Ende des Satanistenprozesses in Bochum

Das Böse ist unter uns

Ein Mordprozess in Bochum mit okkultem Hintergrund wird reißerisch vermarktet.

So richtig vertrauenserweckend wirken »die Teufelsbraut und ihr perverser Ehemann« (Bild) tatsächlich nicht. Den Kopf hälftig kahlrasiert, verziert mit einem aufgemalten Kreuz, natürlich falschrum, erschien Manuela Ruda vor der Strafkammer in Bochum. Ihrem Ehemann Daniel sind zwar mittlerweile die Haare auf dem vormals ebenfalls glatt rasierten Schädel nachgewachsen. Aber auch er gibt sich nicht als reuiger Sünder, sondern blickt finster in die Kameras. Er streckt die Zunge heraus und scheut sich nicht, immer mal wieder Teufelssymbole fingerakrobatisch zu illustrieren.

Das freut natürlich die versammelten Medienleute. Eine Londoner Nachrichten-Website entdeckt die dunkle Seite Deutschlands wieder und spürt 6 000 Hardcore-Teufelsanbeter auf. Deutsche Zeitungen wissen von »Folter, Mord und dunklen Ritualen« (Bild) zu berichten. Zur Freude des Massenblattes für religiöse Volkserziehung »gesteht das teuflische Paar alles, denn der Satan hat es ihnen befohlen«. Da wollen auch seriöse Nachrichtenmagazine nicht hinten anstehen und künden ebenfalls vom »Tod im Namen Satans« (stern).

Die aparte Mischung aus Sex und Horror, präsentiert von klischeegerecht aufgebrezelten Hauptdarstellern, fand großes Interesse quer durch alle Konsumentenschichten der Medienöffentlichkeit. Dabei beging das Ehepaar nur einen von insgesamt ungefähr 2 800 Morden im Jahr 2001 in Deutschland.

Allerdings war der Anlass wirklich schauderhaft. Am 6. Juli 2001 erschlugen die beiden Eheleute Ruda einen Arbeitskollegen von Daniel: Frank Hackert, genannt Hacki. Der 33jährge Hackert arbeitete bei Autoteile Unger in Datteln. Dort hatte es der spätere Mörder immerhin zum zweiten Filialleiteranwärter gebracht. Hacki kam arglos bei den Frischvermählten zu Besuch. Diese metzelten ihn mit genau 66 Messerstichen, einigen Machetenhieben und weiteren Hammerschlägen nieder. Anschließend ritzten sie ihm ein Pentagramm in den Bauch. Als die Polizei die mit allerlei einschlägigen Symbolen und Bildern geschmückte Wohnung der Rudas öffnet, ist der Mann so zugerichtet, dass seine Identifizierung zunächst Mühe bereitet.

Das Ganze geistert als »Mordorgie« der »Satansmörderin Manuela«, die »Fesselspiele auf Friedhöfen liebte«, und ihres Mannes durch die Presselandschaft. In täglich neuer Aufmachung musste die Gräueltat immer wieder spektakulär genug sein, um stets aufs Neue die unappetitlichen Begleitumstände der Tat auszubreiten. Denn nicht lediglich das Pentagramm brachte »Satansweib Manuela« und ihren Ehemann in Verbindung mit okkulten Kreisen. Auch Wohnzimmereinrichtung und Lebensstil passten wunderbar zum Klischee der blutdürstenden schwarzen Seelen. Das Gericht verurteilte Manuela und Daniel Ruda in der vergangenen Woche zu Freiheitsstrafen von 13 und 15 Jahren und ordnete die Unterbringung in der Psychiatrie an.

Als Manuela vor Gericht ihre Wandlung vom Punk zum Vampir und schließlich zur Satanistin schildert, bemerken allerdings aufmerksame Beobachter einen Bruch. Ihre martialische Aufmachung scheint nicht so recht zu der unsicheren Stimme zu passen, mit der sie das Geschehen beschreibt. Dennoch beruft sie sich auf einen Auftrag Satans, weshalb sie nun auch keine Reue oder Schuld empfinde. Ihr Ehemann dagegen wirkt während des Prozesses durchgängig arrogant und behauptet ebenfalls: »Ich bekam von Satan den Befehl, einen Menschen zu kreuzigen.«

Mit ihrem vehementen Beharren auf der Existenz eines leibhaftigen Teufels und einer möglichen direkten Auftragserteilung durch ihn befinden sich die beiden Satanisten jedoch in allerbester Gesellschaft. Noch am 13. November 1972 verkündete der damalige Papst Paul VI. in einer offiziellen Erklärung: »Das Böse ist ein lebendiges, geistiges, pervertiertes und pervertierendes Wesen. Der Teufel ist Feind Nummer Eins, der Versucher schlechthin. Wir wissen, dass dieses dunkle, verwirrende Wesen tatsächlich existiert und noch immer tätig ist.«

Höllenvisionen, okkulte Riten und die feste Überzeugung, hinter dem schnöden Flatscreen der Wirklichkeit lauere noch ganz Anderes, Unheimliches, sind fester Bestandteil westlicher Kulturtradition. Dämonenbeschwörungen in Afrika, der Glaube an Wiedergeburts- und Auferstehungsmythen in verschiedenen Religionen und die jahrhundertelange Dämonisierung der Sexualität im Christentum lassen vermuten, dass irrationale Erklärungsmuster schlichtweg konstitutiver und notwendiger Bestandteil humaner Geistesverfassung sind. Deren Verdrängung kann fatale Folgen haben.

Das sah schon C.G. Jung so. Der Schweizer Psychologe hielt »das Unbewusste« für die wahre Matrix aller Bewusstseinsphänomene. Er behauptete aber, dass der »dunkle Seelenteil«, »das unbekannte Psychische« sich »in nichts von den uns bekannten psychischen Inhalten unterscheide«. Diese Deutung wirft zwar sofort die Frage nach der erkenntnistheoretischen Notwendigkeit eines solchen in der Psyche angesiedelten doppelten Bodens auf. Aber Jung glaubte, dass »der Einzelne der Vermassung das Mysterium seiner lebendigen Seele entgegensetzen müsse«. Täte er das nicht, so wäre er unrettbar »von der Absurdität und einer Verblödung der Ideale einer kollektiven Organisation bedroht«.

Daraus folgerte der Psychoanalytiker, dass die im »Verborgenen liegenden Schätze der Mythen, Märchen und Träume spielerisch mit schöpferischen und spontanen Fantasien gehoben werden« müssten. Als eine getreue Bebilderung dieser These erscheinen die Bühnenspektakel verschiedener Gothic-Rock-Gruppen wie Umbra et Imago oder Myrilyn Manson. Da stolziert der dämonisch geschminkte Manson auf meterhohen Stelzen spinnengleich über die Bühne und präsentiert sich, durchaus überzeugend, als »Antichrist Superstar«. Frontman Mozart von Imago bastelt gelverstärkte Teufelshörnchen in sein Haupthaar und mimt schon einmal in Lack und Leder den S/M-Schinder.

Während Jung »das Unbewusste« erst einmal positiv besetzte, stand Sigmund Freud einer solchen Deutung skeptisch gegenüber. Frei von zivilisatorischer Unterdrückung begehe der Mensch »Taten von Grausamkeit, Tücke, Verrat und Roheit, deren Möglichkeit man mit (seinem) kulturellen Niveau für unvereinbar gehalten hätte«. Die Aktualität dieser Einschätzung bestätigt nicht nur der in Bochum verhandelte Mord aufs Anschaulichste.

Berichte von aktuellen Kriegsschauplätzen stehen der Schlachtorgie des durchgestylten Ehepaares in nichts nach. Demgegenüber erscheint die Berichterstattung über »Satans Jünger« (stern) reißerisch: Das »Treiben der Teufelsanbeter« soll »eine neue Dimension« erreicht haben, was gerne mit dem Herunterbeten okkulter Zeichen (durch die Berichterstatter) belegt wird. Immer gerne zitiert: die Zahl 666 als Symbol der Satanisten, entnommen der Offenbarung des Johannes.

In der wortgewaltigen Endzeitvision lässt ein gehörntes Tier - eine mittlerweile wahrscheinlich gentechnisch herstellbare Kreuzung aus Waran und Ziege - Feuer auf die Erde regnen und richtet auch sonst nur Unheil an. Johannes 14 schließt mit den Worten: »Wer Verstand hat, der überlege. Die Zahl des Tieres ist 666.« Was es mit dieser Zahl genau auf sich hat, erläutert Johannes leider nicht. Ein weiteres Zeichen, das in keiner Schilderung fehlt, ist das von den Rudas verwendete Pentagramm. Auch dieses hat seinen Ursprung in einem über Jahrhunderte tradierten Volksglauben.

Einer ähnlichen Symbolik bedient sich zwar auch die einschlägige Düster-Rock-Szene. Aus einem vergleichbaren Erscheinungsbild auf dieselbe Gemütslage wie bei den Peinigern zu schließen, ist dennoch abwegig. Vielmehr setzen sich aus okkulter Tradition stammende Gesten und populäre Mystifizierungen auch außerhalb der Gothic-Gemeinde im kulturellen Leben auf breiter Basis fort.

Da scheucht der Skandal-Modeschneider Walter von Beyrendonk seine Models notdürftig verhüllt mit einem von losen Fäden zusammengehaltenen Knochen-Kleidchen über den Laufsteg. Und die Richter des Bundesverfassungsgerichtes erscheinen noch immer in blutroter Robe vor den schussbereiten Kameras. Auch wenn dadurch aus den Obermufties noch lange keine Obergrufties werden, soll die Farbe auch heute noch, wie von alters her, Souvernität und weltliche Macht ausstrahlen.

Der unterschwellige Bezug zur Farbe der Körperflüssigkeit geht dabei keineswegs verloren, Blut ist immer noch rot. Der Begriff Rot wiederum leitet sich ab aus dem althochdeutschen »ruoth gleich Recht gleich Gesetz«. Vorstellungen von »der Macht des Blutes, der Blutseele, dem heiligen und dem edlen Blut« und allerlei anderem bedeutungsschwangeren Geschwurbel finden sich in Literatur, Film und Fernsehen.

Als Walerin Borowczyk 1973 die Schönheitsbäder der »Blutgräfin« Elisabeth Báthory verfilmte, verordnete er der nicht minder schönen Paloma Picasso ebenfalls ein Blutbad. Die 1560 geborene ungarische Gräfin Báthory ließ Hunderte ihrer Untergebenen mit bizarren Methoden hinrichten, um aus deren Blut einen Jungbrunnen zu gewinnen. Auch in Coppolas Dracula-Verfilmung ist die Dominanz rot ausgeleuchteter Szenerien unverkennbar. Johnathan Harkers rauschhaft gefilmte Verführung durch lüsternde Vampirellas goutierten Heerscharen von Kinogängern.

Demgegenüber erscheinen die melancholischen Inszenierungen aktueller Gothic-Rock-Gruppen wie Theatre of Tragedy oder Tiamat eher harmlos. Das Kokettieren mit »dem Bösen«, was immer das sein mag, ist dabei eher Pflichtprogramm. Wenn Manuela Ruda wieder einmal entsprechende Handzeichen in Richtung Medienöffentlichkeit richtet, ist daher Peter Steel, der Sänger der Gruft-Rock-Gruppe Type-O-Negative nicht weit. Der baumlange Melancholiker beginnt den Song »Christian Woman« mit den Worten: »Forgive her, for she knows not what she does.«