Juristischer Streit um Marcel Breuers Bauhaus-Hocker

Hocker auf der Zeugenbank

Ist der Bauhaus-Hocker von Marcel Breuer Kunst? Und wer darf ihn produzieren?

Das ist es also, das »richtungsweisende Werk der modernen Möbelkunst«, welches das Oberlandesgericht Düsseldorf für die nächsten Stunden beschäftigen wird. In dreifacher Ausgabe steht der von Marcel Breuer 1925 am Bauhaus Dessau entwickelte Hocker auf dem Flur vor dem Verhandlungssaal. Direkt neben den TV-Kameras. Schlicht und geradlinig, nur aus zwei gebogenen Metallrohren und einer Holzplatte bestehend, erfüllt er perfekt das Bauhaus-Ideal von Funktionalität. Von der »Brauchbarkeit für alle« schwärmte Marcel Breuer. Stimmt: Das Möbel könnte auch ein Podest sein, wie es von Kameraleuten mitgeschleppt wird, wenn sie größeren Andrang erwarten und eine erhöhte Position brauchen.

Mitgebracht zur Verhandlung vor dem Düsseldorfer Oberlandesgericht am 22. Januar haben den Hocker die Vertreter der niedersächsischen Möbelfirma Tecta. Vom Bauhaus-Archiv Berlin lizenziert und von der in New York lebenden Witwe des Künstlers, Constanze Breuer, genehmigt, stellt Tecta das Möbelstück seit gut 20 Jahren her. Die Produktion war lange Zeit exklusiv und mit dem werbeträchtigen Markenzeichen »original bauhaus model« des Bauhaus-Archivs versehen. Doch seit dem letzten Jahr gibt es einen Konkurrenten, die Firma L. & C. Stendal Metallmöbel GmbH produziert ebenfalls den Hocker und vermarktet ihn unter dem von der Stadt Dessau eingetragenen Markenzeichen »bauhausdessau«. Ein schlechtes Gewissen haben die Stendaler dabei nicht. Für sie ist der Hocker ein Gebrauchsgegenstand und kein Kunstwerk. So sei er auch nicht urheberrechtlich geschützt und der Nachbau legitim.

»Das kommt einer Enteignung der Bauhaus-Künstler gleich«, schreibt die Firma Tecta auf ihrer Homepage und klagt seit dem letzten Jahr auf Unterlassung der Produktion durch die Firma aus Stendal. Einen ersten Prozess im vergangenen Jahr verlor Tecta. Als sich das zuständige Gericht die Verträge mit Constanze Breuer genauer ansah, stellte es fest, dass darin von einem Armlehnstuhl die Rede ist. Und Armlehnen kommen bei Hockern üblicherweise nicht vor.

Mit neuen Verträgen, diesmal zum Thema Hocker, findet die Berufungsverhandlung statt. Die Stendaler bleiben bei ihrer Position und berufen sich auf ein Gutachten vom Bauhaus Dessau. Der Hocker »lag im Mainstream seiner Zeit«, sagt der Anwalt der Angeklagten während der Verhandlung. Kein Kunstwerk, kein Urheberrecht. Doch allein auf diese Argumentation wollen sie sich nicht verlassen. Sollte es sich erweisen, dass es doch ein Urheberrecht an Marcel Breuers Hocker gibt, liegt dieses für die Stendaler keinesfalls bei der Witwe oder dem Bauhaus-Archiv Berlin, sondern bei der Stadt Dessau. Schließlich war Breuer zur Zeit der Erfindung Lehrer am Bauhaus Dessau und somit Angestellter der Stadt.

Vor allem zwei Fragen müssen geklärt werden. Ist der Hocker B9 ein Kunstwerk? Und ist er von Breuer im Rahmen seiner Tätigkeit am Bauhaus Dessau entstanden? Eindeutige Akten darüber, welches Stahlrohrmöbel von welchem Künstler entwickelt wurde, gibt es nicht. Und Streit über die Urheberschaft einzelner Möbel gab es schon in den zwanziger Jahren. Auch Angaben über die Arbeitsorganisation am Bauhaus, die wichtig sind für die Frage, ob Breuer als Leiter der Holzwerkstatt am Bauhaus Dessau die Möglichkeit hatte, mit Stahlrohren zu experimentieren, sind nicht systematisch erfasst.

So wirkt die Verhandlung zwischenzeitlich wie ein Kunsthistorikerseminar. Bücher zur Designgeschichte liegen auf dem Richtertisch. Kopierte Aufsätze werden verteilt, Abschnitte daraus vorgelesen, und es wird nach möglichen Interpretationen gefragt. Zwischendurch beugen sich Richter und Anwälte über Originalkataloge längst vergangener Ausstellungen, um auf Bildern nach Beweisen zu suchen. Eins zeichnet sich dabei bereits ab. Sollte nachzuweisen sein, dass der Hocker 1925 eine Neuheit war, würde ihm der Status als Kunstwerk zustehen, so der Richter.

Grundsätzlich spricht also nichts dagegen, dass ein Hocker ein Kunstwerk ist, auch wenn es in diesem Fall ein Zitat von Marcel Breuer gibt, das dieser Aussage widerspricht: »Ein Stuhl ist keine Kunst.« Das Gericht trifft seine Entscheidung jedoch nicht im Sinne theoretischer Debatten über den Kunstbegriff. Hier geht es allein darum, ob eine kreative Neuerung vorliegt und ob diese urheberrechtlich geschützt ist.

Mit dem Urheberrecht verbunden ist das Recht, die Produktion des Hockers zu kontrollieren und somit Geld zu verdienen. Und darum geht es allen am Prozess Beteiligten, auch den hinter den Produzenten stehenden Institutionen: dem Bauhaus-Archiv in Berlin und dem Bauhaus Dessau. Im Zuge des Hocker-Streits ist zwischen beiden Häusern ebenfalls ein heftiger Streit entbrannt.

Die Stadt Dessau hat sich Anfang des letzten Jahres in Zusammenarbeit mit dem Designzentrum Sachsen-Anhalt und der Stiftung Bauhaus Dessau das Markenzeichen »bauhausdessau« schützen lassen. Jenes Markenzeichen, unter dem auch der Hocker der Firma L&C vertrieben wird. Dass dies aus ökonomischen Überlegungen geschehen ist, machte die Stadt Dessau von Anfang an klar. Das Bauhaus soll nicht nur Touristen in die Stadt locken, sondern auch »neue Produktionen des Klein- und Mittelstandes in Sachsen-Anhalt« unterstützen. So dient der Mythos Bauhaus als Standortvorteil einer strukturschwachen Region.

Als allerdings bekannt wurde, dass das Label »bauhausdessau« nicht nur für Repliken alter Originale, sondern mit dem Zusatz »edition« auch für völlig neu entwickelte Produkte genutzt werden soll, war Peter Hahn, der Direktor des Bauhaus-Archivs Berlin, verärgert. »Das Bauhaus als Supermarkt?« überschrieb er einen offenen Brief, den er auf den Internetseiten des Archivs veröffentlichte. »Plagiate und Fälschungen gibt es auf diesem Gebiet bereits heute mehr als genug. Der kulturelle Welterfolg des Bauhauses hat offenkundig kommerzielle Trittbrettfahrer in Hülle und Fülle gezeitigt.« Auch wenn die Dessauer versprachen, äußerst vorsichtig bei der Auswahl neuer Produkte vorzugehen, schlossen sich viele ehemalige Bauhaus-Schüler und Erben dem heftigen Protest Peter Hahns an. »Die Berliner wollen gern Alleinverwalter der Bauhaustradition sein und fürchten unsere Emanzipation«, erklärte dagegen Omar Akbar, der Direktor des Bauhaus Dessau.

Letztlich geht der Streit um die Frage, wie mit der Tradition des Bauhauses umgegangen wird. Ist das Bauhaus eine klar definierte Epoche und ein Museum oder ein sich fortsetzendes Experiment, welches das Wissen seiner Zeit aufgreift und sich weiterentwickelt. Wer sich in diesem Streit durchsetzt, hängt auch davon ab, wer die Rechte an den Bauhaus-Modellen für sich beanspruchen kann.

Das macht den Prozess um Marcel Breuers Hocker so wichtig. Auf welcher Seite der Bauhaus-Künstler gestanden hätte, scheint zumindest für die Vertreter der Firma Tecta klar zu sein. Sie haben ein gerahmtes Porträt Marcel Breuers mitgebracht und neben die Klägerbank gestellt.

Das Urteil wird im März erwartet.