Stasi-Verdacht gegen Großunternehmer

Konspirativ geschmiert

Die Stasi-Vorwürfe gegen einen griechischen Unternehmer drohen sich zu einer Staatsaffäre auszuweiten.

Zwölf Jahre nach dem Ende der DDR erlebt Griechenland seinen ersten Stasi-Skandal. Im Mittelpunkt: der Großunternehmer Sokrates Kokkalis. Mitte Februar erhob die Athener Staatsanwaltschaft gegen ihn Anklage wegen Spionage, schweren Betrugs, Geldwäsche, Unterschlagung sowie Bestechung und schürte damit sowohl an der Börse als auch im politischen Establishment Panik.

Sokrates Kokkalis ist in Griechenland nicht irgendwer. Er besitzt ein Netz von 52 Firmen, zu denen der Elektronik-Riese Intracom, das zweitgrößte Mobilfunkunternehmen des Landes, Panafon, und eine Reihe von Fernseh- und Rundfunkstationen gehören. Darüber hinaus ist er Präsident des populären Fußballklubs Olympiakos Piräus. Im Jahr 2001 rangierte der Industrielle in der vom US-Magazins Forbes erstellten Liste der reichsten Menschen der Welt auf Rang 421, die britische Zeitung The Independent schätzt sein Vermögen auf zwei Milliarden Euro.

Mithilfe guter Beziehungen zu Regierungen jeglicher politischen Couleur ist es ihm in den letzten Jahrzehnten gelungen, sämtliche Lotterien sowie beträchtliche Anteile an staatlichen Aufträgen, insbesondere in den Sektoren Verteidigung und Elektronik, zu übernehmen. Ferner mischt er in Albanien, Bulgarien, Rumänien und Serbien im Telekommunikationsbereich mit.

In den vierziger Jahren floh Kokkalis, dessen Vater als linker Partisan im griechischen Bürgerkrieg gekämpft hatte, mit seiner Familie nach Osteuropa. Er studierte in Leipzig und Moskau Physik. 1964 kehrte er nach Griechenland zurück, bald darauf begann seine fulminante Karriere.

Nach Informationen der Tageszeitung Kathimerini soll er schon Anfang der sechziger Jahre beim DDR-Ministerium für Staatssicherheit (MfS) angeheuert haben, um unter dem Decknamen »Rocco« Kommilitonen und Professoren zu bespitzeln. Neu sind die Stasi-Vorwürfe nicht. Schon Mitte der neunziger Jahre beschuldigte der Bundestagsunterausschuss für DDR-Vermögen Kokkalis der Zusammenarbeit mit dem MfS.

Demnach habe der MfS Kokkalis Startkapital gestiftet. Seit Mitte der achtziger Jahre habe das Ministerium die früheren Kontakte intensiviert und Kokkalis unter dem Decknamen »Krokus« als Informellen Mitarbeiter geführt. Durch Bestechungen soll er Aufträge für DDR-Elektronikfirmen in Griechenland vermittelt und der DDR für sie nicht erhältliche Hochtechnologie besorgt haben. Schließlich soll der Tycoon in der Endphase der DDR an der Verschiebung von Vermögen der SED und des MfS beteiligt gewesen sein.

Ende Februar berichtete die griechische Abteilung der Deutschen Welle unter Berufung auf MfS-Dokumente, dass Kokkalis bei jeder erfolgreichen Auftragsvermittlung an DDR-Firmen eine Kommission von fünf bis zehn Prozent kassiert habe. Zudem soll er jährlich eine Million Mark empfangen haben, um die Nachfrage an ostdeutschen Elektronikprodukten lebendig zu halten, sprich: um entscheidende Personen in der Politik und der Verwaltung zu schmieren.

Diesen MfS-Quellen zufolge hat Kokkalis vor den Parlamentswahlen 1986 der sozialdemokratischen Pasok, der konservativen Nea Dimokratia und der KP Griechenlands finanzielle Unterstützungen im Verhältnis zehn-fünf-eins zukommen lassen. Niemand sollte sich benachteiligt fühlen, und die Geschäfte sollten von Wahlergebnissen ungestört bleiben.

Nicht alle betrachten Kokkalis' mutmaßliche Aktivitäten als schändlich. Er selbst bestreitet alle Vorwürfe, und der ehemalige Chef des Geheimdienstes EYP, Kostas Tsimas, verteidigte ihn jüngst im Fernsehen: »Kokkalis ist ein echter Patriot; als Sohn eines Partisanen hat er immer das Richtige getan.« Wie beim Ministerpräsidenten Kostas Simitis muss die linke Biografie des Vaters dafür herhalten, um den Sohn zu entlasten.

Da zahlreiche Dokumente der MfS-Hauptverwaltung in der Wendezeit verschwunden sind, mussten die Berliner Staatsanwaltschaft und der Ausschuss DDR-Vermögen ihre Ermittlungen gegen Kokkalis aus Mangel an Beweisen einstellen. Unter Berufung auf den damaligen SPD-Obmann im Ausschuss, Friedhelm Julius Beucher, schreibt Kathimerini, dass der Beendigung der Ermittlungen ein Deal vorausgegangen sei. 1992 sei der damalige konservative Ministerpräsident Konstantin Mitsotakis bei Bundeskanzler Helmut Kohl zugunsten des Unternehmers vorstellig geworden. Dafür habe Athen den nach Griechenland geflohenen hauptamtlichen MfS-Offizier Helmuth Voigt im Eilverfahren an Deutschland ausgeliefert.

Die Auswirkungen des Skandals auf die griechische Wirtschaft waren sofort spürbar. Die Athener Börse reagierte mit Kursverlusten in Höhe von 1,85 Milliarden Euro auf die Nachricht, dass Anklage erhoben worden sei. Seither hat die Aktie von Intracom mehr als 25 Prozent ihres Werts verloren, weil sich die Befürchtung ausbreitet, Kokkalis könne künftig ausgeschlossen werden, wenn es um die Vergabe staatlicher Aufträge geht. Allerdings dürfte ihn selbst das nicht in den Konkurs führen. In den letzten Jahren hat er den Hauptteil seiner Eigenbeteiligungen von Intracom auf Intracom International verlagert, eine Firma, die außerhalb Griechenlands aktiv ist.

Auch der Knast dürfte ihm erspart bleiben. Dafür sorgt schon sein Image. Er ist ein etablierter Gesprächspartner von Ministern, Diplomaten und ausländischen Staatschefs, durch die Kokkalis-Stiftung finanziert er eine Reihe kultureller und wissenschaftlicher Institutionen und kann nicht zuletzt mit der Unterstützung der zahlreichen Olympiakos-Fans rechnen, die in der Anklage gegen ihren Präsidenten eine Verschwörung gegen ihren Verein wittern.

Die politische Klasse sorgt sich indes, dass der Skandal den Auftakt für weitgehende Enthüllungen über die Verflechtung von Politik und Wirtschaft bilden könnte. Ministerpräsident Simitis beschuldigt nicht näher identifizierte »dunkle Kreise«, mit der schon vergessen geglaubten Affäre seine Regierung und das politische System destabilisieren zu wollen. Auch die oppositionellen Konservativen geben sich zurückhaltend, während Staatspräsident Kostas Stephanopoulos zu beschwichtigen versucht: »Das Wetter soll gut bleiben, das Klima muss sich ändern.« Hingegen schimpft der Vorsitzende der Linksallianz, Nikos Konstantopoulos: »Die Korruption ist gigantisch!«

1989 erlebten die Sozialdemokraten schon einmal eine große Korruptionsaffäre. Der damalige Ministerpräsident Andreas Papandreou wurde angeklagt, vom Spitzenunternehmer Giorgos Koskotas Geld für die Pasok erhalten zu haben. Zwar brach die Anklage gegen Papandreou vor dem Sondergericht zusammen, die Partei aber musste die Affäre mit dem Verlust ihrer Regierungsmacht bezahlen, während Koskotas im Gefängnis landete. Eine Parallele zum aktuellen Fall: Auch Koskotas war Präsident von Olympiakos Piräus.