Neue Biografie Marlene Dietrichs

Die Schöpfungsgeschichte

Die Psychotherapeutin Linde Salber schreibt am Leben von Marlene Dietrich vorbei.

Der 100. Geburtstag der Schauspielerin Marlene Dietrich im Dezember des vergangenen Jahres war ein viel beachtetes Medienereignis. Rowohlt entschloss sich, zu diesem Anlass eine Monografie herauszubringen, für die der Verlag die Psychotherapeutin Linde Salber als Autorin verpflichtete. Ihr Forschungsschwerpunkt sind die Zusammenhänge zwischen Lebensgeschichte und künstlerischem Schaffen, sie hat über Lou Andreas-Salomé, Frida Kahlo und Anais Nin geschrieben.

Linde Salber hat durchaus eine kritische Sicht auf die Problematik der von Männern fabrizierten Traumfrau, was insbesondere im Kapitel »Künstlichkeit: Die gemachte Frau« deutlich wird. Josef von Sternberg betrachtete Marlene Dietrich als seine Marionette. Erfolgreiche Schauspieler waren für ihn »Geschöpfe des Autors oder des Regisseurs, der für seine Zwecke eine Puppe braucht, die er wegwirft, wenn sie ihren Zweck erfüllt hat«, wie er in seinen Erinnerungen erläuterte. 1937 unternahm er den Versuch, »die Puppe wegzuwerfen«, indem er die Kooperation mit der Dietrich beendete; Sternberg brach zusammen und landete in der Psychiatrie. Sein Name wird heute nur noch im Zusammenhang mit Dietrich erwähnt.

Als die 1929 noch völlig unbekannte Marlene Dietrich zu Probeaufnahmen für seinen Film »Der blaue Engel« bestellt wurde, glaubte sie nicht, die Rolle zu bekommen, für die bekannte Stars im Gespräch waren. Deshalb ging sie, wie sie erzählte, gleichmütig und kühl zum Casting. Vielleicht wollte sie sich so gegen die erwartete Enttäuschung wappnen.

Durch eine Vielzahl kleiner, unbedeutender Engagements in den roaring twenties hatte sie sich eine Art professioneller Dickfelligkeit erworben. Mit dieser Haltung provozierte und faszinierte sie den machtbewussten Sternberg: »Sie tat nicht das Geringste, um mein Interesse zu wecken. Sie saß in einer Ecke des Sofas gegenüber meinem Schreibtisch, schlug die Augen nieder und war die verkörperte Gleichgültigkeit.«

Linde Salber interpretiert dieses Verhalten aus männlicher Perspektive, wonach diese Gleichgültigkeit gegenüber dem begehrenden männlichen Subjekt nur gespielt war, und übernimmt die Terminologie von »Schöpfer« und »Geschöpf«: »Mit ihrer zur Schau gestellten Gleichgültigkeit benimmt sie sich, als wäre sie unter einem Bann, der nicht durch eigenes Bemühen, sondern nur durch einen Zauberspruch gelöst werden kann. Von Sternberg spürt, dass Marlene ihren Magier sucht, der sie nach seinem Bild verwandelt.«

Marlene wartete natürlich wie jede Schauspielerin auf eine große Rolle, mit der sie bekannt werden würde. Auch die politischen Einstellungen der Schauspielerin nimmt Salber nicht ernst. Sie schreibt: »Das Theater der Weimarer Republik war durchaus eine politische Anstalt. (...) Ob Marlene diesen Kontext ihrer Auftritte kannte, bleibt fraglich.«

Marlene Dietrich hatte den Ersten Weltkrieg und den damit verbundenen Verlust Angehöriger und Bekannter bewusst erlebt. Später las sie mit großer Zustimmung Erich Maria Remarques Antikriegsroman »Im Westen nichts Neues«. Sie war Zeugin des Zusammenbruchs des Kaiserreichs und der Novemberrevolution in Berlin geworden.

Begeistert hatte sie die Befreiung der Frauen von alten Zwängen aufgenommen und sich selbst »modern« mit Bubikopf, kurzen Röcken und Monokel inszeniert. Dass sie gegenüber der rigiden Mutter ihren Wunsch durchsetzte, Schauspielerin zu werden, hing mit dieser gewonnenen und erworbenen Freiheit zusammen. Ökonomisch war sie bald von ihrer Familie unabhängig.

Ausführlich lobt Linde Salber den Film »Der blaue Engel« und die Gestalt der Lola, eine der einfältigsten Rollen, die Marlene Dietrich je gespielt hat. Marlene empfand ihre Rolle als Lola »ordinär«.Mit halb entblößten und durch Strapse und Spitzenhöschen verunzierten Beinen auf einem Fass zu sitzen, entsprach weder ihren Vorstellungen von Bürgerlichkeit noch ihrem Sinn für provokante Verkleidungen. Es entsprach auch nicht dem Stil einer Frau, die Hosen und Männerkleidung oder aber luxuriös-elegante Roben liebte.

Die Wirkung des »Blauen Engel« ist wohl am ehesten unter sexualpsychologischem Gesichtspunkt zu verstehen. Lola war die Inkarnation einer verfügbaren Weiblichkeit mit ausschließlich sexuellen Bestrebungen, Gegenbild zur anstrengenden emanzipierten Frau der zwanziger Jahre. Männer, auch intelligente, fühlten sich von diesem Typus angezogen, wie Lobeshymnen von Kritikern wie Alfred Kerr und Herbert Jhering beweisen.

1931 sagte Marlene Dietrich einem Reporter des Saturday Review: »Ich bin fest entschlossen, mich als Persönlichkeit zu behaupten und so weit wie möglich von der allgemeinen Darstellung des Vamp auf der Leinwand fern zu halten.« Ein Vorhaben, das weitgehend gescheitert ist; Marlene Dietrich blieb in den Weiblichkeitsprojektionen ihrer Regisseure und ihres Publikums gefangen.

Erstaunlich ist, dass diese »Ideale« bis heute nachwirken. Salber beispielsweise begibt sich auf das Niveau von Bild der Frau, wenn sie über die Komödie »A foreign affair« von Billy Wilder bemerkt: »Marlenes Körper und Gesicht haben sich verändert, inzwischen 47 Jahre alt, wirkt sie etwas fülliger und steifer. Das passt nicht ganz zur Rolle.«

An anderer Stelle wird eingeräumt: »Die berühmteste Großmutter der Welt verändert nachhaltig das Image der Frau um die 50.« Aber wohl nicht nachhaltig genug. Da sich Marlene Dietrich darüber gewundert haben soll, weshalb sich ihr 12 Jahre jüngerer Geliebter Michael Wilding mit der jungen Schauspielerin Elizabeth Taylor verlobte, fragt Salber spitz: »Kommt die Diva wirklich nicht darauf, dass es der Altersunterschied von 30 Jahren sein könnte, von den Körperformen einmal abgesehen?« Über die alte Dietrich ist in der Biografie nichts Erfreuliches mehr zu erfahren: »Sie hat immer ein loses Mundwerk gehabt, aber im Alter wird sie geradezu zänkisch und zickig.« Auch das ein bekanntes Klischee: die Rolle der »zänkischen (komischen) Alten«.

Marlene Dietrich zog sich an ihrem Lebensende vor den Blicken der Öffentlichkeit zurück. Als sie der Schauspieler Maximilian Schell, mit dem sie in dem Film »Das Urteil von Nürnberg« gespielt hatte, 1982 bedrängte, einen Dokumentarfilm über ihr Leben zu drehen, ließ sie sich nicht dazu überreden, vor die Kamera zu treten. Sie erlaubte ihm nicht einmal, ihr letztes privates Refugium, ihre Wohnung, zu filmen. Seine banalen Fragen über ihr Leben beantwortete sie mit zunehmender Gereiztheit.

Sie ärgerte sich darüber, dass Schell wie so viele andere schwärmerisch dem Mythos Dietrich anhing. Anders als er kritisierte sie die meisten ihrer Rollen zu Recht als kitschig und blödsinnig. Allmählich keimte in ihr der Verdacht, dass Schell nicht einmal ihre Memoiren gründlich gelesen hatte. Er beachtete auch ihre Äußerungen ihm gegenüber nicht.

So erklärte sie ihm gleich zu Beginn, sie sehe sich niemals ihre alten Filme an. Er schaffte trotzdem ein Vorführgerät heran. Schließlich beschimpfte die Schauspielerin, die stets mit Profis zusammengearbeitet hatte, den Regisseur und sein Team als Amateure. Er verließ beleidigt die Wohnung.

Die Biografin Linde Salber schlägt sich auf die Seite Schells, dessen Projekt sie »ambitioniert« findet. Marlene habe ihn abgekanzelt »wie einen dummen Schuljungen«, obwohl er sich berechtigte Fragen gestellt habe: »Wer ist diese Marlene Dietrich? Wie kann man überhaupt einen Menschen erfassen?« Die Antwort: »Man muss nachzeichnen, wie er sich versteckt!«

Eine andere mögliche Antwort wäre freilich, sich den überlieferten Fakten und autobiografischen Äußerungen zu stellen. Marlene Dietrich hat in ihren nur auf den ersten Blick enttäuschenden Memoiren (Salber: »begradigt, beschnitten, verwässert«) einiges über sich erzählt. Enttäuschend für den, der Details über Beziehungen (Salber: »den Reiz der Beschreibung ihrer Affären«) und psychoanalytische Reflexionen oder absolute Wahrheitstreue erwartet.

Von ihrer Familie, ihrer Ehe und ihren Amouren hat Marlene ein Wunschbild gezeichnet, das sich schon bei geringer Kenntnis der Tatsachen als idealisiert herausstellt. Ihre Wertvorstellungen waren vorfreudianisch. Sie erhielt den Anschein ihrer Ehe aufrecht, sie bestand auf den traditionellen Formen der Ehe und Familie, die in ihrem Leben früh zerbrochen waren, und sie beharrte auf ihrer angeblichen Tochter-, Gattinnen- und Mutterliebe, getreu den Leitbildern ihrer Kindheit. Das kann man Loyalität oder Konservatismus nennen. Auf jeden Fall gehörte es zu ihrer Weltanschauung.

Marlene Dietrich habe nicht eingesehen, dass Fakten für Memoiren unverzichtbar seien, meint Salber. Doch hat sie wohl wie Schell dieses Buch nicht besonders gründlich gelesen. Oder wie ist es zu erklären, dass die politischen Äußerungen der Diva - harte Worte über die Naivität der US-Amerikaner, über die Nachkriegszeit in den USA und über den deutschen Faschismus - ebenso wie die zum Teil bemerkenswerten literarischen Urteile nicht zitiert werden?

Auch Fakten über den zwiespältigen Umgang der deutschen Regierung mit dem Andenken an den Star, der 1992 in Berlin beerdigt wurde, fehlen in Salbers Darstellung. Wohl aus kommerziellen Gründen sind Biografien von Schauspielern meist eher dem Mythos als der Realität verpflichtet. Die vorliegende macht da keine Ausnahme. Bedauerlich, denn es wäre die Geschichte einer Frau zu schreiben gewesen, die sich fernab der Frauenbewegung zu emanzipieren verstand und ihre »Schöpfer« weit hinter sich ließ.

Linde Salber: Marlene Dietrich. Rowohlt, Reinbek 2001, 160 S., 8,50 Euro