Rechtsrutsch bei den Grünen

Ein Hauch von '89

Der Sieg von Werner Schulz gegen Hans-Christian Ströbele bei der Kandidatenaufstellung für die Bundestagswahl bedeutet einen Rechtsrutsch im grünen Landesverband.

Der Vorzeigelinke der Berliner Bündnisgrünen wird aller Voraussicht nach nicht mehr dem nächsten Bundestag angehören. Völlig unerwartet haben die Berliner Grünen kürzlich auf ihrer Mitgliederversammlung statt Hans-Christian Ströbele den ehemaligen ostdeutschen Bürgerrechtler Werner Schulz auf Platz zwei ihrer Landesliste gesetzt. Durch die Verkleinerung des Bundestages in der nächsten Legislaturperiode werden die Berliner Bündnisgrünen voraussichtlich nur zwei Abgeordnete ins Parlament schicken können - wenn die Grünen überhaupt die Fünfprozenthürde überwinden.

Eigentlich wurde ein großer Showdown zwischen Ströbele und der ehemaligen Bundesgesundheitsministerin und Realo-Frau Andrea Fischer um Platz zwei erwartet. Auf Platz eins, der bei den Grünen nach der Satzung einer Frau zusteht, wurde Bundeslandwirtschaftsministerin Renate Künast gewählt. Ströbele zeigte sich enttäuscht und überlegt, eventuell doch nicht als Direktkandidat im Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg anzutreten: »Darüber muss ich erst mit meinen Freunden beraten«.

1994 fiel Ströbele noch der Ostquote des Berliner Landesverbandes zum Opfer und wurde nicht in den Bundestag gewählt. 1998 verfehlte er das Direktmandat mit 29 Prozent der Erststimmen nur knapp, kam aber über die Landesliste in den Bundestag. Das war vor der Neuaufteilung der Berliner Wahlkreise und der Verkleinerung des Bundestages. Jetzt reicht der Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg über das grüne Kerngebiet in den von der PDS dominierten Osten hinein.

Ströbele sieht in seiner Niederlage eine Trendwende. Angebote aus anderen Landesverbänden, bei ihren Listenaufstellungen zu kandidieren, lehnt er ab. Die ebenfalls bitter enttäuschten Anhänger Ströbeles aus Friedrichshain-Kreuzberg, die mit 550 Mitgliedern immerhin die größte Bezirksgruppe bei insgesamt rund 3 300 Mitgliedern im Landesverband stellen, ergingen sich später in Verschwörungstheorien. Von Stimmenkauf war die Rede, außerdem hätte es im Januar ungewöhnlicherweise über 70 Parteieintritte gegeben, und bei der Mitgliederversammlung seien auffallend viele bisher nicht aktiv aufgetretene grüne Mitglieder gewesen. Auch der begehrte »Werner-Kuchen«, den es am Eingang der Versammlungshalle umsonst gab, und die vielen jungen Leute, die mit Werner-Schulz-Buttons herumliefen, sollen ihren Teil zum Wahlerfolg des Ostdeutschen beigetragen haben.

Einige Parteiaktivisten aus Ströbeles Kreuzberger Kreisverband kündigten an, sich dem Bundestagswahlkampf zu verweigern, da man sich mit dem Kandidaten Schulz nicht auf die Straße trauen könne. Die Chefetage der Berliner Grünen versucht derweil, den Ball flach zu halten. So will der Landesvorsitzende Till Heyer-Stuffer im Votum für Werner Schulz keine »Richtungsentscheidung« erkennen.

Der Erfolg von Werner Schulz wird nicht zuletzt durch seine »mitreißende Rede«, die er auf der Versammlung gehalten hat, erklärt. Im Gegensatz zu dieser sei Ströbeles Vorstellung relativ schwach gewesen. Die Landesvorsitzende Regina Michalik sagte, Ströbele habe nicht seinen besten Tag gehabt.

Außerdem gab es das Argument, dass die Ostrepräsentation in der Partei gesteigert werden müsse. Der Frust angesichts der rot-roten Senatsbildung dürfte auch eine Rolle gespielt haben. Schulz punktete mit Anti-PDS-Sprüchen wie: »Wir dürfen der Westausdehnung der PDS nicht die Ostausdünnung der Bündnisgrünen folgen lassen«. Ganz unbescheiden versteht er seinen Sieg als ein Aufbruchssignal für alle Grünen in Ostdeutschland. »Ich stehe jetzt der gesamten Partei als Stimme des Ostens zur Verfügung«, jubelte der »bürgerliche Reformoptimist« (Schulz über Schulz). Er fühle sich »ein bisschen wie 1989«. Auch die Beschimpfungen als »Mandatstourist«, die dem gebürtigen Sachsen aus dem Lager der Ströbele-Anhänger an den Kopf geworfen wurden, konnten seinen Durchmarsch nicht verhindern.

Die Wahl von Schulz hat womöglich eine weitere Trendwende bei den Grünen eingeleitet. Und zwar in Richtung schwarz-grüner Koalitionen. Schon 1994 machte Schulz sich für ein solches Bündnis in Sachsen stark, was ihm damals Feindseligkeiten von der Basis einbrachte. Heute ist eine solche Konstellation, zumindest was den Osten angeht, schon eher vorstellbar, wenn die Wahlergebnisse es zulassen. Sowohl die Grünen als auch die CDU haben bemerkt, dass für sie ansonsten kaum eine Regierungsbeteiligung im »roten Osten« möglich ist. Schulz verkündete denn auch pathetisch: »Meine Nominierung ist die Antwort auf Gregor Gysi.«

Dennoch kam der Erfolg für Werner Schulz überraschend. In den letzten Jahren hatte der »letzte Bürgerrechtler bei den Grünen« einige Niederlagen einstecken müssen. 1997 kandidierte er erfolglos in Leipzig für das Amt des Bürgermeisters. Nach der Bundestagswahl 1998 unterlag er bei der Wahl des Nachfolgers von Fraktionssprecher Joseph Fischer gegen Rezzo Schlauch. Das könnte nach der diesjährigen Bundestagswahl anders aussehen, da sich Schlauch bei vielen grünen Abgeordneten nicht besonders beliebt gemacht hat.

Dabei hätten die Grünen Ströbele für den kommenden Wahlkampf gut brauchen können. Seine radikale Rhetorik stand vor allem in jüngster Zeit immer wieder in auffallendem Widerspruch zu seiner tatsächlichen Politik im Parlament. Etwa bei seiner Zustimmung zum Uno-Einsatz in Afghanistan, aber auch zum so genannten 6-10-Gesetz zur Erleichterung des Abhörens von Telekommunikation (Jungle World, 21/01). Auch seine Kritik an den so genannten Sicherheitspaketen von Bundesinnenminister Otto Schily fiel nicht besonders harsch aus. Andererseits hätte Ströbele mit seinem Ruf als Linker doch noch ein paar Wähler anziehen können, als eine Art Leutheusser-Schnarrenberger der Grünen.

Auch von den anderen so genannten Abweichlern, die sich im Herbst gegen den Bundeswehreinsatz im »Krieg gegen den Terror« aussprachen, hat kaum einer Chancen, wieder in den Bundestag einzuziehen. Annelie Buntenbach, Monika Knoche und Christian Simmert erklärten bereits von sich aus, dass sie nicht noch einmal für eine Kandidatur zur Verfügung stünden. Sylvia Voß und Steffi Lemke haben wegen der Schwäche der Grünen im Osten eine Chance auf den Wiedereinzug in den Bundestag. Winfried Hermann wird dagegen bei den Listenaufstellungen in Baden-Württemberg das Nachsehen haben.

Ströbele wird also nicht das letzte Opfer der grünen Neuorientierung bleiben. Er lasse sich nicht so schnell aus der Partei vertreiben, hatte er während der parteiinternen Auseinandersetzung um die Beteiligung Deutschlands am Kosovo-Krieg 1999 gesagt, schließlich habe er in der Partei das Licht mit angemacht. Nach vier Jahren Rot-Grün sehen nun auch die Berliner Grünen nur noch schwarz.