Kampf gegen den Drogenhandel

Offensive der Inquisitoren

Mit militärischen Mitteln und hohen Strafen will die mexikanische Regierung den Drogenhandel bekämpfen. Die Erfolge sind minimal.

Im Kampf gegen die Drogen ist in Mexiko beinahe alles erlaubt«, sagt Renato Salas. Der 42jährige Jurist ist der stellvertretende Generalstaatsanwalt des Regierungsdistrikts Mexiko-Stadt und hat sich in den vergangenen Jahren mit den Folgen des Drogenkrieges für die Rechtsprechung in Mexiko auseinander gesetzt.

Das Ergebnis ist ernüchternd. Seit die USA den »Krieg gegen Drogen« ausriefen und ihren Druck auf die mexikanische Regierung Mitte der neunziger Jahre erhöhten, sind zahlreiche Gesetze verabschiedet worden, die mit rechtsstaatlichen Prinzipien kaum vereinbar sind. So ist es beim Verdacht auf Geldwäsche nicht mehr die Staatsanwaltschaft, die beweisen muss, dass der Angeklagte ein Delikt begangen hat, sondern der Beschuldigte muss Belege erbringen, dass sein Vermögen rechtmäßig erworben wurde.

»Damit wird ein Rechtsgrundsatz außer Kraft gesetzt, der in der Verfassung unseres Landes verankert ist«, kritisiert Salas. Die Ausnahmeregelungen, die auf Druck der USA im Laufe der letzten Jahre erlassen wurden, sind vielfältig, und Salas erinnern sie an die Zeiten der Inquisition. »Unter dem Deckmantel des öffentlichen Interesses läuft eine Art Hexenjagd. Der öffentliche Feind sind die Drogenhändler, gegen die jedes Mittel gerade recht ist«, so Salas. Mit dem 1996 erlassenen Gesetz gegen die organisierte Kriminalität wurde die Telefonüberwachung erleichtert, Beschlagnahmungen sind seither aufgrund von Vermutungen ohne Vorlage von Beweisen möglich und Kronzeugen winkt Strafminderung.

Die Drogenhändler wurden zum Staatsfeind Nummer Eins erhoben, gegen den auch mit Armee und Marine vorzugehen sei. So sahen es die US-amerikanischen Berater vor, und die Mexikaner folgten den Vorschlägen des selbst ernannten und weltweit agierenden Drogenpolizisten, indem sie das »Gesetz zum nationalen System der öffentlichen Sicherheit« erließen.

Demnach können Marine- und Armeeeinheiten Polizeiaufgaben wahrnehmen, vor allem zur Bekämpfung des Drogenhandels. Dieses Gesetz widerspricht zwar dem Artikel 129 der mexikanischen Verfassung, der die Aufgaben der Streitkräfte in Friedenszeiten definiert, aber die Gerichte weiteten den Begriff der öffentlichen Sicherheit aus. Für deren Bewahrung und zur Unterstützung der zivilen Organe könne die Armee eingesetzt werden, wenn die öffentliche Sicherheit gefährdet sei, so die neue Definition der Richter, die damit indirekt die Verfassung änderten.

Mit gefährlichen Folgen, denn Anzeichen für eine Militarisierung der mexikanischen Gesellschaft finden sich in vielen Bereichen. Immer wieder werden zivile Posten unter der derzeitigen Regierung von Präsident Vicente Fox von Militärs besetzt. So ist der Generalstaatsanwalt des Landes ein ehemaliger General, was unter Mexikos Juristen auf wenig Begeisterung stieß. Im öffentlichen Erscheinungsbild haben Angehörige des Militärs mittlerweile ihren festen Platz, nicht nur in den Gebieten der Zapatistas im Süden des Landes.

Die Erfolge der Militarisierungsstrategie sind allerdings eher mäßig. Spektakuläre Ermittlungserfolge bei den Drogenkartellen sind die Ausnahme, stattdessen kommt es immer wieder zu Übergriffen auf Verdächtige. Die Armee ist für ihre neue Aufgabe im Rahmen der Drogenfahndung nicht qualifiziert, kritisiert der Militärexperte Raúl Benítez Manaut von der autonomen Universität von Mexiko-Stadt. Die mexikanische Armee besteht größtenteils aus einfachen Bauern, von denen nicht wenige Analphabeten sind und den neuen Anforderungen nicht genügen, erklärt Manaut, der eine Studie über die Streitkräfte des Landes verfasst hat.

Die lokale Bevölkerung und Drogenabhängige haben darunter zu leiden. Auch Sozialarbeiter, Therapeuten und Drogenhilfseinrichtungen geraten immer öfter ins Visir der Ermittlungsbehörden. Die drohenden Strafen sind erheblich. Zehn bis 25 Jahre Haft sieht das Strafgesetzbuch bei organisierter Kriminalität vor, ohne dass der Begriff hinreichend definiert ist. Bis zu 60 Jahre Haft können beim Anbau von Mohn, Koka oder Cannabis verhängt werden, so Salas.

Der Spielraum für alternative Konzepte bei der Drogenbekämpfung ist hingegen klein und nicht klar gefasst. »Das Missverhältnis zwischen den Ausgaben für den Drogenkrieg und den Fonds für Prävention ist eklatant«. Das Verhältnis schätzt Salas auf zwei bis drei zu 97 oder 98 Prozent. Kampagnen unter dem Motto »Drogen schaden Deiner Gesundheit« sind es, in die investiert wird, die aber relativ wenig Erfolg haben. Geld für Hilfsprojekte ist hingegen knapp. Süchtige werden nicht einmal generell als Kranke eingestuft, sondern oftmals als Kriminelle.

»Eine Katastrophe angesichts von mindestens 400 000 Abhängigen«, so Juan Machín, der Leiter eines Drogenhilfezentrums in Mexiko-Stadt. Seit Jahren bemüht sich Machín um mehr Spielraum und um mehr Unterstützung von öffentlicher Seite. Bisher weitgehend ohne Erfolge. Die Einrichtung hält sich mit Spenden von internationalen Organisationen und der Kirche sowie durch Nachbarschaftshilfe über Wasser. Progressive Ansätze im Therapiebereich, bei der Rehabilitation und der Prävention habe die staatliche Gesundheitspolitik kaum zu bieten, klagt Machín.

Die mexikanischen Drogenkartelle haben sich trotz aller repressiven Maßnahmen prächtig entwickelt. Professionell und überaus flexibel organisiert, ähneln sie modernen Unternehmen, die Absatzwege, Marktanteile und die Qualität ihres Produkts genau analysieren und bei Bedarf modifizieren. Fälle, in denen Politiker, Staatsanwälte, Ermittlungsbeamte oder Richter auf ihren Lohnlisten standen, gab es immer wieder, und derzeit gibt es weniger Ermittlungserfolge.

Indirekt räumt auch der vom US-Außenministerium am 1. März veröffentlichte Bericht über internationale Drogenkontrolle die geringen Erfolge von Notstandsgesetzen und Militäreinsätzen ein. Mexiko sei weiterhin ein »bedeutender Lieferant« illegaler Drogen, für das Jahr 2001 wird festgestellt, dass sich die Opiumproduktion fast verdreifacht hat.