Erste Krise des rot-roten Senats

Kollaps am Start

Berlin bleibt doch Berlin. In der vergangenen Woche kollabierte kurzzeitig der noch gar nicht gebildete rot-rote Senat.

Kollaps, nicht viel Zeit - bis zum Kollaps!« Wir wissen nicht, was sich Peter Strieder am vergangenen Donnerstag vor dem Einschlafen anhörte, aber dieses Lied von den Einstürzenden Neubauten hätte vielleicht seine Stimmung getroffen. Denn im Abgeordnetenhaus war es zum größten anzunehmenden Störfall gekommen. Der SPD-Landesvorsitzende und seit 1996 amtierende Senator für Stadtentwicklung fiel bei seiner Wiederwahl durch. Acht Abweichler in der Koalition: »Das ist das Ende des Super-Senators«, jubelte der CDU-Fraktionsvorsitzende und Wahlverlierer Frank Steffel, »der erste Tag der Abwahl von Rot-Dunkelrot.« Aber Steffel freute sich wieder mal zu früh, denn so funktioniert Demokratie nicht. Gewählt wird so lange, bis das Ergebnis stimmt. Die Parlamentssitzung wurde unterbrochen und die SPD zog sich zur Beratung zurück. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) drohte mit seinem Rücktritt und brachte vorgezogene Neuwahlen im Herbst ins Gespräch. Dann werde man ja sehen, »wie viele von euch noch hier sitzen«, sagte er seinen Parteikollegen ins Gesicht. Da war es, das Taktgefühl, das Wowereit im Wahlkampf versprochen hatte. Beim zweiten Wahlgang hatte Strieder seine Mehrheit. Dennoch war das Desaster perfekt. »Rot-Rot ist in der Stunde null gescheitert«, freute sich der ehemalige Bürgermeister, Eberhard Diepgen (CDU). »Strieder ist nicht mehr der große Zampano. Er muss aufpassen, dass er seine Position nicht verliert«, spekulierte der FDP-Landesvorsitzende Günter Rexrodt. Es war wahrlich kein guter Tag für Strieder. Denn ausgerechnet vor dem Amtsantritt des neuen Senats veröffentlichte die Berliner Morgenpost auch noch Vorwürfe, er habe im Jahr 1996 80 000 Mark in einen Immobilienfonds investiert, um Steuern zu sparen. Das sei zwar völlig legal, verwerflich daran sei nur, dass er den Fonds bei der Landesbank Berlin zeichnete, bei einer Tochter der Bankgesellschaft Berlin, die im vergangenen Jahr wegen riskanter Immobilienfonds Pleite gegangen war. Das hatte zum Auseinanderbrechen der großen Koalition und zu Neuwahlen geführt. Strieder sitzt zudem seit zwei Jahren im Aufsichtsrat der Bankgesellschaft. Die Berliner Morgenpost hatte den Angriff gerade zur rechten Zeit inszeniert. Die CDU konnte Strieders Verhalten zumindest als »moralisch bedenklich« bezeichnen. Sein Stellvertreter als Parteivorsitzender, Andreas Matthae, aber stärkte ihm den Rücken. Er sagte gegenüber Jungle World, er habe »Hochachtung« vor Strieder. Auf die Frage, ob Strieder nicht besser auf einen zweiten Wahlgang und damit auf das Amt als Stadtentwicklungssenator verzichtet hätte, meinte Matthae: »Es wäre doch ein Treppenwitz gewesen, wenn ausgerechnet Strieder, der die Partei zusammengehalten hat, abtreten hätte müssen. Ich finde es sehr positiv, dass sich jemand das noch mal antut.« Hochachtung vor jemandem, der sich auch dann noch wählen lässt, wenn man vorher den Abgeordneten mit dem Entzug des Mandats drohen muss? Darüber kann man geteilter Meinung sein. Ohne Zweifel aber war der 17. Januar eine politische Katastrophe für Wowereit, Strieder und ihren Koalitionspartner Gregor Gysi (PDS). Nur zwei Senatoren wurden mit allen Stimmen der Koalition in ihre Ämter gewählt. Selbst Wowereit und Gysi hatten nicht alle Parlamentarier der Koalition hinter sich und erzielten nur knappe Mehrheiten. Sehr zur Freude der rechten Berliner Presse. Georg Gafron höhnte in der B.Z.: »Vielleicht gelingt es ja den Sozialisten, etwas Vernünftiges zustande zu bringen. Allerdings wäre das zum ersten Mal in der Geschichte so.« Einer, der in seinem Leben ganz viel zustande gebracht hat, Helmut Kohl, sagte zum Zustandekommen der Koalition: »Dieser Tag ist ein Tag der Schande für Deutschland, Berlin und die Sozialdemokratie. Meine Gedanken sind heute bei den Opfern der SED-Diktatur, die mit der Senatsbildung in Berlin auf schmachvolle Weise verhöhnt werden.« Der stellvertretende Vorsitzende der CDU-Fraktion, Christoph Stölzl, hatte im Abgeordnetenhaus mit einer Frontstadtrede den Anfang gemacht: »Heute sperrt die Sozialdemokratie dem Kommunismus die Tür zur Macht in Deutschland wieder auf. (...) Die leichtfertige Liaison dangereuse von heute wird sie ihre Seele kosten.« Auch diese tiefenpsychologische Attacke, angereichert mit einer Prise Antikommunismus, hätte Wowereit und seine Partner nicht erschüttern müssen, ist man doch von der Berliner Rechten seit Jahren nichts anderes gewöhnt. Doch dass in den eigenen Reihen einige die Wahl des neuen Senats zur Abstrafung des Landesvorsitzenden nutzten, war ein echtes Problem. Also wurde kräftig gemutmaßt, wer denn gegen Strieder gestimmt haben könnte: Ost-SPDler, die enttäuscht darüber waren, dass kein Ostberliner Sozialdemokrat Senator geworden war? SPD-Frauen, die sich darüber geärgert hatten, dass dem neuen Senat nur zwei Frauen angehören? Dass die Abweichler aus den Reihen der PDS kamen, glaubte so gut wie niemand. Dafür sind die demokratischen Sozialisten viel zu anständig und autoritätsgläubig. Eher noch waren es Westberliner Sozialdemokraten, die nicht mit der Regierungsbeteiligung der PDS einverstanden waren. Immerhin zerschnitten am Tag nach der Vereidigung des Senats SPD-Mitglieder vor dem Willy-Brandt-Haus aus Protest gegen den »Verrat an der Menschenrechtsbewegung und an den Opfern des kommunistischen Regimes« mediengerecht ihre Parteibücher. Dafür, dass die Abweichler eher im Umfeld des rechten Kurt-Schumacher-Kreises in der SPD zu suchen sind, spricht auch die Tatsache, dass Strieder der Konstrukteur des Bündnisses mit der PDS war. Matthae zeigte sich wütend darüber, dass die Abweichler »so feige sind, das nicht offen zu sagen«. Sie hätten »der gesamten Partei und der Koalition Schaden zugefügt«. Viele in der Partei seien »frustriert und verunsichert«. »Aber okay, es ist passiert. Misstrauen bringt nicht weiter.« Jetzt nur nicht zaudern, denn es warten große Aufgaben auf den neuen Senat. Erst mal sollen 15 000 Stellen im öffentlichen Dienst abgebaut werden. So sieht er nämlich in Wirklichkeit aus, der neue Kommunismus in der Hauptstadt. Der frisch gewählte Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) behauptete sogar, die Berliner Verwaltung habe 70 000 Stellen zu viel. Glücklicherweise gibt es die B.Z.. Sie sammelt bereits Geld dafür, dass wenigstens die Reiterstaffel der Polizei erhalten bleiben kann, und zwar unter dem Motto: »Berliner geben dem Senat die Sporen«. 35 000 Euro sind schon zusammengekommen. Die Koalition wird der B.Z. eines Tages dafür dankbar sein. Denn wehrhaft muss es schon sein, das rot-rote Regime. Gerade angesichts des Bündnisses der Boulevardpresse mit dem außerparlamentarischen Widerstand aus ewigen Maueropfern und Bürgerrechtlern. Bärbel Bohley zusammen mit Frank Steffel an der Macht und Georg Gafron als ihr Pressesprecher: Das wäre wirklich der Kollaps.