Totalverweigerer soll 77 Tage im Arrest der Bundeswehr verbringen

Überdachen und strafen

Der Totalverweigerer Malik Sharif soll 77 Tage im Arrest der Bundeswehr verbringen.

Eine sechs Quadratmeter große Zelle, eine Stunde täglich Ausgang unter Aufsicht von Wachsoldaten, eine Stunde Besuchszeit pro Woche: So sieht der Alltag von Malik Sharif bei der Bundeswehr aus. Seitdem der 19jährige Berliner Totalverweigerer am 3. November in die Freiherr-von-Fritsch-Kaserne in Breitenburg bei Itzehoe einrückte, missachtete er alle Befehle und saß fast ununterbrochen wegen Gehorsamsverweigerung im Arrest.

Das ist die übliche Vorgehensweise der Bundeswehr gegen Totalverweigerer, unüblich ist aber die gegen Sharif verhängte Arrestdauer von 77 Tagen. »Es ist seit Jahren ein ungeschriebenes Gesetz, dass man nach dreimal 21 Tagen Arrest unehrenhaft aus der Bundeswehr entlassen wird«, sagt Michael Behrendt von der Berliner Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militär. Danach folgt dann ein strafrechtliches Verfahren.

Warum es gerade Sharif hart trifft, kann sich sein Anwalt Wolfgang Kaleck nicht erklären: »Der Junge hat eine glasklare Gewissensentscheidung getroffen, wie man sie selten findet.« Ohnehin, so argumentieren Anwälte und Totalverweiger, sei der Arrest rechtswidrig, weil dessen Ziel, den Soldaten zu disziplinieren, nicht erreicht werden könne. »Der Arrest ist eine vorweggenommene Strafhaft«, meint Christian Herz, ein Mitarbeiter der Berliner Kampagne.

Der Fall Sharif wirft ein bezeichnendes Licht auf die Willkür und Rechtsunsicherheit, mit der die Bundeswehr und die Justiz derzeit auf Totalverweigerer reagieren. Mitte der siebziger Jahre verweigerten die ersten Wehrpflichtigen den Dienst bei der Bundeswehr wie den Ersatzdienst mit der Begründung, dass Zivildienstleistende im Kriegsfall auch für militärische Aufgaben herangezogen werden können. Lediglich der direkte Einsatz an der Waffe ist für anerkannte Wehrdienstverweigerer ausgeschlossen.

Nach anfänglich milden Strafen schwenkte man in den achtziger Jahren auf eine harte Linie um. Verantwortlich dafür war insbesondere ein Erlass des damaligen Bundesverteidigungsministers Manfred Wörner (CDU), der Totalverweigerer nach einer ersten Verurteilung erneut zum Dienst einberief, so lange, bis eine Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr erwirkt worden war. Seit Ende der achtziger Jahre lehnen jedoch immer mehr Gerichte die Zulässigkeit einer Doppelbestrafung ab. Ein Versuch, die Wehrpflicht vor dem Bundesverfassungsgericht für rechtswidrig erklären zu lassen, scheiterte aber 1988.

Heute lauten die Urteile in den meisten Fällen auf Geldstrafen oder mehrmonatige Haft, die zur Bewährung ausgesetzt wird. Nach wie vor schlagen sich aber die Unterschiede zwischen dem konservativen Süden und dem liberaleren Norden in den Urteilen nieder. »Da hat eben jemand Pech, der an einen Dienstort in Bayern versetzt wird«, sagt Kampagnen-Mitarbeiter Behrendt. So verhängte das Amtsgericht Schwabach (bei Nürnberg) noch 1999 eine Freiheitsstrafe von einem Jahr ohne Bewährung, während das Amtsgericht Hamburg-Harburg im November 2000 den Totalverweigerer Jan Reher freisprach. Beide Urteile wurden in der Berufung allerdings aufgehoben und in Bewährungsstrafen umgewandelt.

Wie unterschiedlich die Urteile sogar innerhalb einer Stadt ausfallen können, zeigt sich in Berlin. So wurde der Totalverweigerer Christof Haug 1998 in erster Instanz zu elf Monaten ohne Bewährung verurteilt; im Fall von Dirk Schwieger wurden 2001 aber nur 40 Stunden gemeinnütziger Arbeit als Strafe verhängt.

Eine genaue Übersicht über die bundesweite Urteilspraxis ist nur schwer zu erlangen. Weil nicht sein kann, was gesetzlich nicht erlaubt ist, erhebt das Verteidungsministerium keine Daten über die Zahl der Totalverweigerer oder bestreitet zumindest öffentlich die Existenz einer solchen Statistik. Die Kampagne gegen Wehrpflicht rechnet jährlich mit 150 politischen Verweigerern, die Zahl sei trotz sinkender Einberufungszahlen konstant.

Nach wie vor ziehen sich einige der Verfahren endlos hin. Stellvertretend dafür steht der Fall des Potsdamers Volker Wiedersberg. Der heute 31jährige verweigerte bereits zu DDR-Zeiten die Teilnahme an einem Schulwehrlager und musste die Schule deshalb nach der zehnten Klasse verlassen. Auch den Ersatzdienst als Bausoldat lehnte er ab, brauchte aber wegen eines Deals zwischen der Kirchenleitung und dem Staat nicht ins Gefängnis.

Nicht so einfach entkommen konnte er dem bundesdeutschen Zivildienst, den er 1993 antreten sollte und verweigerte. Die strafrechtliche Hauptverhandlung fand im Februar 1996 statt und wurde nach einer halben Stunde ausgesetzt, weil das Gericht Bedenkzeit brauchte.

Die dauerte zwei Jahre. Im Mai 1998 wurde Wiedersberg vor dem Amtsgericht zu einer geringen Geldstrafe von 1 500 Mark verurteilt. Er ging dennoch in die Berufung. Das Landgericht Potsdam folgte 1999 seinem Antrag und legte den Fall dem Bundesverfassungsgericht vor. Dort liegt er noch heute, ein Termin im vergangenen Herbst wurde auf unbestimmte Zeit verschoben.

Die Klage hat es in sich, könnte doch der Potsdamer Totalverweigerer die Wehrpflicht in Gefahr bringen. Die Begründung des Landgerichts legt den Verfassungsrichtern eine Neubeurteilung der Lage nahe, auch gegenüber dem Urteil von 1988. Nach dem Ende der Blockkonfrontation ergebe sich keine verteidigungspolitische Notwendigkeit mehr für die Wehrpflicht. Auch eine Berufsarmee könne den verteidigungspolitischen Zielen genügen, so die Potsdamer Richter. Damit stelle sich aber die Frage, ob die Wehrpflicht nicht ein unverhältnismäßiger Eingriff in die persönliche Handlungsfreiheit sei.

Die Totalverweiger könnten somit unfreiwillig zur Modernisierung der Bundeswehr beitragen. Bereits seit längerem fordern Politiker der Regierungskoalition wie der Fraktionsvorsitzende der Grünen, Rezzo Schlauch, den Umbau zur Berufsarmee; schließlich ist eine Armee von Wehrpflichtigen für Einsätze in Krisengebieten wie Afghanistan wenig geeignet. Und tatsächlich werden derzeit keine Wehrpflichtigen zu Bundeswehreinsätzen im Ausland herangezogen. Aber noch lehnt Verteidigungsminister Rudolf Scharping eine Berufsarmee mit dem Argument ab, dass sie zu teuer sei. Die Sparpläne der Bundesregierung sollen nicht gefährdet werden.

Dass die Bundeswehr den Totalverweigerern, sollten sie die Wehrpflicht tatsächlich zu Fall bringen, ein Denkmal setzt, ist freilich nicht zu erwarten. Eher steht weitere Strafverfolgung ins Haus. Am heutigen Mittwoch muss ein Truppendienstgericht entscheiden, ob Malik Sharifs Arrest fortgesetzt wird. »Der steuert auf einen Rekord zu«, fürchtet Kampagnen-Mitarbeiter Herz.

Um die Entlassung zu erreichen, wollen Unterstützer Sharifs zur gleichen Zeit das Bundesverteidigungsministerium blockieren. Eine ähnliche Aktion gab es zuletzt 1995 im Berliner Umland. Damals wurde das Truppendienstgericht Potsdam besetzt, um gegen eine erneute Verhandlung gegen den Totalverweigerer Lothar Lehmann zu protestieren, der schon 85 Tage im Arrest saß. Lehmann kam frei, und die Besetzer standen anschließend wegen Landfriedensbruchs selbst vor Gericht.