Proteste gegen den italienischen Ministerpräsidenten Berlusconi

Kleine Hände greifen an

Der Protest gegen den italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi hat mit linker Kritik nicht viel zu tun.

In 13 italienischen Städten konnte man am vorletzten Sonntag wieder einmal den zivilgesellschaftlichen Ringelpiez mit Händchenanfassen beobachten. Zum Repertoire der frisch gekürten Bewegung gegen den italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi gehören inzwischen Demonstrationsformen wie die Einkreisung der Niederlassung der staatlichen Fernseh- und Rundfunkanstalt Rai in Rom. Beim ersten so genannten Girotondo Mitte Februar tanzten fröhliche Demonstranten um den römischen Justizpalast. Mit der Aktion sollte der Widerstand italienischer Richter gegen eine geplante Justizreform und die durch verschiedene Initiativen der Regierung Berlusconis gefährdete Autonomie der Justiz gestärkt werden.

Neben dem Schriftsteller Antonio Tabucchi, dem Komödianten und Nobelpreisträger Dario Fo und dem Philosophen Paolo Flores d' Arcais ist auch der Regisseur Nanni Moretti einer der namhaften Unterstützer und Initiatoren dieser neuen Bürgerbewegung. Sie ist in den vergangenen Wochen als Reaktion auf die Unfähigkeit oder den Unwillen der zwölf liberalen und linken Oppositionsparteien Italiens, Silvio Berlusconis Durchmarsch zu verhindern, entstanden. Dessen Mitte-RechtsRegierung ist seit ihrem Wahlsieg bestrebt, das Werk ihrer Vorgänger fortzusetzen, die auf dem Klassenkompromiss beruhende italienische Nachkriegsordnung mit verschiedenen Gesetzesvorhaben zur Renten- und Steuerpolitik und mit einer flexiblen Anpassung des Arbeitsrechts unwiderruflich zu zerstören.

Ende Januar ist die zivile Oppositionsbewegung gegen Berlusconis Führungsstil erstmals an die Öffentlichkeit getreten; insgesamt rund 12 000 Menschen nahmen an einer Veranstaltung vor der Florentiner Universität teil. Das Event wurde von diversen mittelständischen Zirkeln organisiert, deren Mitglieder überwiegend Lehrer, Künstler oder Professoren sind und die sich selbst mitunter als »Citoyens« titulieren.

Aufgerüttelt wurden die Do-It-Yourself-Politiker unter anderem von der Rede des Mailänder Generalstaatsanwalts Saverio Borelli bei der Einführungszeremonie zum neuen Justizjahr. Borelli hatte sich in seiner Ansprache direkt gegen die Einmischungsversuche von Berlusconis Justizminister in ein laufendes Verfahren gewandt und die befürchtete Demontage der Gewaltenteilung harsch kritisiert. Er schloss mit den Worten: »Resistere, resistere, resistere« (widerstehen).

Eine zweite Großveranstaltung zum Jubiläum der ersten Justizaktion der so genannten Mani Pulite (Saubere Hände), die vor zehn Jahren in Mailand mit der Verhaftung eines korrupten Kommunalpolitikers erfolgte, brachte schon 40 000 Leute auf die Beine und vor dem Mailänder Kongresszelt Palavobis in Stimmung. Dario Fo bot dort den begeisterten Zuhörern ein groteskes Porträt Berlusconis, der im Ausland kein Fettnäpfchen auslasse und im Inland selbstherrlich schalte und walte. Etwa indem er ein Gesetz verabschieden lässt, das Bilanzfälschung nicht mehr als Delikt erfasst. Dass Berlusconi ein etwas zu klein geratener Irrer ist, der gerne im Mittelpunkt steht, nach Roberto Benignis Dafürhalten selbst bei seiner eigenen Beerdigung, hatte man allerdings schon vorher gehört.

Es ist auffällig, wie stark sich diese neue Bürgerbewegung auf die Person Berlusconi kapriziert, die wahlweise dämonisiert oder eben als Gnom lächerlich gemacht wird. Nanni Moretti, der mit seiner auf der Piazza Navona vor drei Wochen öffentlich geäußerten Kritik an der Laschheit der politischen Führer des Ulivo einen wesentlichen Anstoß zur Mobilisierung der Internetopposition gegeben hatte, meinte gar, mit den solidarischen Ringeltänzen um Justizpaläste und Fernsehanstalten würde es gelingen, Berlusconis Bündnispartner Gianfranco Fini von der Alleanza Nazionale sowie die katholischen Parteivorsitzenden Pierfernando Casini vom christlich-demokratischen Zentrum und Rocco Buttiglione von der Fraktion der Europäischen Volkspartei dazu zu bewegen, ihre unterwürfige Haltung gegenüber Berlusconi aufzugeben.

Um dann was zu tun, ist man da zu fragen geneigt: Berlusconis Liberalisierung zu bremsen und dafür die Abtreibung wieder zu verbieten? Und trägt nicht der restriktive Gesetzentwurf zur Zuwanderung sogar die Namen des Vorsitzenden der Lega Nord, Umberto Bossi, und des Faschisten Gianfranco Fini?

Die neuen Bewegungen sind fast ausschließlich an Fragen des Pluralismus und der gefährdeten Informationsfreiheit, weniger an sozialen Fragen wie der Bewegungsfreiheit von Migranten oder dem Kündigungsschutz von Arbeitern interessiert. Der Philosoph Gianni Vattimo wagte einen ungeheuerlichen Vergleich, als er die von Berlusconi erwogene Reform des Staatssenders Rai mit Auschwitz verglich. Dario Fo sieht bekanntlich einen »neuen Faschismus«, und Antonio Tabucchi blickt in einen »Abgrund des Totalitarismus«.

Aus der Pariser Exilantenszene, die aus der ehemaligen Autonomia hervorgegangen ist, kamen dagegen scharfe Einwände gegen die verbalen und politischen Entgleisungen der Demokratiewächter und Justizialisten. Der Aufruf der linksradikalen Aktivisten, die noch heute wegen ihrer Beteiligung an den sozialen Protesten der siebziger Jahre von der italienischen Justiz verfolgt werden, wurde unter anderem von der Basiskonföderation Cobas, dem Netzwerk für soziale Rechte, dem Verlag Odradek und dem Londoner Zirkel »Karl Marx« der Rifondazione Comunista unterzeichnet. Er ist überschrieben mit den Worten »Gegen den Alptraum einer Welt in den Fängen von Staatsanwälten« und wurde bei einer Solidaritätsveranstaltung mit den von Berlusconis »Regime« gebeutelten italienischen Strafverfolgern in Paris verteilt.

Die Unterzeichner, darunter auch der hierzulande bekannte ehemalige Autonome Oreste Scalzone (Jungle World, 32/01) und der Schriftsteller Erri De Luca, schreiben darin: »Wir glauben nicht wirklich daran, dass Italien ein der unaufhaltsamen Teleabhängigkeit preisgegebenes Land wäre, Opfer einer 'heimlichen Verführung' durch eine Bildschirmdiktatur, die den Leuten das Bewusstsein geraubt hat. Bestimmt ist Berlusconi ein mächtiger Fernsehmagnat, der (...) Regierungschef geworden ist, obwohl er den 'Interessenkonflikt' nicht gelöst hat. Trotzdem haben der Besitz seines mächtigen privaten Netzwerks und die Kontrolle über das öffentliche Fernsehen nicht verhindert, dass er 1996 die Wahlen verlor (...) Die Rückkehr Berlusconis zur Macht ist mehr eine Folge der Abdankung der Politik und die Wiedereinsetzung der moralischen Ordnung in Gestalt der Antikorruptionsdebatte als das Ergebnis des Siegs einer neuen Form des Populismus.«

Dass die etwas scheinheilige Betonung der »Tugend« in der aktuellen Auseinandersetzung der selbst ernannten Zivilgesellschaftler mit Berlusconis imaginierter Allmacht so in den Vordergrund rückt, kann auch mit der neoliberalen Identität von linker und rechter Politik erklärt werden. Es wird verzweifelt nach einem Unterscheidungsmerkmal gesucht, das einen Gegner herabsetzt und kriminalisiert, der im Grunde zum eigenen Spiegelbild geworden ist. Berlusconi ist schließlich kein Monster, sondern eine monströse Folge etablierter linker Politik.

Im übrigen haben selbst die Linksdemokraten Massimo D'Alema und Luciano Violante erkannt, dass bei der Auseinandersetzung zwischen einer »gesunden« Zivilgesellschaft und einer korrupten Führungsklasse am Ende immer die Rechte gewinnt. »Wer Nutzen aus Tangentopoli gezogen hat, war nicht Occhetto (der damalige Vorsitzende der KPI-Nachfolgepartei, E.G.), sondern Berlusconi, der 1994 die Wahlen gewonnen hat,« sagte Violante der Zeitschrift Corsera im Februar.

Tatsächlich erscheint einem die aktuelle Verrechtlichung der Politik wie die Verlängerung einer Praxis, die bereits in den siebziger Jahren in der Aufstandsbekämpfung erprobt wurde. Und die heute von den Citoyens gefeierten Richter, die sich einem enthemmten Unternehmer entgegenstellen, der sich den Staat unter den Nagel reißen will, sind dieselben, die dafür verantwortlich zeichnen, dass etwa ein Adriano Sofri heute noch stellvertretend für die Emanzipationsbewegungen seit 1968 im Knast von Pisa eingesperrt ist. Oder dafür, dass es immer noch ein von der Justiz verfolgtes linkes Exilmilieu in Paris gibt.