Regierung vs. Kokaleros

Ethische Prinzipien

Um die Kokalero-Bewegung zu schwächen, soll ihr parlamentarischer Vertreter Evo Morales vor Gericht gestellt werden.

Die Regierung hat einen schweren Fehler begangen«, meint Evo Morales. Sein Ausschluss aus dem Parlament sei illegal, erklärte der ehemalige Abgeordnete am Montag vergangener Woche der Tageszeitung Los Tiempos, und werde zu heftigen Reaktionen führen.

Morales, der die Partei Bewegung zum Sozialismus (MAS) im bolivianischen Parlament vertritt, wurden vor zwei Wochen mit großer Mehrheit das Mandat und die Immunität entzogen. Ihm wird vorgeworfen, die intellektuelle Verantwortung für die Morde an vier Polizisten zu tragen. Sie wurden einige Tage zuvor bei einer Militäraktion gegen die Kokaleros auf dem Kokamarkt in Sacaba getötet. Das Verfahren gegen Morales war von den Angehörigen der Polizisten angestrengt worden.

Auf der Liste der Anschuldigungen stehen außerdem die Aufwiegelung der Massen und die Verursachung hoher wirtschaftlicher Schäden während der Straßenblockaden und Proteste der letzten Monate. Zudem wird Morales beschuldigt, gegen die »ethischen Prinzipien« des Parlaments verstoßen zu haben. Ihm droht nun ein gerichtliches Verfahren. Morales, der die Anschuldigungen zurückweist, befindet sich seither im Hungerstreik und fordert die Freilassung seiner im Zusammenhang mit den Ermittlungen festgenommenen 50 Mitstreiter.

Die Legalität des Parlamentsausschlusses und der Festnahmen ist höchst zweifelhaft. Das Dokumentations- und Informationszentrum Bolivien (CEDIB) stellte fest, dass es keine Beweise für die Beteiligung an Straftaten gibt. Mit diesem »illegalen Akt« (Los Tiempos) wird die politische Dimension des Konfliktes zwischen der Oligarchie und den Kokaleros deutlich. Seine Strafverfolgung soll Morales politisch isolieren, doch könnte sie ihm auch zu noch größerer Popularität verhelfen.

»Ich bin stolz darauf, dass mich die korrupte politische Klasse ausschließt«, erklärte er BBC Mundo. Seit Jahren steht er an der Spitze der Kokalero-Organisation Seis Federaciones del Tropico de Cochabamba (Sechs Verbände der Tropen von Cochabamba). In den vergangenen zwei Jahren kam es regelmäßig zu heftigen Konfrontationen zwischen organisierten Kokaleros und dem Militär in der Region Chapare im Zentrum des Landes. Die Soldaten gingen mit gezielten Morden, paramilitärischen Aktionen, Folterungen und willkürlichen Festnahmen gegen die Bauernbewegung vor (Jungle World, 50/01).

Die Regierung des Präsidenten Jorge Quiroga, die unter starkem Druck der USA steht, will die nahezu vollständige Vernichtung der Kokaplantagen im Chapare erreichen. Die Bewohner, für die der Anbau und der Verkauf der Pflanze lebensnotwendig sind, kämpfen für 1 600 Quadratmeter legale Anbaufläche, und zwar für jede der 40 000 Familien in der Region.

Dass die Kokaleros mit Morales einen Vertreter im Parlament hatten, der ihren Forderungen und den Repressalien der Armee öffentliche Aufmerksamkeit verschaffte, empfand die Oligarchie schon länger als störend. Zudem kooperieren die Kokaleros mit anderen Bauernorganisationen, die unter anderem für eine gerechtere Verteilung des Landbesitzes kämpfen.

Allerdings gibt es in der Bauernbewegung Differenzen über den politischen Kurs. Felipe Quispe, der Repräsentant der Vereinigten Bauernorganisation Boliviens (CTSUB), sorgt mit seinem vor allem unter den Hochlandbauern populären ethnizistischen Programm ebenfalls für Angst und Schrecken bei der kreolischen Elite. Er fordert unter anderem die Selbstbestimmung der »Aymara-Nation« und proklamiert einen Sozialismus, der auf den Traditionen der Aymara-Dorfgemeinschaften (Ayllus) aufbauen soll. Nach den neoliberalen Reformen der Regierung, erklärte Quispe der linken lateinamerikanischen Internet-Zeitung Rebelion.org, hätten die Indigenas eine neue Aufgabe: »Jetzt, wo es keine Arbeiter mehr gibt, sind wir gezwungen, eine neue Rolle zu übernehmen. Wir müssen Protagonisten werden.«

Morales will den Widerstand gegen die Anti-Kokain-Maßnahmen der Regierung sowie gegen Neoliberalismus und Rassismus auf eine breitere Grundlage stellen. In einem Artikel in der spanischen Monatszeitung Resumen Latinoamericano beschrieb er den Zusammenhang von Rassismus und kolonialen Strukturen, die sich mit der Oligarchie erhalten hätten. Die rassistische Diskriminierung gehört für die meisten Bolivianer, ob Kokalero oder Aymara, zum Alltag.

Morales beruft sich ebenso wie Quispe auf die indigenen Traditionen, hebt allerdings deren Pluralität hervor. In seinem politischen Diskurs stehen Forderungen nach sozioökonomischer Sicherheit der Bauern und nicht ethnische Definitionen an vorderster Stelle: »Der Kampf (gegen Rassismus und Unterdrückung) betrifft nicht nur Einzelne. Und kein einzelnes Volk. Wir werden ihn alle führen.«

Der Chapare ist von Ketschuas, Aymaras und anderen Indigenagruppen besiedelt, die größtenteils nach den Massenentlassungen der großen Minengesellschaften in den achtziger Jahren ins tropische Tiefland emigriert sind, als dort der Kokaboom mit hohen Preisen und starker Nachfrage lockte. Morales errang im Chapare bei der Wahl 1997 mit 70 Prozent der Stimmen eines der 68 Direktmandate im Parlament.

Trotz ihrer Differenzen standen die Organisationen von Quispe und Morales bisher in Krisensituationen fest zusammen. Sie erwägen, zu den nationalen Wahlen im Juni im Bündnis zu kandidieren. Gegen einen möglichen Wahlerfolg der Bauernbewegungen richtet sich der Versuch, Morales zu kriminialisieren. Dass er Erfolg hat, darf bezweifelt werden. Das Parlament, dessen Mitglieder nicht selten selbst in Drogen- und Korruptionsaffären verstrickt sind, genießt kein sehr hohes Ansehen.

Mit der Mandatsenthebung Morales' ist das Parlament in den Augen vieler zu weit gegangen. Da selbst aus bürgerlichen Kreisen Kritik an der einseitigen Anwendung »ethischer Prinzipien« laut wurde, sah sich das Parlament in der letzten Woche gezwungen, auf dem gleichen Weg wie Morales den Abgeordneten Luis Alberto Valle von der rechten Regierungspartei Nationaldemokratische Aktion (ADN) auszuschließen. Ihm wird Korruption vorgeworfen. Entscheidungen über 15 weitere verdächtige Abgeordnete stehen noch aus.

So scheint sich zu bewahrheiten, was der bolivianische Autor Osvaldo Peredo Leigue prophezeite: »Der Ausschluss schließt die Ausschließenden aus.«