begriff nun auch zur Beschreibung der Enron-Krise und macht dabei klar, dass nicht nur die Republikanische Partei, sondern die gesamte politische Elite der USA in ähnliche Machenschaften verwickelt ist. Beispielsweise hätte Präsident William Clinton vor einigen Jahren beinahe einen Handelskrieg mit der EU begonnen - wegen Chiquita Bananas, eines wichtigen Geldgebers seiner Wahlkampagne.

Wirklich illegal muss dieser »Cronyism« nicht sein, auch wenn er höchst anrüchig ist. Gerade im Energiesektor kommen Unternehmen und der Staat ohne einander gar nicht aus. Der Staat braucht die Unternehmen, um die Versorgung mit Rohstoffen aus dem Ausland zu gewährleisten, die Unternehmen benötigen die militärisch-politische Macht des Staates, um die Förderstandorte zu sichern. Dass diese gegenseitige Abhängigkeit auch auf personeller Ebene ihren Ausdruck findet, sollte niemanden verwundern.Zum Skandal wird dies nur, wenn, wie im Falle Enron, das Unterfangen gründlich schief läuft.

Illegal hingegen sind Bilanzfälschung, Insidergeschäfte und Anlagebetrug, und wegen solcher Delikte wird gegen Enron ermittelt. Eigentlich verfügt jeder kapitalistische Staat über Schutzmechanismen gegen solche Vorgänge. Staatliche Behörden - im Falle der USA die Securities and Exchange Commission (SEC) - sollen faulen Krediten vorbeugen, und Bilanzen müssen von einem unabhängigen Wirtschaftsprüfer abgesegnet werden. Doch eben dieser Schutz wird von den engen personellen Verflechtungen untergraben und in seiner Wirksamkeit eingeschränkt.

Die Bilanzen des Enron-Konzerns prüfte das als »Gewissen der Industrie« bekannte Unternehmen Arthur Anderson Consulting. Und es fungierte nicht nur als Wirtschaftsprüfer, sondern auch als Unternehmensberater. Außerdem lagen Teile der internen Buchführung des verworrenen Netzwerks von etwa 3 000 Tochterunternehmen und Partnern in den Händen von Anderson. Diese Firma war also mit der Überprüfung der eigenen Buchführung beauftragt, die »in allen wesentlichen Aspekten die finanzielle Situation des Unternehmens und seiner Töchter angemessen wiedergibt«, so das Urteil der Andersonschen Wirtschaftsprüfung über die Buchführung Andersons im letzten Jahresabschlussbericht von Enron.

Mittlerweile ist deutlich geworden, dass führende Mitarbeiter von Anderson an der Erstellung falscher Gewinnprognosen und der Verschleierung von Schulden mitgewirkt oder zumindest davon gewusst haben müssen. Besonders pikant ist dabei die Tatsache, dass gerade Anderson in den vergangenen Jahren erfolgreiche Lobbyarbeit für die Unabhängigkeit - also gegen die Einführung staatlicher Kontrollen - der Wirtschaftsprüfungsbranche geleistet hat.

Die oben geschilderten Aspekte stellen natürlich nur einen kleinen Teil des Enron-Komplexes dar. Deutlich wird jedoch, dass dieser Fall in einzigartiger Weise die Konsequenzen der Verflechtung von Politik und Wirtschaft illustriert. Es wird Monate oder gar Jahre dauern, bis alle wesentlichen Punkte so weit untersucht sind, dass überhaupt Anklage erhoben werden kann.

Bereits jetzt kann man feststellen, dass es Konsequenzen in der Gesetzgebung geben wird und zwar entgegen der Tendenz zur Deregulierung in den vergangenen Jahren. Mit einer staatlichen Überwachung der Wirtschaftsprüfung beispielsweise kann aber den geschilderten personellen Verflechtungen, die auch im Sinne eines idealtypischen Kapitalismus den Kern des Problems darstellen, nicht vorgebeugt werden.

Das Herunterspielen der Bedeutung dieser Verflechtungen wird eine Hauptaufgaben der Task Force des Justizministeriums sein - alle Berichte der Ermittler werden gesammelt und vom Justizministerium veröffentlicht. Eine Lösung des zu Grunde liegenden Problems ist nicht abzusehen, es gibt keine Gärtner, sondern nur Böcke.