ARD-Vorabendserie »Berlin, Berlin«

Lolle klaut

In der neuen Vorabendserie der ARD erobert das Landei Lolle Berlin.

Eine Szene gibt's, da läuft Lolle unter der Berliner Hochbahn lang. Lolle ist es, die rennt, und nicht etwa Lola. Eine Anleihe für die neue, jüngst unter dem Titel »Berlin, Berlin« angelaufene Vorabendserie der ARD. Es ist nicht die einzige Anleihe, und die Frage stellt sich, ob durch das ständige Klauen, Covern, Zitieren und Remaken wirklich etwas Neues entstanden ist.

Lolle ist eine junge Frau mit uncooler Ponyfrisur und echt lieben Eltern, die sich bestimmt in einem Shalom-Arbeitskreis der evangelischen Kirche engagieren. Lolle stammt aus Malente, einem Ort in Ostholstein, der außer einer Glasbläserei und einer Fußballschule, in der die BRD-Mannschaft 1974 Quartier bezog, nichts zu bieten hat. Lolles Eltern haben ihrer Tochter eine Volontariatsstelle bei einer Lokalzeitung beschafft. Lolle will aber gar nicht Journalistin werden (was schon mal gut ist, denn so wie der Journalistenalltag in deutschen Fernsehserien dargestellt wird, möchte man dazu partout keine weitere Serie sehen), sie will vielmehr Comiczeichnerin werden (man erfährt, dass diese Tätigkeit erlernt werden sollte, und nicht zwangsläufig - so die Auskunft eines schon mal in Volkshochschulen ausstellenden Oberstufenkunstpädagogen - nach dem verkauften Erstlingswerk zum Erwerb eines Penthouses in Berlin-Mitte führt).

Lolle ist also nach Berlin gezogen, eher unfreiwillig, denn sie reiste ihrem Freund hinterher, der aber zu Serienbeginn schon gar nicht mehr ihr Freund war. Nun will der Freund zurück zu ihr nach Holstein, spinnt spießige Spleens vor sich hin, etwa, dass die beiden sich in Malente eine Wohnung nehmen, er in Kiel studiert und sie ihr Volontariat macht.

Lolle bleibt aber lieber mit vollem Risiko in Berlin und will ihre Träume verwirklichen. Sie zieht bei ihrem Cousin Sven ein, der eine Start-Up-Firma an die Wand gefahren und gerade eine Scheidung hinter sich hat, das Sorgerecht für seinen Sohn nicht bekommt, aber Alimente zahlen muss. Ein echter Sieger also, der schon mal Whiskey in großen Zügen aus der Flasche genießt.

Sven braucht Geld und macht deswegen aus seiner großen Wohnung eine WG. Svens Ex-Frau zieht derweil mit ihrem Neuen, einem Lehrer, der dort eine Schulleiterstelle bekommt, nach Koblenz. Lolle verliert also ihren Freund, Sven seine Frau. Lolles Freund zieht's ins Spießige, Svens Ex zieht zum Spießer.

Dann gibt's noch Rosalie, eine Schauspielerin, mit der sich Lolle anfreundet und die auch in die WG einzieht. Rosalie ist die Ex von der Zwischenzeitlichen von Lolles Ex, weswegen Lolle auch Rosalies Beleidigung, sie sei ein »Landei«, mit »Lesbenkuh« kontert. Die beiden verbindet zunächst der gemeinsame Versuch, ihren bzw. ihre jeweilige Ex zurückzuerobern.

Und es gibt noch einen Nachbarn von Sven, der Hart heißt, Comics mag, gerne in der WG auftaucht, und sich gleich in der zweiten Folge mit Sven diesen Dialog liefert: »Die Rosalie, die geht doch total ab im Bett, oder?« - »Da gibt's nur ein Problem, die ist 'ne Lesbe.« - »Das ist doch keen Problem, es gibt nur Herausforderungen.« Auf 26 Folgen ist die Serie angelegt, und es müsste schon mit dem Teufel zugehen, wenn Harts »Herausforderung« nicht den Stoff für mindestens anderthalb Folgen abgäbe. Was nicht wirklich originell wäre.

Die ARD jedenfalls ist mächtig stolz auf ihre neue Serie. Mit bemerkenswertem Werbeaufwand wird auf »Berlin, Berlin« hingewiesen, die Hauptdarstellerin Felicitas Woll wird durch die hauseigenen Talkshows gejagt, und überhaupt hat seit den Semmelings kein öffentlich-rechtlicher Sender mehr einen solchen Wind gemacht.

Und wenn die ARD so etwas macht, dann immer mit kulturellem Auftrag. Lolle ist ja nicht einfach nur eine junge Frau, 20 Jahre alt, die aus der Provinz nach Berlin zieht. Sowas machen vielleicht die Privaten, aber nicht die Öffentlich-Rechtlichen. Bei denen jobbt die Frau nicht in einer Kneipe, sondern ist angehende Comic-Zeichnerin. Kultur also, aber eine, die die Zielgruppe der 20- bis 30jährigen ansprechen soll.

Die ARD hat ihre tolle Serie deshalb auch nicht »Soap« getauft, wie solche Billigproduktionen gemeinhin heißen, sondern »Dramedy«. Das klingt seriöser. Nebenbei tut die ARD noch etwas für das Zusammenwachsen der beiden Deutschländer. Das ist immer gut, dachte man sich. Und so dachte auch der verantwortliche Redakteur, Bernhard Gleim. Er vertraute der Berliner Morgenpost an, er habe sich überlegt, »wir müssen mal was im Osten machen«. So ist es vielleicht zu verstehen, dass diesmal Figuren wie Günther Pfitzmann, Anita Kupsch, Ilja Richter oder Edith Hancke fehlen.

Nach dem Drehbuch ist die sich mit Lolle, Rosalie und Sven konstituierende WG in Prenzlauer Berg angesiedelt - also wirklich im Osten. Gedreht wurde freilich alles in dem Teil Kreuzbergs, der von seinen Einwohnern immer noch 36 genannt wird, die Kulisse für die WG findet sich in der Skalitzer Straße. Deshalb rennt Lolle in der zweiten Folge unter den Kreuzberger Hochbahngleisen entlang, was nicht nur ästhetisch auf den Westen verweist, sondern eben auch auf den Erfolgsfilm »Lola rennt« von Tom Tykwer.

Womit wir beim Klauen, Remaken, Zitieren und Covern sind. Was die ARD-Macher als ihren größten Coup verkaufen, dass nämlich Lolle, immer wenn sie richtig aufgeregt ist, Comic-Bilder einfallen, hat filmhistorisch schon ein paar Vorbilder, zuletzt »Ally McBeal«. Die Art der Zeichnungen erinnert stark an Lara Croft. Eine Hauptfigur, die Comics zeichnet, hat es in einer Vorabendserie der ARD auch schon gegeben. Dass die WG gerne beim Chinesen essen geht, der wiederum gerne asiatische Kalenderblattweisheiten von sich gibt, hat seine Vorbilder in der »Lindenstraße« und bei Harald Schmidt. Und gewiss kann man bei einer aufmerksamen Lektüre der in Berlin angesiedelten Szeneromane noch mehr solcher Plagiätchen entdecken.

Bei fast jeder Szene ist zu spüren, dass man sich im ARD-Apparat, wenn andere erfolgreich waren - sei es bei der privaten Konkurrenz, in Kinofilmen, Romanen oder Late-Night-Shows - gedacht haben muss: Das können wir auch. Und prompt klaubte man sich lauter Inhalte und Stilismen zusammen und machte eine eigene Serie daraus.

Worum es in »Berlin, Berlin« gehen wird, deutete sich in den ersten Folgen bereits an, und mit ziemlicher Sicherheit wird nichts ausgelassen. Schließlich gibt es ja 26 Folgen. Demnächst wird sich einer umbringen wollen - die toughe WG wird ihn schon aufrichten. Nazis tauchen auf - Lolle und die Detektive werden sie in die Schranken weisen. Fiese Vermieter? Die Rote Lolle und ihre Bande sorgen für Gerechtigkeit. Und wenn sich Drogenprobleme ergeben, dann wird es doch wohl Lolle sein, die aus Weintrinkern Wassertrinker macht.

»Berlin, Berlin«, dienstags bis freitags, 18.50 Uhr, ARD