Zwei Neuerscheinungen über Carl Schmitt

Der Durchschnittsdeutsche

Im Zentrum von Carl Schmitts politischer Theorie steht der Antisemitismus. Zwei Bücher wenden sich gegen die Behauptung, Schmitt habe nur aus Opportunismus mit den Nazis kooperiert.

Von einer Carl-Schmitt-Renaissance zu sprechen, grenzt angesichts des seit Jahrzehnten anhaltenden, überwiegend apologetisch motivierten Interesses an Carl Schmitt beinahe selbst an eine Apologie. Gleichwohl lässt sich in den vergangenen Jahren noch einmal eine deutliche Steigerung der wissenschaftlichen und publizistischen Beschäftigung mit dem Staatsrechtler feststellen. Offensichtlich hat die politische Entwicklung das Bedürfnis verstärkt, Schmitts historische Rolle in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus nachträglich zu legitimieren, um so seine Ideen für das heutige Deutschland nutzbar zu machen.

Nur einige wenige Publikationen der jüngsten Zeit scheren aus diesem Konsens aus - und ziehen aus diesem Grund die unversöhnliche Kritik alter und neuer Schmittisten auf sich. Ganz besonders wütende Reaktionen haben die Studien von Raphael Gross, »Carl Schmitt und die Juden«, und von Dirk Blasius, »Carl Schmitt. Preußischer Staatsrat in Hitlers Reich«, ausgelöst. Beide wenden sich gegen die in der Forschung dominante Behauptung, Schmitts Liaison mit dem Nationalsozialismus sei, so sie überhaupt stattgefunden habe, durch seinen Opportunismus begründet gewesen.

Sie wenden sich darüber hinaus aber auch gegen die gerade in der jüngsten Zeit wiederholt vorgebrachte These, Schmitt habe in den letzten Jahren der Weimarer Republik das Ziel verfolgt, den Nationalsozialismus von der Macht fern zu halten, und sei auch danach eigentlich ein Widerstandskämpfer gewesen. Beide Sichtweisen basieren vor allem auf Mythen, die Schmitt selbst in die Welt gesetzt hat. Sie erhalten aber eine besondere Bedeutung vor dem Hintergrund der Versuche, eine positive deutsche Nationalgeschichte zu konstruieren, aus der der Nationalsozialismus externalisiert werden muss.

Gross, der sich mit Schmitts Antisemitismus beschäftigt, zeigt, dass dieser keineswegs eine unbedeutende Randerscheinung war, sondern der Kern seiner politischen Theorie. Er analysiert dafür nicht nur die Aktivitäten Schmitts während des Nationalsozialismus, seine Rolle als maßgeblicher Rechtstheoretiker während der ersten Jahre des Regimes und seine Mitwirkung an der nationalsozialistischen Rassenpolitik. Er belegt außerdem anhand der Nachkriegsschriften Schmitts, dass seine antisemitischen Überzeugungen nicht bloß Reflexe auf die ideologischen Anforderungen des Regimes waren. Und Gross zeigt schließlich - dies ist das wesentliche Argument für seine These -, dass Schmitts Antisemitismus schon lange vor 1933 voll ausgeprägt war und seine Ursprünge in den geistesgeschichtlichen Traditionen hat, aus denen auch seine politische Theorie schöpft.

Gross kann drei wesentliche Quellen für Schmitts Antisemitismus nachweisen. Alle drei finden sich im Kontext von dessen »politischer Theologie«: Sein Katholizismus, der oftmals als Argument für seine angebliche Distanz zum Nationalsozialismus angeführt wird, erweist sich unter diesem Blickwinkel als die entscheidende Verbindung dorthin. Schmitt schöpft seinen eigenen Antisemitismus erstens aus der Tradition der katholischen Gegenaufklärung um Donoso Cortés und Joseph de Maistre und dem daran anknüpfenden »katholischen Atheismus« von Charles Maurras und der Action Française.

Die zweite Quelle ist der »protestantische Atheismus« der rechten Junghegelianer und insbesondere von Bruno Bauer. Als dritte Referenz nennt Gross den aus Schmitts Sicht zeitgenössischen deutschen Antisemitismus, der sich in erster Linie gegen die assimilierten Juden richtete, in ihnen die Agenten der Aufklärung und damit die Urheber aller Bedrohungen der Moderne sah.

Gross kann so in Schmitts Werk wesentliche Elemente des Antisemitismus und seiner besonders mörderischen deutschen Variante ausmachen. Die politische Theologie Schmitts, so Gross, stellt »das wichtigste Verbindungsglied zwischen den traditionellen antijudaistischen Judenverfolgungen (...) und dem modernen Antisemitismus« dar. Durch sie werden die Muster der religiösen Judenfeindschaft in den Kontext der bürgerlichen Gesellschaft übersetzt und dadurch nutzbar gemacht. Darin liegt ein wesentlicher Unterschied zur rassistischen Ideologie, die nicht als säkularisierte Theologie begriffen werden kann.

Ein weiterer Unterschied wird deutlich, wenn man mit Gross den Antisemitismus im Kontext von Schmitts Begriff des Politischen liest. Die rassistische Qualität der Unterscheidung zwischen Freund und Feind, für Schmitt die Substanz des Politischen, liegt in der ontologischen Aufladung der Kategorien, indem der Feind auch als der »Fremde« und »Andere« begriffen wird. Ihr antisemitischer Gehalt liegt hingegen darin, dass die Juden die Unterscheidung unterlaufen, indem sie sich assimilieren und damit das Politische insgesamt bedrohen. Die Juden sind für Schmitt nicht der politische Feind, sondern der Feind des Politischen.

Der von Gross konstatierte Antisemitismus zieht sich durch das gesamte Werk Carl Schmitts. Dass er sich nach 1933 intensiv um die Vertreibung jüdischer Juristen aus ihren akademischen Ämtern bemüht hat, ist daher mit Neid und Missgunst nicht mehr zu erklären. Genauso wie seine Mitwirkung an der Konzeption einer nationalsozialistischen Rechtslehre ist dies vielmehr als bewusster Beitrag für den Aufbau eines Systems zu begreifen, das Schmitt aus innerster Überzeugung unterstützt hat.

Diesen Befund bestätigt, aus einer politikgeschichtlichen Perspektive, auch das Buch von Dirk Blasius. Als preußischer Staatsrat habe Schmitt nach 1933 maßgeblich an der »Versäulung« des Nationalsozialismus mitgewirkt, indem er die ideologischen Traditionen und die staatsrechtlichen Institutionen Preußens dem Nationalsozialismus kompatibel machte. In diesem Sinne sind dann auch, wie Blasius feststellt, Schmitts Aktivitäten vor dem 30. Januar 1933 zu interpretieren. Sowohl die von Schmitt juristisch begleitete Absetzung der preußischen Regierung durch Papen im Juli 1932, als auch die von ihm mitkonzipierten Staatsnotstandspläne müssen als bewusste Annäherung an den Nationalsozialismus verstanden werden.

Für die derzeitige geschichtswissenschaftliche Debatte ist diese These deshalb von so großer Brisanz, weil sie es verbietet, die historische Genealogie des Nationalsozialismus zum Verschwinden zu bringen und ihn der deutschen Geschichte als rein äußerliches Phänomen gegenüberzustellen. Wenn Blasius jedoch von einem »Wahneinfall rassistischen Denkens in ein von der abendländischen Kulturtradition geformtes Recht« spricht, scheint er sich dieser Konsequenz seiner Untersuchung weit weniger bewusst zu sein als seine Kritiker.

Auch Gross kommt in seiner Untersuchung zu Ergebnissen, die die von ihm stillschweigend unterstellte Antinomie von Aufklärung und Moderne einerseits sowie Antisemitismus andererseits als nicht haltbar erscheinen lässt. Manifestierte sich in Schmitts politischer Theorie nur ein Aufbäumen voraufklärerischen Denkens gegen die Zumutungen der Moderne, so blieben die Versuche, Carl Schmitt auch außerhalb der Jungen Freiheit und insbesondere im wissenschaftlichen Diskurs salonfähig zu halten, unerklärt.

Der von Gross selbst gebrauchte Begriff der »politischen Theologie« gibt hier den entscheidenden Hinweis. Denn dahinter verbirgt sich nicht nur eine »politische Instrumentalisierung der Theologie«. Vielmehr ist sie ein Symptom dafür, dass sich die Moderne an einem bestimmten Punkt gegen ihre eigenen fortschrittlichen Inhalte wendet und dafür auf vormoderne, antiaufklärerische Mittel zurückgreifen muss. Die politische Theologie Schmitts ist also ein Symptom der Dialektik der Aufklärung, und sein Antisemitismus ist damit symptomatisch für den Antisemitismus der bürgerlichen Gesellschaft angesichts ihres Zerfalls.

In Deutschland wurde diese Selbstzerstörung der Aufklärung bekanntlich bis zu ihrem Ende, bis zur nationalsozialistischen Barbarei getrieben. Die Erkenntnis dieser Tatsache steht dem Bemühen entgegen, den Nationalsozialismus aus der deutschen Geschichte zu entsorgen. Für diesen Umgang mit der Geschichte ist Schmitts Auseinandersetzung mit seiner eigenen nationalsozialistischen Vergangenheit nach 1945 symptomatisch. Ohne auch nur im Geringsten von seinen antisemitischen Überzeugungen abzurücken, verortete er die Verantwortung für seine und die Verbrechen der übrigen Deutschen in der allgemeinen Verfallsgeschichte der Welt - und damit bei den Juden. Mit diesem sekundären Antisemitismus schließt sich der argumentative Kreis. Carl Schmitt war, und das macht ihn hierzulande so beliebt, als Theoretiker und als Mensch ein Durchschnittsdeutscher.

Raphael Gross: Carl Schmitt und die Juden. Eine deutsche Rechtslehre. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M. 2000, 442 Seiten, 27,80 Euro

Dirk Blasius: Carl Schmitt. Preußischer Staatsrat in Hitlers Reich. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2001. 250 Seiten, 29,90 Euro