Richtungswechsel in der EU-Entwicklungspolitik

Die Wurst bleibt hier

Die EU richtet ihre Entwicklungspolitik immer stärker nach Marktkriterien aus. Eine Bilanz anlässlich der Uno-Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung in Mexiko.

Think global - act global. In Anlehnung an den abgewandelten Slogan der GlobalisierungskritikerInnen hat die Europäische Union ihre Entwicklungspolitik in den vergangenen Jahren grundlegend verändert. Ist die Entwicklungshilfe kompatibel mit den Regeln der Welthandelsorganisation WTO? So lautete dabei die zentrale Frage, auf die die Europa-Politiker eine Antwort suchten.

Die Zielsetzung ebenso wie die regionalen Orientierungen der europäischen Entwicklungspolitik mussten sich daher fast zwangsläufig verändern Einerseits konzentriert sich Brüssel nun in erster Linie auf die so genannten Schwellenländer, andererseits versucht die EU, Regionen wie Ost- oder Südosteuropa und den Mittelmeerraum durch wirtschaftspolitische Maßnahmen an sich zu binden.

Den Beginn der neuen Ära markierte der Abschluss eines Vertrags zur Assoziation von Ländern in Afrika, der Karibik und dem pazifischen Raum (AKP) im vergangenen Jahr in Cotonou: Aufgegeben wurde damit jedoch nicht nur der Anspruch einer gleichwertigen Partnerschaft, sondern auch das Ziel der EU, besondere Beziehungen zu den AKP-Staaten zu unterhalten. Denn des Cotonou-Vertrag beinhaltet zwar ein Konzept von regionalen Freihandelszonen, in welchem der EU der Marktzugang erleichtert werden soll. Direkte Zahlungen für Projekte, Programme und Haushaltsstützen für AKP-Länder hingegen wurden gekürzt.

Über die Hälfte des Geldes, das weltweit für Entwicklungshilfe ausgegeben wird, stammte bislang aus den Kassen der EU oder ihrer Einzelstaaten. Zwischen Mitte der achtziger und Ende der neunziger Jahre wuchsen die Ausgaben der EU für Entwicklungshilfe um 202 Prozent. EU-Kommissar Poul Nielson forderte vergangenen Monat im Europaparlament sogar, die Entwicklungshilfe in den nächsten fünf Jahren zu verdoppeln. »Nur so können wir die Entwicklungsziele des Millenniums erreichen«, betonte Nielson im Vorfeld der internationalen Uno-Konferenz über die Finanzierung der Entwicklungshilfe, die noch bis Donnerstag im mexikanischen Monterrey stattfindet.

Solche Ziele scheint die EU aber nur noch in bestimmten Regionen zu verfolgen. Die Hilfe für die ärmsten Entwicklungsländer nahm in allen Bereichen kontinuierlich ab. Inzwischen bekommen die Entwicklungsländer der Kategorie »weniger entwickelt« gerade noch ein Drittel sowohl der bilateralen wie der multilateralen Hilfe der EU.

Erste Überlegungen zu einem Paradigmenwechsel in der europäischen Entwicklungspolitik gab es bereits Anfang der neunziger Jahre; so wurde auf dem EU-Gipfel in Cannes 1995 bereits der Großteil der finanziellen Hilfen den Regionen des Mittelmeers sowie den osteuropäischen EU-Anrainerstaaten zugesprochen. Die Uruguay-Runde zum Welthandelsvertrag (Gatt) und zur Gründung der WTO hatte bereits ein Jahr zuvor den Neubeginn vollzogen. Auch der vergleichbar kleine Haushaltsposten der EU-Kofinanzierung von NGO-Projekten spiegelt den regionalen Umbau wider. An erster Stelle der Zielländer stehen hier Brasilien und Indien, gefolgt von anderen südamerikanischen und südostasiatischen Ländern.

Diesem Grundmuster folgte die EU-Kommission auch in ihrem Strategiepapier zur Entwicklungspolitik der Gemeinschaft, das der Rat im November vergangenen Jahres verabschiedete. Zwar werden in dem Papier die grundlegenden Daten der Verarmung von Entwicklungsländern aufgeführt, etwa die ständig sinkenden Pro-Kopf-Einkommen, Verluste am Anteil im Welthandel oder der Niedergang von Schul- und Gesundheitsversorgung. Konsequenzen daraus wurden jedoch keine gezogen.

»Die aktuelle Krise wird Folgen für die wirtschaftliche Entwicklung weltweit haben«, prophezeite EU-Kommissar Nielson daher vor dem Strasbourger Parlament. »Wieder einmal werden es die Ärmsten sein, die den höchsten Preis zahlen müssen.«

Dass die Ursachen für diesen Prozess weder im Kommissionspapier noch von Nielson in Frage gestellt werden, verwundert nicht. »Wir müssen diesem Trend entgegenwirken, indem wir dafür sorgen, dass Globalisierung für die Armen und nicht gegen sie arbeitet«, formuliert Nielson recht schwammig. In ihrem Papier erklärt die Kommission die Bekämpfung der Armut zwar zur zentralen Aufgabe der EU-Entwicklungspolitik, die aufgeführte Prioritätenliste legt jedoch anderes nahe. An erster Stelle wird hier die Entwicklung des Handels genannt. Der Beistand zur Integration in das multilaterale Handelssystem und in den Weltmarkt sowie die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit des Privatsektors sind die Eckpfeiler dieser Politik.

Auch die Ergebnisse der Studien, die eigens von der Kommission zur Verhandlung des neuen AKP-Vertrags in Auftrag gegeben wurden, widersprechen dem Gerede von der Armutsbekämpfung. Die regionalen Freihandelszonen, die nun im EU-Rahmenvertrag als Regionalabkommen festgelegt wurden, hätten demnach in den betroffenen AKP-Ländern zusätzliche Einkommensverluste von drei bis fünf Prozent zur Folge.

Auch der interne Umbau des EU-Apparates in Sachen Entwicklungshilfe zeigt die Spuren der Trendwende. Nielson ist zwar der für die Formulierung der entwicklungspolitischen Ziele zuständige EU-Kommissar. Die Umsetzung dieser Politik ist jedoch die Aufgabe seines Kollegen Chris Patten, dem Kommissar für Außenbeziehungen. Für viele Beobachter ist dies ein Zeichen für den Untergang der EU-Entwicklungshilfe. Nielson sei der »Kaiser der Titanic«, meint etwa die Beraterin für EU-Entwicklungspolitik in Brüssel, Mirjam van Reisen. Der nächste logische Schritt sei die komplette Abschaffung des Postens eines EU-Kommissars für Entwicklungspolitik.

Die entwicklungspolitische Abteilung der EU-Kommission, EuropeAid, wird ebenfalls kritisiert. EuropeAid wurde im vergangenen Jahr gegründet, um die EU-Hilfe zu koordinieren. Dass dieser Name so ähnlich klingt wie der Name der in Washington stationierten US-amerikanischen Organisation USAid, sei ein seltsamer Zufall, so van Reisen. »Es ist hinlänglich bekannt, dass USAid sehr eng mit der Außenpolitik der USA verbunden ist. Der Name EuropeAid suggeriert einen ähnlichen Trend für das europäische Hilfsprogramm«, meint die EU-Beraterin.

Auch das Netzwerk der nichtkonfessionellen Entwicklungsorganisationen, Eurostep, hat Bedenken wegen der inhaltlichen Ausrichtung von EuropeAid. Es sei beunruhigend, dass EuropeAid Verwaltungsaufgaben mehr Gewicht zumesse als der Politik, beklagt Eurostep-Sprecher Guggi Laryea. Und: »Eine Menge der EuropeAid-Leute scheinen vornehmlich daran interessiert zu sein, das Image der Kommission aufzupolieren.«

Tatsächlich hat die neue EU-Strategie wohl mehr mit Außenhandelspolitik als mit Entwicklungspolitik zu tun. So wurde im Maastrichter EU-Vertrag auch die Formel von der »Eingliederung der Entwicklungsländer in die Weltwirtschaft« festgehalten. Ein merkwürdiges Konzept, wenn man bedenkt, dass in vielen Entwicklungsländern die Ausgaben für die Außenwirtschaft höher sind als in vielen europäischen und asiatischen Ländern. Selbst in quasi zerfallenen Staaten wie Sierra Leone oder Kongo scheint die weltwirtschaftliche Integration weit fortgeschritten zu sein. Als Währung zählt der US-Dollar, und viele Betriebe sind nahezu unmittelbar abhängig von den Rohstoffbörsen in New York, London, Antwerpen, Tel Aviv oder Bombay.