Protestantische Paramilitärs legen die Waffen nieder

Weiche Ziele

Nach dem Mord an einem Postboten haben protestantische Paramilitärs die Waffen niedergelegt. In Nordirland glaubt trotzdem niemand an den Frieden.

Der öffentliche Verkehr stand still, Banken und Geschäfte blieben geschlossen, Lehrer erschienen nicht zum Unterricht. Tausende demonstrierten am vergangenen Freitag in Nordirland wegen der Ermordung des 20jährigen Postboten Daniel McColgan und der Morddrohungen protestantischer Paramilitärs.

»Der Aktionstag ist eine wichtige Gelegenheit für Nordirland, sich gegen Terrorismus und Sektierertum auszusprechen«, sagte Tom Gillen, ein stellvertretender Sekretär des Irish Congress of Trade Unions, der die Proteste organisiert hatte.

Zu dem Mord an McColgan, der am vorletzten Samstag vor dem Postamt im protestantischen Belfaster Vorort Rathcoole durch mehrere Schüsse getötet wurde, bekannten sich die Red Hand Defenders. Dieser Tarnname wird sowohl von der paramilitärischen Organisation Ulster Defence Association (UDA) als auch von der Loyalist Volunteer Force (LVF) bei Anschlägen benutzt. Nach dem Mord erklärten die Red Hand Defenders zunächst, dass sie künftig Postboten, Lehrer und andere katholische Beschäftigte als »legitime Ziele« betrachten werden.

Für die katholische Bevölkerung kam diese Aussage einer Kriegserklärung gleich. Dabei zeigten sich die Red Hand Defenders bereits in der Vergangenheit nicht besonders wählerisch, was ihre Opfer betraf. Im Juli letzten Jahres erschossen sie einen 19jährigen Katholiken und einen 18jährigen Protestanten, die sich mit einigen katholischen Freunden unterhielten. Im September wurde der Deckname erneut benutzt, als mit dem Katholiken Martin O'Hagan zum ersten Mal ein Journalist erschossen wurde.

Die protestantischen Paramilitärs werden zudem für Hunderte von Anschlägen auf katholische Wohnhäuser verantwortlich gemacht. Ein Mitte der neunziger Jahre geschlossener Waffenstillstand mit diesen Gruppen erklärte der britische Nordirlandminister John Reid daher im letzten Herbst für nichtig.

Nun wird angenommen, dass die Loyalisten mit ihren Anschlägen versuchen könnten, die republikanische Untergrundorganisation IRA zur Wiederaufnahme des bewaffneten Kampfes zu bewegen und somit den Friedensprozess zu unterbrechen. Die IRA hat im vergangenen Herbst ihre Entwaffnung angekündigt.

Doch mit dem Mord an McColgan scheinen die Paramilitärs einen Schritt zu weit gegangen zu sein. Nachdem die Gewerkschaften und selbst loyalistische Politiker den Anschlag verurteilt hatten, verkündeten sie überraschend am vergangenen Mittwoch ihren Rückzug.

»Heute um Mitternacht werden alle Einheiten der Red Hand Defenders aufgelöst werden, so wie es die Ulster Defence Association angeordnet hat«, heißt es in einer Mitteilung an eine Belfaster Nachrichtenredaktion. Die UDA hatte sich zuvor von den Drohungen der Red Hand Defenders distanziert und sie aufgefordert, in einem Zeitraum von 14 Tagen ihre Auflösung zu vollziehen. »Wir werden nicht mehr länger den Schaden tolerieren, den ihre Aktionen für die loyalistische Sache bedeuten«, erklärt die UDA in einer Stellungnahme.

Über 2 000 Postbeamte hatten zuvor aus Respekt für McColgan ihre Arbeit niedergelegt. Sie nahmen ihre Tätigkeit erst am vergangenen Mittwoch wieder auf, nachdem die Red Hand Defenders ihre Auflösung bekannt gegeben und die Drohung gegen Lehrer und Briefträger zurückgezogen hatten.

Von republikanischer Seite werden die Erklärungen der militanten Loyalisten jedoch skeptisch betrachtet. »Sie versuchen, ihre Fährte zu verwischen und sich von dem, was passiert ist, zu distanzieren«, sagte Alex Attwood von der katholischen Social Democratic Labour Party. Der Abgeordnete der nordirischen Selbstverwaltung warf der UDA vor, nur Verwirrung stiften zu wollen. »Es weiß doch jeder, dass die UDA und die Red Hand Defenders ein und dieselbe Gruppe von Menschen sind, egal, wie sie sich nennen.«

Die republikanischen Parteien sehen in der Selbstauflösung nur einen taktischen Rückzug. Der Schritt könnte aus Angst vor Verhaftungen in der Führungsriege der UDA erfolgt sein, nachdem der jüngste Mord einen öffentlichen Aufschrei verursachte.

Tatsächlich scheinen die protestantischen Hardliner besorgt zu sein, dass sie die Kontrolle verlieren könnten. Denn seit Beginn des Jahres überstürzten sich die Ereignisse in der nordirischen Hauptstadt Belfast. So eskalierte Anfang Januar erneut der Konflikt um die katholische Mädchenschule Holy Cross im Norden der Stadt.

Erst einen Monat zuvor hatten die Anwohner der kleinen protestantischen Enklave Glenbryn ihre Proteste gegen die Familien aus dem katholischen Bezirk Ardoyne beendet. Seit dem Beginn der Auseinandersetzungen im vergangenen Sommer hatten die katholischen Familien darauf bestanden, den direkten Schulweg über die von Protestanten bewohnte Ardoyne Road zu nehmen.

Der Anlass für die erneuten Auseinandersetzungen ist dabei so albern, dass er wahrscheinlich nicht einmal als Szene für eine der vielen britischen Seifenopern hätte herhalten können. Zwei Frauen, die eine katholisch, die andere protestantisch, sollen sich auf einem schmalen Fußweg geweigert haben, Platz zu machen, um die andere passieren zu lassen. Dass Orte und Wege eine starke Symbolik in Nordirland besitzen, hat sich nicht erst im letzten halben Jahr gezeigt.

Die Protestantin Margeret Kell hat eine andere Geschichte zu erzählen. Sie berichtet, sie habe eine Gruppe von etwa hundert Republikanern beobachtet, die sich kurz vor Schulschluss an der Hesketh Road versammelt hatten. An diesem Ort wurde ihr Schwager, ein protestantischer Taxifahrer, im Dezember 1999 erschossen. Als ein Republikaner ein Gedenkbanner zerstören wollte, so Kell, habe sie ihm ins Gesicht geschlagen.

Nur die schnelle Reaktion der Polizei habe sie vor den aufgebrachten Katholiken retten können. »Ich war es, die das ganze wieder ins Rollen gebracht hat. Aber wenn nicht mir der Kragen geplatzt wäre, dann eben jemand anderem. Der Aufruhr hat sich schon seit Wochen zusammengebraut.«

Auch Nationalisten verweisen darauf, dass die Spannungen seit Schulbeginn zugenommen hätten. Katholische Eltern seien belästigt, bespuckt und bedroht worden. Mit dem Eingreifen der Polizei erschienen katholische und protestantische Jugendliche vor der Schule Holy Cross, die erst Ende November von der Belagerung protestantischer Anwohner befreit werden konnte.

Wer angenommen hatte, der Konflikt habe seitdem an Intensität verloren, sah sich getäuscht. Zwei Nächte lang lieferten sich beide Seiten heftige Schlachten mit der Polizei und bewarfen die Sicherheitskräfte wie auch Wohnhäuser mit Molotowcocktails und Säurebomben und setzten Autos in Brand

Die Gewalt griff auch auf andere Schulen und Wohngegenden über. Sechs bewaffnete Loyalisten verwüsteten die katholische Mädchenschule Our Lady of Mercy, Schüler der protestantischen Jungenschule Boys' Model mussten in gepanzerten Landrovern der Polizei nach Hause gefahren werden. Als die heftigen Auseinandersetzungen abzuklingen schienen, erschossen die loyalistischen Paramilitärs den katholischen Postboten.

Während viele Schulen der Gegend den Unterricht früher beendeten, blieb Holy Cross einen ganzen Tag lang geschlossen. Die größte katholische Lehrergewerkschaft, die Irish National Teacher's Union, zog einen Streik in Erwägung, um gegen die Verletzung von Kinderrechten zu protestieren. Die Situation sei nicht mehr zu tolerieren gewesen, so ihr nordirischer Vertreter Frank Bunting.

Doch auch nach der angekündigten Auflösung der Red Hand Defenders glaubt niemand in Belfast an den Frieden. In der vergangenen Woche wurden zwei weitere katholische Schulen mit Brandbomben angegriffen. Vor allen Schulen stehen mittlerweile gepanzerte Polizeifahrzeuge.