58 US-amerikanische Akademiker verteidigen den »gerechten Krieg«

Amerikanische Wertarbeit

58 Akademiker riefen mit einem »Letter from America« zum »gerechten Krieg«.

Da sieht man es mal wieder: Die Amis sind einfach bescheuert. So lautete hierzulande manche Reaktion auf den pathetischen Aufruf »Wofür wir kämpfen«, den 58 US-amerikanische Akademiker am 12. Februar veröffentlichten. Um amerikanische und universelle »Werte« ging es da, um Gott und die Welt und um die Doktrin vom »gerechten Krieg«. Das Fazit der Autoren: »Wir unterstützen die Entscheidung unserer Regierung (und unserer Gesellschaft), Waffengewalt einzusetzen« gegen den »radikalen Islamismus« und seine »organisierten Killer mit globaler Reichweite«.

In den USA selbst stieß dieses »What we're fighting for« auf wenig Interesse. Obwohl die Organisatorin des Aufrufs, ein so genanntes Institute for American Values (www.americanvalues.org), in New York City ansässig ist, berichtete die New York Times mit keinem Wort über die Veröffentlichung. Die Washington Post platzierte einen kurzen Artikel auf Seite 16. Ganz anders das deutsche Feuilleton, das den Text einerseits als »spektakuläres Dokument des Engagements« (Süddeutsche Zeitung) bejubelte, andererseits den Inhalt einhellig verriss. Der Berliner Tagesspiegel und die Frankfurter Rundschau druckten ausführliche Auszüge und weitere Artikel. In der taz kritisierte Robert Misik den Text als »pathetische Bekundung eines Schulterschlusses«, die SZ machte klar, warum die Idee des »gerechten Krieges« nicht mehr zeitgemäß ist, und die FAZ erledigte das Ganze mit einem Adjektiv, das ihre Leser sicher verstanden haben: »alttestamentarisch«.

Vom historischen Volk Israel und dessen Auszug aus Ägypten ist in dem Aufruf allerdings ebenso wenig die Rede wie vom Krieg in Afghanistan oder vom möglichen Krieg gegen den Irak. Die sechs eng bedruckten Seiten (plus, wie es sich für Akademiker gehört, fünf Seiten Fußnoten) konzentrieren sich auf die »Gründerväter unserer Nation«, auf Abraham Lincoln und Martin Luther King Jr. sowie auf das, was die Autoren für »amerikanische Werte« halten: universelle Menschenrechte, die »Suche nach dem Sinn des Lebens« und »religiöse Freiheit«.

Schließlich werden die Kriterien vorgetragen, nach denen ein Krieg als »gerecht« anzusehen sei, samt einem Rückgriff auf Sokrates und Sankt Augustin. Es muss dem Schutz »unschuldiger Menschen, die sich nicht verteidigen können«, dienen, gewisse Regeln der Kriegführung müssen beachtet werden (konkrete Dokumente wie die Genfer Konvention werden nicht erwähnt), und alle anderen Mittel (Verhandlungen etc.) müssen erfolglos geblieben sein. Unter diesen Umständen seien auch solche »militärischen Aktionen moralisch gerechtfertigt, die zum unbeabsichtigten, aber doch vorhersehbaren Tod von einigen Zivilisten führen können«.

Ob diese Kriterien im Anti-Terror-Krieg erfüllt sind, wird in dem Text nicht ausgeführt. Zwar wird der 11. September, an dem mehr als 3 000 »unserer Bürger« getötet wurden, ebenso genannt wie das Netzwerk al-Qaida und der radikale Islamismus als »clear and present danger« - eine stehende Redewendung aus den Anfangszeiten des Kalten Krieges gegen die Sowjetunion. Aber die Begriffe »Afghanistan« oder »Taliban« kommen ebenso wenig vor wie eine Erörterung, ob der Tod der bisherigen zivilen Opfer »moralisch gerechtfertigt« sei, eine merkwürdige Gleichgültigkeit für einen Aufruf, der vor allem die Ethik in die Politik einführen will.

Denn Krieg, davon sind die Autoren überzeugt, ist keine Frage von »Eigeninteresse und Notwendigkeit«, sondern eine Frage der »moralischen Analyse«: »Es gibt Zeiten, in denen es nicht nur moralisch erlaubt ist, Krieg zu führen, sondern moralisch notwendig, als eine Antwort auf katastrophale Akte von Gewalt, Hass und Ungerechtigkeit. Dies ist eine solche Zeit. (...) Wir kämpfen, um uns selbst zu verteidigen, aber wir glauben auch, dass wir die universalen Menschenrechte verteidigen.« Also nicht nur ein Recht, sondern gar eine moralische Pflicht zum Krieg.

Unter den 58 »führenden amerikanischen Intellektuellen« (taz), die diesen Text unterzeichneten, finden sich nur wenige Namen, die einer breiteren Öffentlichkeit bekannt sein dürften: Francis Fukuyama (»The End of History«) oder Samuel Huntington (»The Clash of Civilizations«) etwa. Dazu kommen obskure Figuren der religiösen Rechten (zum Beispiel eine Enola Aird von einem Motherhood Project oder ein Robert Royal von einem Faith and Reason Institute) sowie einige Rechtsaußen wie Michael Novak (»The Rise of the Unmeltable Ethnics«). Das Ganze ist freilich kein Beispiel für »unorthodoxe Koalitionsbildung« (taz), sondern wird durch den kommunitaristischen Kitt zusammengehalten, den etwa Amitai Etzioni oder Michael Walzer liefern.

Mit seiner moralinsauren Rede von »Grundwerten«, von »Rechten und Pflichten« und von der »Stärkung der Gemeinschaft« hat der Kommunitarismus im vergangenen Jahrzehnt den Clintons, Blairs und Schröders die Stichwörter für ihre Neue Mitte geliefert. Wer Sozialhilfe beziehen will, muss dafür arbeiten. Für die Notleidenden ist nicht der Staat, sondern die »Zivilgesellschaft« mit ihrem bürgerschaftlichen Engagement zuständig. Die Gesellschaft geht zugrunde, nicht etwa weil die soziale Ungleichheit rapide zunimmt, sondern weil ihre Keimzellen zerfallen: Familien, Kirchengemeinden, Kegelclubs. So steht es in »Bowling Alone«, dem kommunitaristischen Standardwerk von Robert Putnam, der ebenfalls den aktuellen Kriegsaufruf unterzeichnet hat.

Und weil in den puritanischen USA soziale und kulturelle Konflikte meist auch sexuell aufgeladen werden, geht es den Kommunitaristen vor allem um die Institution der Ehe. Nur zwei Tage nach »Wofür wir kämpfen« (und »just in time for Valentine's Day«) präsentierte das Institute for American Values einen weiteren Text: »Warum die Ehe wichtig ist«. Der Anteil derjenigen Kinder, die nicht mit ihren beiden biologischen Eltern zusammen leben, habe sich seit 1960 mehr als verdoppelt (von 19 auf 42 Prozent aller Kinder), wird da geklagt. Kein Wunder, dass Armut, Krankheit und Kriminalität zunehmen. Deswegen solle man das Scheidungsrecht wieder einschränken. Solche Manifeste des Institutes hat vor gut drei Jahren übrigens auch der afroamerikanische Harvard-Professor Cornel West (Jungle World, 7/02) unterschrieben.

West war damals der Alibi-Liberale in einer langen Reihe von Unterzeichnern. Die meisten sind auch beim aktuellen Kriegsaufruf dabei. Den Liberalen spielt diesmal nicht West, sondern der Philosoph Michael Walzer, dessen Kriegslüsternheit allerdings nicht überraschend kommt. Schon während des Kosovo-Krieges von 1999 hatte er eine Invasion von US-Bodentruppen gefordert - selbstverständlich nicht aus strategischen oder taktischen Gründen, sondern aus moralischen: »Wir sind offensichtlich bereit, serbische Soldaten zu töten; wir sind bereit 'Kollateralschäden' bei serbischen und kosovarischen Zivilisten in Kauf zu nehmen. Aber wir sind nicht bereit, amerikanische Soldaten in die Schlacht zu schicken. Dies ist eine moralisch unhaltbare Position. Man darf nicht töten, wenn man nicht bereit ist zu sterben.« Zu dumm, dass Walzer selbst zu alt ist für den Militärdienst.

Die vier Hauptautoren des aktuellen Appells hätten lange darüber diskutiert, ob sie ihren Text als »Letter from America« oder als »Letter to America« bezeichnen sollten, berichtet die Washington Post. Sie wählten das »from« und damit den Anspruch, »für Amerika als Ganzes zu sprechen« (Washington Post), anstatt einen Diskussionsbeitrag »an« die amerikanische Öffentlichkeit zu richten. Die Debatte soll beendet sein, bevor sie überhaupt angefangen hat.

Diesem Gestus sind auch viele Kritiker im deutschen Feuilleton auf den Leim gegangen. Sie nehmen den Aufruf der 58 als weiteren Beleg dafür, wie geschlossen die amerikanische Öffentlichkeit hinter der Kriegführung der Bush-Administration steht. Doch genauso gut kann das Gegenteil der Fall sein: Die Heimatfront beginnt zu bröckeln, weil im Kampf gegen die »Achse des Bösen« und beim sich abzeichnenden Angriff auf den Irak das Argument der »Selbstverteidigung« immer weniger zählt. Deswegen ziehen die 58 ihre »moralische« Karte. Über Interessen könnte man ja noch kontrovers diskutieren, bei der Moral hört der Spaß aber auf.

Wenn al-Qaida zerschlagen ist, dann können sich die »führenden Intellektuellen« wieder auf ihre eigentlichen Anliegen konzentrieren. In »What we're fighting for« werden diese Probleme noch verschämt als »Selbstkritik« bezeichnet: »Konsum als Lebenseinstellung. Die Idee des selbstbestimmten und souveränen Individuums. Die Schwächung der Ehe und des Familienlebens.« Dabei sind es gerade diese American Values, die die US-Gesellschaft für viele so attraktiv machen.