Zwei Ausstellungen zum Werk von Ed Ruscha

Hollywood am Horizont, Royal auf dem Straßenbelag

Auf seinen Schriftbildern dringt die Sprache der Werbetafeln in die Kunst ein. Zwei Ausstellungen in Wolfsburg stellen das Werk Ed Ruschas vor.

Sonntag, 21. August 1966, 17.07 Uhr. Perfektes Wetter. Eine Schreibmaschine der Marke Royal wird bei 90 Meilen pro Stunde aus einem 63er Buick Le Sabre auf den Highway 91 nahe Las Vegas geworfen. Anschließend Vermessung und fotografische Sicherung der in der Wüste verstreuten Trümmer. Fahrer: Ed Ruscha. Der Bericht wird von Ruscha 1967 veröffentlicht, eine 66 Seiten starke, in gelbem Karton geheftete Kladde mit der Aufschrift »Royal Road Test«. Sie enthält nichts weiter als die Beweisfotos mit diversen knappen Bildunterschriften. So zeugt das Buch von der rauen Dramaturgie der Kollision von poetischer Rationalität und dem Straßenbelag.

Die Straße hat ihre eigenen Gesetze, ein bekanntes Theorem, hier noch einmal als Erfahrungssatz formuliert. Berühmt in diesem Zusammenhang wurde Ruschas erste Buchveröffentlichung »Twentysix Gasoline Stations« von 1963. Das Buch zeigt 26 Tankstellen entlang der vielbesungenen Route 66 zwischen Los Angeles und Oklahoma City, von wo aus Ruscha 1956 an die Westküste aufgebrochen war. Ein poetisches Kalkül, wie selbst noch in den Fotografien des Dokumentaristen Walker Evans, dessen Arbeiten sich Ruscha - trotz erheblicher Unterschiede im Resultat - verbunden fühlte, ist den Aufnahmen des Buches ziemlich fremd.

Die Fotografien nehmen sich in ihrer Kunstlosigkeit vielmehr so aus, als hätten die Objekte sie in ihre Gewalt gebracht. Aus dieser Dynamik formt sich die Linie des Highways zu einer abstrakten Skala, auf der die an den Tankstellen prangenden und von Unausweichlichkeit und unendlicher Bewegung kündenden Markenlogos die Eichstriche setzen: Fina, Standard, Mobil. Schon durch ihre von der geografischen Abfolge abweichende Sequenz scheinen die Abbildungen der Tankstellen Stationen eines komplexeren Geschehens zu belegen, als es die einfache Fahrt zwischen zwei linear verknüpften Orten vorsieht. Es sah so aus, als sei der nur widerwillig als Maler gestartete Ruscha als Konzeptualist angekommen.

Gegenüber der Malerei fand der ursprünglich mehr der angewandten Kunst zugeneigte Ruscha eine klare Haltung: »Ich wollte Bilder machen, aber ich wollte nicht malen.« Diese von vielen seiner Generation geteilte Ablehnung bestimmte die Machart auch seiner frühen, malerischen Arbeiten, nachdem Ruscha, der parallel zu seiner Ausbildung als Schriftsetzer und Grafikdesigner tätig war, Pläne zu einer Karriere als Grafiker oder Trickfilmzeichner aufgegeben hatte.

Auch in der freien Kunst hielt Ruscha an den Techniken der Gebrauchskunst fest und orientierte sich an Reproduktionserfordernissen, statt sich von expressiver Spontaneität leiten zu lassen. Wie dem Maler das Malen erschloss sich Ruscha der Reproduktionsprozess als das Feld künstlerischer Praxis. Das Ideal der Geplantheit des Kunstobjekts, das er formulierte, fiel mit dem grafischen Kalkül öffentlicher Verteilung zusammen. In den Buchpublikationen kam diese neue, projektive Ausrichtung auf eine Weise zur Realisierung, die schnell den Beifall der aufkommenden Concept Art fand und die eher soziologisch expliziten Arbeiten von Dan Graham oder Hans Haacke befruchtete. Das Projekt als Subjekt der Kunst - bestätigte sich hier vorwegnehmend der Satz Sol LeWitts: »Die Idee wird zur Maschine, die die Kunst macht«?

Bei der, wenn man so sagen darf, förmlich typografisch demonstrierten Tankstelle des Motivs »Standard Station«, das Ruscha aus seinem Gas-Stations-Buch abzog und immer wieder variierte, folgt dem Schriftzug »Standard« eine Perspektivlinie, welche die Bildfläche zugleich als Diagonale in zwei Hälften zerschneidet. Das Bild entsteht aus der Schrift. Das einen Normwert bezeichnende »Standard« wirkt in der Einheit von reiner Oberfläche der Schriftzeichnung und unendlicher Perspektive der Reproduktion als Auslöscher. Rechtwinklig zur Strecke projizieren die Markenzeichen Fluchtlinien einer zweiten und bewegungslosen Wüstenlandschaft über die natürliche, einen Raum, der ohne Maßstab ist, weil er selber als Maßstab dient. Feuer, das wie in dem 1965 nach dem Aufstand von Watts begonnenen »The Los Angeles County Museum on Fire« durch diese Region schießt, sieht aus wie Strohfeuer. Es scheint keine andere Funktion zu haben als die, das expressive Nullpotenzial des Darstellungsraums noch zu betonen.

Sprache im Zustand ihrer öffentlichen Verstreuung, ausdrucks- und beziehungslos auf Schrifttafeln und Werbeflächen am Straßenrand die Urbanisierung der Landschaft kennzeichnend, dringt in die Kunst ein. Artikulationen von industriell verzeichneten Landschaften mit apathischer Wahrnehmung werden möglich. Kommt der Kunst der Affekt abhanden, gewinnt ihn die Landschaft (oder was davon übrig ist) in der Kunst. Die Schriftbilder Ruschas - Textfetzen auf oder vor verschiedenen, teilweise mit natürlichen oder industriellen Gebrauchsflüssigkeiten pigmentierten Farbflächen - haben Anteil an einer ganzen Grammatik von Beziehungen zwischen entkörperlichter Sprache und affektiver Landschaft.

Andererseits gibt es Schriftsetzungen, die einen geografisch genau bestimmten, um nicht zu sagen einen überdeterminierten Ort besitzen, wie etwa das berühmte, kulissenhafte Hollywood-Zeichen in den Hängen über L. A., dessen Typografie Ruscha eine Zeit lang in seinen Testbildern einsetzte. Damit erstrecken sich seine affektiven Landschaften zwischen den von »Standard« und »Hollywood« bezeichneten Horizonten historischer Ökonomie: Anonymisierung und Mythisierung. Bereits in den ersten Büchern ließen die auch als Filmstills deutbaren Fotografien die Frage offen: Welche Geschichte wird hier erzählt? Und mehr noch: Wie kann das durch die Geschichte Ausgelöschte wieder zum Sprechen gebracht werden? Ruscha knüpft an der Differenz an, die die grafischen Überreste des urbanen Terrains in das öffentliche Geschehen hineinbringen. Indem die Kunst eine Differenz zwischen funktionalem Wert und affektiver Eigendynamik der von ihr wahrgenommenen Elemente im städtischen Feld aufzeigt, ermöglicht sie ein neues, kritisches Maß des Feldes. Hat man es hier also mit einer Art Pop-Dekonstruktivismus zu tun?

Zu den jüngsten Arbeiten zählen die Ende der neunziger Jahre entstandenen Metro Plots. Diese Flächen entstehen aus Acryl, das wie kalte Asche an die Leinwand gesprengt ist. Daraus bilden sich die Namenszüge der großen Boulevards und Freeways, an denen sich Los Angeles herauskristallisiert. HOLLYWOOD, SUNSET, SANTA MONICA, VINE. Sie ziehen, in den schematischen Kreuzungsverhältnissen dargestellt, schnurgerade ihre strengen Bahnen durch eine synthetische Entropie.

Die Beantwortung der Frage, um welche Art von Dada-Archaeopteryx zwischen Pop und Concept es sich bei Ed Ruscha handelt, soll Sache des Kunsthandels sein. Betonen doch auch die Kuratoren der großen, seit Ende 2000 durch die USA und Großbritannien ziehenden Werkschau die inspirative Kraft der Kommerzialisierung. Im Kunstmuseum Wolfsburg hat die Ausstellung zur Zeit ihre einzige kontinentaleuropäische Station.

Während das Kunstmuseum dem Besucher die Gelegenheit bietet, in einer vielleicht allzu repräsentativen Auswahl die Wirkung der Arbeiten Ruschas aus nächster Nähe zu erfahren, bringt der Kunstverein in einer parallelen Ausstellung seine auf Los Angeles bezogenen Arbeiten zudem mit den leuchtenden, fast pointillistischen Aquarellen Silke Otto-Knapps zusammen, die nach Fotografien der kalifornischen Großstadt gebildet sind. Undurchdringlich, trotz ihrer Lichte, auch sie, erhalten Ruschas Metro Plots dagegen eine Undurchdringlichkeit, wie Brecht sie Dadaismus und Surrealismus zuschrieb: »Der Dadaismus und der Surrealismus benutzen Verfremdungseffekte extremster Art. Ihre Gegenstände kehren aus der Verfremdung nicht wieder zurück.«

Ed Ruscha. Kunstmuseum Wolfsburg.
Imagining L. A. - Ed Ruscha & Silke Otto-Knapp. Kunstverein Wolfsburg.
Beide: 2. Februar bis 28. April 2002.

Katalog: Neal Benezra / Kerry Brougher (Hg.): Ed Ruscha. Scalo-Verlag, Zürich 2002, 192 S., 39 Euro